2016 hat Joschka Fischer das nahende Ende des Westens prophezeit. Bei „Caren Miosga“ erklärt der Grünen-Politiker, warum es mit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten nun tatsächlich so weit sein könnte.

Europa steht allein. „Unser großer Bruder von jenseits des Atlantiks hat sich verabschiedet von unseren Werten und ist faktisch übergelaufen in das Lager der Autoritären“, sagte Joschka Fischer im Rahmen der Westfälischen Friedenskonferenz. In jenem befinden sich bereits die russischen Imperialisten, die Europa bedrohen. „Putin wird nicht aufhören mit seiner Aggressionspolitik“, warnte der Grünen-Politiker. Zur Frage „Müssen wir uns für Krieg rüsten, um Frieden zu sichern?“ trat er am Sonntag bei Caren Miosga auf. Als weitere Gäste begrüßte sie die Sicherheitsexpertin Jana Puglierin und den Journalisten Hauke Friederichs.

Schon 2016 habe Joschka Fischer das nahende Ende des Westens prophezeit, erläuterte Miosga eingangs. Ob es nun erreicht sei? „Die Wahl von Donald Trump lässt die These realistisch erscheinen, dass es das war mit dem Westen“, sagte der einstige Außenminister verdrossen. Insbesondere der Umgang mit Verbündeten veranschauliche die Erschütterung des Vertrauens.

Der inszenierte Rauswurf des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aus dem Weißen Haus sei ein „offener Verrat an dem Kampf der Ukraine für Demokratie“, urteilte er. „Das ist ein Vertrauensbruch, wie man es sich schlimmer nicht vorstellen kann.“ „Trump zerstört mutwillig die Welt, in die ich hineingeboren bin“, bewertete Fischer den destruktiven Kurs des US-Präsidenten. Dazu dürfe nun auch der Handelskrieg beitragen, den dieser mit den meisten Staaten begonnen hatte. „Die Welt wird dadurch nicht sicherer, sie wird nicht sich mehr entwickeln, sie wird sich nicht mehr demokratisieren“, prognostizierte der Grünen-Politiker.

Sein Ausblick fiel noch düsterer aus als jener seines Parteifreunds Robert Habeck, der die US-Zollpolitik in ihrer Wirkung mit der russischen Invasion verglichen hatte. „Die Destabilisierung des Welthandels wird uns alle schwer treffen“, erklärte er. Es nehme ihn mit, „wie dieses großartige Land durch den eigenen Präsidenten Richtung Abgrund geführt“ werde. Wie also umgehen mit Trump? Fischer gab zu Bedenken, dass dieser zwar für eine „große Macht“ spreche, doch im Grunde verliefen die Gespräche in der Politik „wie zwischen Otto und Ottilie Normalverbraucher“.

Im Falle des US-Präsidenten müsse ein künftiger Bundeskanzler beachten, dass dieser viel Wert auf Lob und Schmeicheleien lege. „Eine gewisse Geschmeidigkeit würde ich niemandem vorwerfen“, legte er vielsagend dar. Leicht werde es jedoch nicht. „Ich beneide Friedrich Merz nicht für diese Reise – wünsche ihm dennoch alles, alles erdenklich Gute, jeden Erfolg im Interesse unseres Landes und Europas.“

Zu den vielen Fragen, mit denen sich der mögliche kommende Kanzler beschäftigen muss, gehört auch jene nach der Wiedereinführung der Wehrpflicht. Die SPD bevorzuge das auf Freiwilligkeit setzende schwedische Modell, erläuterte Hauke Friederichs, wohingegen die Union eine Rückkehr zur konventionellen Wehrpflicht anstrebe. Er selbst halte die Diskussion für eine „Scheindebatte“. Vor dem Hintergrund der wachsenden Bedrohung durch Russland koste die Wehrpflicht nur wertvolle Zeit. „Bei der Bundeswehr hieß es immer: Wir haben viel Zeit und kein Geld. Jetzt heißt es: Wir haben viel Geld, aber keine Zeit.“

Bundeswehr soll als Arbeitgeber attraktiver werden

Zweifel äußerte auch Jana Puglierin an der Wiedereinführung. Die Wehrpflicht sei „keine kurzfristige Lösung für die grundlegenden Probleme der Bundeswehr“. Es mangele schlicht an der Ausbildungskapazität. Weder gebe es Munition oder Ausbilder noch Kasernenplätze oder Kreiswehrersatzämter. „Die Wehrpflicht ist eben kein Pflaster, was man mal schnell draufklebt und dann sind die Probleme behoben“, sagte die Sicherheitsexpertin. Vielmehr handele es sich um ein langfristiges Projekt, das anfangs über das Pistorius-Modell mit jährlich zehn- bis fünfzehntausend Soldaten arbeiten könne. Die Bundeswehr müsse vor allem als Arbeitgeber attraktiver werden, forderte Puglierin. Es sei eine Berufung, sich als Soldat zu verpflichten. Damit einher gingen Entbehrungen und Risikobereitschaft.

Die Politikwissenschaftlerin forderte bessere Besoldungen, Ausrüstungen und Arbeitsbedingungen für die Armee. Falls sich die kommende schwarz-rote Regierung für die Wehrpflicht ausspräche, stelle sich die Frage nach der Wehrgerechtigkeit. Die alte Ungleichbehandlung der Geschlechter würde etwa „definitiv“ zu Klagen führen. Sie sei unsicher, ob das Bundesverfassungsgericht seiner früheren Linie dazu treu bliebe.

Hadernd näherte sich Joschka Fischer der Verteidigungsdebatte. „Es ist ja nicht so, dass viele Menschen der Meinung sind, wir müssen in einen militärisch gestützten Hurra-Patriotismus umschwenken“, erklärte er, „sondern es ist Wladimir Putin, der mit seiner Bedrohung uns zwingt, darauf zu reagieren.“ Für den Elder Statesman stand allerdings fest, dass sich die offenen Gesellschaften von Europa zur Wehr setzen müssten. „Wir werden uns nicht irgendwelchen kruden imperialen Ideen unterwerfen“, beschwor er. Die finanziellen und wissenschaftlichen Potenziale Deutschlands und seiner Nachbarn müssten sich dazu verbünden. „Dann wird Europa zur Macht. Und genau darum geht es.“

Dominik Lippe berichtet für WELT regelmäßig über die abendlichen Polit-Talkshows. Der studierte Biologe ist Absolvent der Axel Springer. FreeTech Academy.