Ein Berliner Lehrer outet sich als homosexuell, seitdem machen ihm laut einem Medienbericht die Schüler der mehrheitlich von Muslimen besuchten Grundschule das Leben zur Hölle. Hilfe bekommt der 43-Jährige kaum, derzeit ist er krankgeschrieben. Autor Thilo Sarrazin sieht ein grundlegendes Problem.

Oziel Inácio-Stech hat Mut bewiesen und das gleich mehrfach. Der 43-Jährige ist Lehrer an einer Berliner Grundschule, derzeit aber krankgeschrieben, die Diagnose lautet: posttraumatisches Belastungssyndrom. Der Grund für diesen psychischen Ausnahmezustand: Oziel Inácio-Stech ist homosexuell und er hat dies im Schulumfeld publik gemacht.

Was folgte, war ein monatelanger Leidensweg, der ihn nach eigenen Angaben fast zerbrach: homophobes Mobbing durch einige der Schüler, dazu eine angeblich mangelnde Unterstützung durch Eltern- und Lehrerschaft. Der Lehrer bewies ein zweites Mal Mut und machte das, was ihm passiert ist, öffentlich.

Inácio-Stech wandte sich an die Redaktion der „Süddeutschen Zeitung“ und erzählte seine Geschichte, auch, um auf das Problem schlecht integrierter Schüler aufmerksam zu machen. Der jüngst erschienene Artikel – Überschrift „Wo leben wir denn“ – stieß auf ein großes Echo. Mehrere lokale Berliner Zeitungen griffen das Thema am Dienstag auf, in den sozialen Medien wie etwa bei X machten Begebenheiten und Zitate aus dem Text die Runde.

Zur Einordnung: Die betroffene Carl-Bolle-Grundschule (laut SZ 300 Schüler, davon 95 Prozent mit Migrationshintergrund) liegt im Berliner Stadtteil Moabit, (85.000 Einwohner). Vor neun Jahren begann Oziel Inácio-Stech dort zu unterrichten, privat ist der gebürtige Brasilianer, der seit 2010 in Deutschland lebt, mit einem Mann verheiratet.

Als Konsequenz auf die grassierende Homophobie in der Schülerschaft, die mehrheitlich muslimischen Glaubens ist, habe sich der Lehrer, so schildert es der Zeitungstext, vor einigen Jahren entschieden, seine sexuelle Orientierung und seinen Familienstand in der Schule publik zu machen. Auch, so heißt es, weil andere Lehrer und die Gewerkschaft GEW in ihren Publikationen homosexuellen Lehrkräften ausdrücklich dazu rieten, sich „nicht zu verstecken“. Das tat Oziel Inácio-Stech fortan nicht mehr. Und antwortete auf die neugierigen Fragen der Kinder zu seinem Privatleben, dass er mit einem Mann verheiratet sei.

Er sei eine „Schande für den Islam“, muss der Lehrer hören

Die Reaktion auf dieses Eingeständnis war offenbar verheerend. Die Zeitung zitiert in ihrem Artikel Äußerungen aus der Schülerschaft. Er (Inácio-Stech, d. Red.) sei „eine Familienschande“, er werde „in der Hölle landen“, er sei „eine Schande für den Islam“. Zur Einordnung: In Berlin erstreckt sich die Grundschulzeit bis zur sechsten Klasse, die Schüler können somit bis zu 12 oder 13 Jahre alt sein.

Einige – wenige – Schüler taten sich bei diesen hasserfüllten Äußerungen immer wieder hervor. Ein Junge etwa habe den Lehrer auf dem Schulhof vor „Hunderten anderen Kindern“ mit den Worten beschimpft, dieser sei „kein Mann“ und „ekelhaft“. Weiter hieß in dem Text über einen anderen Vorfall: „Und sie treten gegen die Tür, hinter der er unterrichtet, reißen sie auf, brüllen hinein, er sei eine Familienschande, schwul sein sei eklig.“

Der 43-Jährige habe jedoch nicht aufgegeben, sich gewehrt, etwa, in dem er den Schüler zur Rede stellte, der die Tür aufrissen. Die Reaktion eines Jungen sei gewesen: „Du Schwuler, geh weg von hier. Der Islam ist hier der Chef.“

Unterstützung von Eltern, anderen Lehrern und insbesondere der Schulleitung habe es, so heißt es in dem Artikel der „Süddeutschen Zeitung“, nicht gegeben. Auf Nachfrage der Zeitung habe sich zudem angeblich niemand offiziell äußern wollen, auch der Berliner „Tagesspiegel“ erhielt auf seine Anfragen hin keine Antwort.

Der Lehrer signalisierte dennoch, nicht aufgeben zu wollen. Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt über Oziel Inácio-Stech: „Er wartet jetzt erst mal auf einen Reha-Platz. Danach möchte er wieder unterrichten, die Kinder brauchen mich doch, sagt er. Und er möchte tolerant bleiben, möchte ‚jetzt nicht zum AfD-Wähler werden‘. Sein Traum: ‚Dass wir als Pädagogen in der Schule es schaffen, dass diese Kinder eine andere Welt entdecken.‘“

Sarrazin sieht „objektive Tragik“ in dem Fall

Fernsehsender WELT bat Autor Thilo Sarrazin um ein Interview und eine Einschätzung zu dem in der Zeitung reportierten Fall. Sarrazin hatte schon früh in mittlerweile mehreren Büchern („Deutschland schafft sich ab“ (2010), dazu „Deutschland auf der schiefen Bahn“, 2024) vor den Folgen einer starken Zuwanderung aus überwiegend islamisch geprägten Ländern gewarnt.

Auf die Frage hin, ob er sich durch den Medienbericht bestätigt sehe, antwortete Sarrazin WELT, dass es ihm nicht um „Rechthaberei“ gehe, aber: „Ich fühle mich natürlich bestätigt, weil die Tendenzen, die wir hier sehen, sich seit vielen Jahrzehnten andeuten. Eine Gesellschaft muss eben schauen, wenn sie kulturell fremde Elemente integriert, dass sie das in einer Weise tut, die für alle Beteiligten verträglich ist. Und das ist auch eine Frage der Art von Kultur, die man integriert – und der Menge“, so der 80-Jährige.

Anschließend verwies er auf die Zusammensetzung der Schülerschaft der betroffenen Schule. 95 Prozent der Schüler hätten laut SZ einen Migrationshintergrund, so dass, so schätzte Sarrazin, „etwa 80 Prozent“ einen „islamischem Religionshintergrund“ haben dürften. Dort entstehe so natürlich ein „Umfeld“, in dem man sich, so Sarrazin wörtlich, „sich nicht so bewegen kann wie anderswo“.

Der Fall beinhalte demnach eine gewisse „objektive Tragik“. „Der betroffene Lehrer hat natürlich jedes Recht, so zu leben, wie er möchte, und sich auch offen dazu zu bekennen. Das ist Teil unserer Gesellschaft. Dass das hier nicht funktioniert, ist ein sehr bedenkliches Zeichen“, führte der ehemalige SPD-Politiker und Berliner Finanzsenator weiter aus.

„Mittlerweile ist die Situation in vielen Regionen und Stadtvierteln gekippt“

Was also, so die WELT-Interviewer weiter, sei denn nun zu tun, wenn Integration so offensichtlich nicht funktioniere? „Wir müssen Menschen, die bei uns sind, nehmen, wie sie sind – und versuchen, sie zu beeinflussen“, rät Sarrazin daraufhin. Dies jedoch sei auch „eine Frage der Menge“, sprich, der Größe und des Umfangs der Zuwanderung nach Deutschland.

Als er sein Buch vor nun mehr 15 Jahren geschrieben habe, „hatten wir noch andere Zahlenverhältnisse. Damals waren es auf dieser Schule vielleicht 40 oder 50 Prozent Schüler mit Migrationshintergrund. Mittlerweile ist die Situation in vielen Regionen und Stadtvierteln gekippt“. Nun müsse man eben, so führt es der studierte Volkswirt weiter aus, mit den Zuständen leben und arbeiten, die nun mal da seien.

Sorgen macht ihm in dem Zusammenhang auch, dass sich die Schulleitung „offenbar nicht offen hinter den Lehrer stellt, sondern sich feige wegduckt“. Diese, so Sarrazin, hätte deutlich sagen müssen: „In unserer Gesellschaft werden bestimmte Werte gelebt.“ Dies jedoch offenbar nicht geschehen. „Was wir hier erleben, ist ein Prozess schleichender Anpassung an Werthaltungen, die wir – die wir hier sitzen – nicht teilen und die auch gefährlich für unsere Gesellschaft sind“, sagte Sarrazin weiter.

Dies sei, so der 80-Jährige, eine Form von „Opportunismus“, die ihm Sorgen mache. „Wenn Lehrerinnen längere Röcke tragen, weil Eltern das fordern, oder wenn Lehrerinnen demnächst mit Kopftuch unterrichten – dann wird es irgendwann so sein, dass auch die Lehrer islamisch sind. Dann haben wir in der Tat totale Parallelgesellschaften. Unsere Gesellschaft kann das nicht verkraften“, lautet sein Fazit.

krott