„Es ist bekannt, dass Russland an diesem Frontabschnitt schon länger eine neue Offensive vorbereitet, und jetzt sieht es so aus, als hätte diese Offensive begonnen. Und das läuft völlig unabhängig von den Friedensgesprächen, auf die im Westen viele hoffen. Die Russen wollen eben keinen Waffenstillstand, die wollen ihre Offensive vorantreiben“, erklärt Lange, der aktuell als Senior Fellow der Zeitenwende-Initiative bei der Münchener Sicherheitskonferenz tätig ist.
Das Ziel der russischen Offensive sieht Lange aber nicht primär in Pokrowsk, sondern in der nordöstlich gelegenen Kleinstadt Kostjantyniwka. Die Stadt liegt nur etwa 25 Kilometer entfernt von Bachmut, das die Russen im Mai 2023 erobert hatten. Dabei erkennt auch Lange, dass die Russen dort Fortschritte machen. „In den vergangenen Monaten hatten die Russen dort eher Probleme, jetzt kommen wir in eine Phase, wo es eher umgekehrt läuft“, so der Militärexperte. Im Drohnenkrieg hätten die Russen tatsächlich viel von den Ukrainern gelernt und ihre Fähigkeiten stark verbessert.
Statt eines schnellen Durchbruchs der Russen fürchtet Lange aber, dass „viele weitere ukrainische Ortschaften komplett zerstört werden“. Er findet es „extrem frustrierend“, dass die Verbündeten der Ukraine nicht mehr für das angegriffene Land tun. Zwar würden Amerikaner und Europäer ihre früheren Zusagen abarbeiten, aber keine neuen Waffenlieferungen auf den Weg bringen, so Lange. „Wir könnten viel mehr tun, zum Beispiel direkt in den ukrainischen Rüstungssektor investieren. Warum tun wir das nicht?“
Schon 0,5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts würden die Lage schnell verbessern, erklärt Lange. „Und wenn ganz Europa zusammen zehn Milliarden Euro aufbringt, wäre wirklich etwas erreicht.“ Die Ukrainer hätten ihre Produktionskapazitäten bereits hochgefahren, allein die Finanzierung neuer Waffen sei ein Problem: „Die Ukraine stellt jetzt schon in einem Monat so viele Haubitzen her wie wir im ganzen Jahr.“ Auch vom neuen Bundeskanzler erwartet Lange „mehr Dampf“.
„Der Druck auf Putin reicht noch nicht aus, von Bildern und Erklärungen lässt er sich nicht beeindrucken, sondern nur von Taten.“ Putin dürfte es auch als Schwäche angesehen haben, dass die Europäer dem Kreml ein Ultimatum für einen Waffenstillstand gestellt haben, aber noch keine neuen Sanktionen vorbereitet hatten, als Putin sich der Feuerpause entzog, sagt Lange. „Putin nutzt es aus, dass wir auf Frieden hoffen und bei Waffenlieferungen zögern.“