Stand: 23.05.2025 11:06 Uhr
In Hamburg wird am Wochenende das Final Four der Handball-European-League ausgespielt. Mit dabei sind Titelverteidiger SG Flensburg-Handewitt, der THW Kiel, MT Melsungen und Montpellier HB aus Frankreich. Einen klaren Favoriten gibt es nicht.
„Das Wochenende hat keinen Favoriten, nicht einmal einen kleinen“, sagte Kiels Keeper Andreas Wolff vor der Endrunde. Und doch ist es alles andere als unwahrscheinlich, dass es einen deutschen Sieger geben wird im Kampf um die zweitwichtigste Trophäe im europäischen Vereins-Handball.
Die European League ist zwar nicht die Champions League. Doch angesichts der Paarungen ist in Hamburg „Königsklassen“-Qualität garantiert. „Das könnte auch als ein Final Four der Champions League durchgehen“, findet MT-Kapitän Timo Kastening.
Am Sonnabend bestreiten ab 15 Uhr zunächst Flensburg und Melsungen das erste Halbfinale, um 18 Uhr folgt die Partie THW Kiel gegen Montpellier. Am Sonntag (18 Uhr) geht es dann im Finale um eine Siegprämie von 100.000 Euro, ums Prestige und vor allem um einen Titel.
Triumphiert Montpellier, hätte es weitreichende Folgen
Für die Flensburger steht noch etwas mehr auf dem Spiel. Seit 30 Jahren sind sie kontinuierlich in einem internationalen Wettbewerb vertreten. Eine stolze Serie, die bald reißen könnte. Denn sollte Montpellier die Trophäe gewinnen, hätte die Bundesliga in der kommenden Saison nur noch drei statt zuletzt vier Startplätze in der European League.
Der THW Kiel als DHB-Pokalsieger und der aktuelle Tabellenzweite MT Melsungen wären davon nicht betroffen. Der SG dagegen – aktuell auf Platz sechs – bliebe nur die Zuschauerrolle.
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Sollte sich aber einer der drei deutschen Clubs durchsetzen, würde der europäische Verband EHF das deutsche Kontingent höchstwahrscheinlich um einen vierten Verein aufstocken.
Flensburg reist angezählt nach Hamburg
Die Flensburger gehen als Titelverteidiger ins Turnier, mussten am Sonntag allerdings beim 28:33 gegen die Rhein-Neckar Löwen einen Dämpfer einstecken. Die zahlreich mitreisenden Fans – 800 haben auf dem offiziellen Weg Tickets erhalten – bauen auf das gute Omen einer verpatzten Generalprobe. Im vergangenen Jahr gab es in Eisenach eine unerwartete Schlappe, acht Tage später jubelte die SG auf dem Podest. Die Hoffnung ist da, eine missratene Saison noch zu einem versöhnlichen Ende zu führen.
„Wir möchten natürlich unseren Titel verteidigen. Wir wissen aber auch um die Stärken und Qualitäten der Gegner“, sagte SG-Geschäftsführer Holger Glandorf. „Wir müssen an diesem Wochenende alle zu 100 Prozent bereit sein.“
Allerdings ist der Flensburger Kader diesmal etwas schmaler. Da Simon Pytlick (Oberarmbruch) und Kay Smits (Erkrankung) seit Wochen fehlen, wird die Verantwortung für die drei Rückraum-Positionen weitgehend von nur vier Spielern geschultert.
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Nach zwölf Jahren verlässt Jim Gottfridsson im Sommer die SG. Beim Final Four der European League in Hamburg will er seinen achten Titel holen.
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Das Halbfinale bringt den vierten Vergleich in dieser Saison mit Melsungen. In Kassel siegte die MT in Bundesliga und im DHB-Pokal. Anfang März revanchierten sich die Nordlichter in ihrer „Hölle Nord“. Für Trainer Ales Pajovic, der die SG im Februar übernahm, war es das erste Duell.
Melsungen träumt von der Trophäe
Bei den Nordhessen brillierte seinerzeit der Ex-Flensburger Aaron Mensing, der nun wegen eines Achillessehnenrisses fehlen wird. Sein Club träumt von einer Trophäe, macht sich im Vorfeld aber etwas kleiner als die Konkurrenz. Der Montag brachte mit dem souveränen 33:27-Erfolg im Hessenderby gegen Wetzlar eine glänzende Einstimmung.
„Wir haben noch keinen Titel gewonnen, und es ist das erste Mal, dass wir ein internationales Final Four spielen.“
MT-Sportvorstand Michael Allendorf
Die MT marschiert ohnehin so souverän wie noch nie durch die Saison, was vor allem ein Verdienst des Trainers Roberto Garcia Parrondo ist. Der Spanier gilt als variantenreicher und akribischer Vertreter seiner Zunft – und gibt sich demütig: „Wir denken nicht über ein Finale nach, sondern nur über Flensburg und eine starke Mannschaft, die wir nur mit einem Maximum an Leistung bezwingen können.“
In seinem Team stecken in jedem Fall zwei Superlative. Rückraum-Linkshänder Dainis Kristopans ist mit 2,15 Metern der größte Spieler, und den ältesten Akteur bietet die MT auch auf. Da Stammkeeper Nebojsa Simic mit einem Kreuzbandriss lange ausfällt, wurde zur Unterstützung von Adam Morawski der 44-jährige Carsten Lichtlein reaktiviert. Er ist mit 716 Einsätzen der Rekordspieler der Bundesliga.
THW Kiel will zweiten Titel der Saison
Für die Hessen spricht die Formkurve, für den THW Kiel das Gesetz der Serie: Seit 1994 verpasste der deutsche Rekordmeister nur viermal die Champions League, gewann dafür aber jeweils den EHF-Cup – den Vorläufer der European League. Jetzt wollen die „Zebras“ nach dem DHB-Pokal einen zweiten Titel in dieser Saison ergattern.
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Die Kieler waren froh, dass die Auslosung den französischen Pokalsieger als Gegner ergeben hat. „Der Reiz gegen eine französische Mannschaft zu spielen ist höher als gegen eine deutsche“, meinte Rechtsaußen Lukas Zerbe.
Pikant: Vor zwölf Monaten lieferten sich die Schleswig-Holsteiner mit ihrem kommenden Gegner ein episches Viertelfinale in der Champions League. Montpellier gestaltete das erste Spiel triumphal mit 39:30, kassierte dann aber im Rückspiel an der Ostsee eine herbe 21:31-Klatsche.
„Wir wollen das Halbfinale wie ein Endspiel angehen“, erklärt THW-Rechtsaußen Bence Imre. „Nur wenn wir unsere Bestleistung bringen, haben wir eine Chance auf das Finale am Sonntag.“ Die Kieler werden vermutlich das größte Fan-Lager in der 13.000 Zuschauer fassenden Arena im Rücken haben.
Fruchtet Kiels interne Aufarbeitung nach Potsdam-Spiel?
Zuletzt gelang allerdings nur ein magerer 25:22-Arbeitssieg in Potsdam. „Der eine oder andere Spieler war mit dem Kopf schon in Hamburg“, ärgerte sich THW-Coach Filip Jicha und kündigte eine interne Aufbereitung an. Er sorgt sich zudem um Abwehrchef Hendrik Pekeler, der zuletzt über Kniebeschwerden klagte. Fehlen wird definitiv Linkshänder Harald Reinkind (Mittelhandbruch). Nikola Bilyk hingegen feierte in der vergangenen Woche nach einer langwierigen Oberschenkel-Blessur sein Comeback und vergrößert die Alternativen im Rückraum.
Golla: „Drei Mannschaften werden extrem enttäuscht sein“
Montpellier HB verfügt über eine internationale und erfahrene Mannschaft mit Nationalspielern aus neun verschiedenen Ländern, darunter den kroatischen Kreisläufer Veron Nacinovic, der als Nachfolger von Patrick Wiencek (Karriereende) verpflichtet wurde. Die Südfranzosen stehen derzeit auf Platz drei der französischen Liga – nur knapp hinter HBC Nantes, einem Teilnehmer des Final Four der Champions League.
Das Niveau des Hamburger Handball-Events ist also beachtlich. „Alle vier Teams haben die gleiche Chance, am Ende ganz oben zu stehen“, meint Melsungens Kristopans. Und SG-Kapitän Johannes Golla konstatierte: „Drei Mannschaften werden extrem enttäuscht sein, die vierte wird sich im Freudentaumel befinden.“ Aber welche wird es sein? Das ist die ebenso spannende wie offene Frage.
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Sport aktuell |
24.05.2025 | 15:00 Uhr