Was passiert, wenn die Wärmewende vor der eigenen Haustür steht?

München hat als einer der ersten Städte überhaupt einen Wärmeplan vorgelegt – und der hat es in sich: interaktiv, datenbasiert, quartiersgenau. Wer wissen will, welche klimafreundliche Heizoption fürs eigene Zuhause taugt, kann einfach die eigene Adresse im Portal Kommunaler Wärmeplan eingeben und losstöbern. Der Plan zeigt: Bis 2045 soll die Fernwärme den Großteil der Stadt versorgen – gespeist aus einem Schatz tief unter unseren Füßen: Münchens Geothermie. Das Fernwärmenetz der SWM, mit aktuell rund 1.000 Kilometern Länge eines der größten in Deutschland, soll bis 2040 um circa 600 Kilometer erweitert werden.

Wärmeplan mit Legende ©RKU München

Es gibt Momente, in denen Politik den Menschen ganz nah kommt. Ins Wohnzimmer, in den Heizungskeller, ans eigene Haus. Das Gebäudeenergiegesetz war so ein Moment. „Maximale Übergriffigkeit ins Private“, nennt Christine Kugler das Gefühl vieler Bürger:innen – und sie versteht, was gemeint ist. Wenn es um den Umbau des Eigenheims geht, geht es nicht nur um Sanierung und eine Ausbesserung der Gebäudetechnik. Es geht auch um Identität, um Besitz – und darum, was wir unter Wohlstand verstehen. Wenn das, worauf man sein Leben aufgebaut hat – das eigene Haus – plötzlich zur Diskussion steht, trifft das tief. „Und wenn dann noch die ökonomische Überforderung dazukommt, ist der Frust perfekt.“ Dabei sei klar: „Ohne soziale Flankierung funktioniert Klimaschutz nicht.“

Der heiße Schatz unter München – so kann Erdwärme für die Gebäudetemperierung genutzt werden © RKU München

Vom Heizungskeller ins Quartier

Wie kann Klimaschutz also gelingen – konkret, machbar und sozial gerecht? Kugler, die zuvor bei den Stadtwerken für Energieeffizienz in den Münchner Bädern zuständig war, weiß: Die Wärmewende muss von unten wachsen. Wortwörtlich – mit Tiefengeothermie. Und hier bringt München im Gegensatz zu anderen Städten eine Besonderheit mit. Unter dem Münchner Boden liegt ein Energie-Schatz: die Geothermie. Doch um diesen Schatz zu heben, braucht es mehr als Bohrungen. Es braucht einen Plan. Den hat die Stadt: 80 % der Fernwärme sollen künftig aus der Tiefe kommen.

Das RKU experimentiert in ersten Vierteln zu umfassenden Lösungen, wie dieses Vorhaben gelingen kann. Im Österreicher Viertel zum Beispiel berät das RKU mit Energieexpert:innen die Bewohner:innen direkt vor Ort. „Das Quartier ist eine Größe, mit der man arbeiten kann“, sagt Kugler. Dort treffen sich die Menschen. Es gibt echte Begegnungen. Vertrauen. Und manchmal sogar so etwas wie Begeisterung – für den gemeinsamen Klimaschutz.

München bis 2035 klimaneutral machen. Ein Ziel, das ehrgeizig klingt. Denn die Realität ist, wie Kugler es formuliert: „Die Kommunen sind die gefesselten Treiber des Klimaschutzes, aber auch des Klimawandels.“ Großstädte stoßen über 80 % der Treibhausgase aus – und sollen nun auch die Lösung liefern.

Eröffnung Klima Dult © MatthiasWallot (SINN MEDIA)

Klimaschutz und Flächen-Tetris

Die große Transformation und Erschließung von Standorten für die Tiefengeothermie bringt viele Zielkonflikte mit sich. Zum Beispiel zwischen Wohnungsbau und Artenschutz. Ein Beispiel? Auf dem Virginia-Depot-Gelände soll eine tiefengeothermische Anlage entstehen, in unmittelbarer Nähe einer Schule und einem Flüchtlingslager. Doch lebt auf diesem Areal auch die nach EU-Recht streng geschützte Zauneidechse. Alle Flächenbedarfe so in Einklang zu bringen ist nicht einfach: Das Ergebnis ist ein mühsam ausgehandelter Kompromiss. Die Schule bekommt den Sportplatz auf dem Dach, die wertvollsten Flächen des Eidechsen-Habitats werden erhalten und die geothermische Anlage muss etwas komplizierter gebaut werden.

„Wir spielen täglich Tetris mit Flächen“, erzählt Kugler. Denn für sie gehört zur Klimagerechtigkeit auch die Biodiversität: „Die Artenvielfalt und die Biodiversität bescheren uns Wohlstand. Das ist unsere Lebensgrundlage.“ Wenn wir keine Bienen mehr haben, brauchen wir Roboter zur Bestäubung – und dann gibt es keine Weißwurst mehr auf dem Oktoberfest, so Kugler. Da sollten die Münchner:innen doch hellhörig werden.

Umgestaltung Prinz-Eugen-Park © Sarah Naundorf und Agilofingerplatz, Bauverein Giesing © Elke Kressirer 

Lego fürs Leben – warum Wohnen flexibler werden muss

Ein weiteres Riesenthema: Wohnraum. Oder besser: der clevere Umgang damit. Viele wohnen zu groß, andere zu klein. Flexibilität? Mangelware. Was wir brauchen, ist Wohnen wie Lego – anpassbar, wandelbar, clever. Statt immer mehr Flächen zuzubauen, sagt Kugler: Lasst uns doch mal kreativ mit dem umgehen, was schon da ist.

Die Konzepte dafür gibt’s längst: Wohnungstausch statt Umzug, modulare Grundrisse, die sich dem Leben anpassen. Zum Beispiel: Die Kinder sind aus dem Haus, 100 Quadratmeter sind zu viel? Dann zieht man in eine kleinere Einheit – im selben Haus. Und die große Wohnung geht an die nächste Familie. Ganz ohne Neubau, ganz ohne zusätzliche Flächenversiegelung.

Und wie bringt man Menschen dazu, beim Thema Klimaschutz mitzumachen?

Ganz klar: Anreize statt Vorschriften. Eine ziemlich spannende Idee aus dem Gespräch ist die Warmmiete mit Temperaturfeedback. Klingt erstmal technisch, ist aber ganz logisch: Nicht mehr Kaltmiete plus Nebenkosten getrennt denken – sondern alles zusammen. Heißt: Wer weniger heizt (z. B. unter 20 Grad), spart bares Geld. Wer ständig auf Kuschelmodus dreht, zahlt eben mehr. Und bei energetisch schlechten Gebäuden, die saniert werden, kann die Rechnung am Ende sogar aufgehen: gleiche Warmmiete, aber viel weniger Energieverbrauch. Jackpot für alle – Klima, Geldbeutel und Gerechtigkeit.

Wichtig ist es auch an diejenigen zu denken, die oft vergessen werden bei den Sanierungsvorschriften: Senior:innen ohne Kreditwürdigkeit, Einkommensschwache Haushalte. Mieter:innen, die Angst vor Sanierung und steigenden Kosten haben. „Jeder Fördereuro, den wir einem Vermieter geben, darf nicht auf die Miete umgelegt werden.“ Das ist laut Kugler ein gutes Beispiel für gelebte soziale Klimapolitik – und genau das, was wir brauchen, wenn München klimaneutral UND bezahlbar bleiben soll.