Weiter warten sie auf die Weißwurscht. Das ist kein Witz, sondern eine Wichtigkeit fürs Stustaculum. Um nichts weniger als die Goldene Weißwurscht ging es Jahr für Jahr bei dem Kleinkunst-Wettbewerb auf diesem Festival, das als Deutschlands größtes studentisches Kulturereignis gilt. Und um die zur Zeit ihres Contest-Auftritts um die Wurst-Trophäe noch gar nicht mal so berühmten Bewerber wie Martina Schwarzmann, Tobias Mann, Jess Jochimsen oder Claus von Wagner zu sehen, standen die Menschen Schlange vor der Hans-Scholl-Halle.
Und das ist der Grund des Problems, warum anders als voriges Jahr gedacht, auch beim Stustaculum 2025 noch immer keine Goldene Weißwurst ausgefochten wird. Denn im Zuge der nicht enden wollenden Sanierungen, die die Bewohnerzahl der Studentenstadt von 2500 mehr als halbiert hat, ist auch der Mehrzwecksaal noch nicht rechtzeitig fertig renoviert. Und all die vielen anderen Bühnenorte auf dem weitläufigen Gelände bieten sich einfach nicht an, erklärt Festival-Sprecher Fabian Eckl: Das Atrium zwischen den drei großen Hochhäusern als große Open-Air-Bühne vor Hunderten Biertischen: „zu wetterabhängig, zu unruhig“; das Festzelt, wo die Rock-Shows steigen: „zu groß, zu viele Hintergrundgeräusche“; die Dada Stage für die speziellen Acts und die Singer-Songwriter: „zu klein“; die zwei Kade-Stages für Subkultur und Elektro-Sounds: „ebenfalls Open-Air und die drinnen zu klein“. Nein, mit dem ehrwürdigen Kleinkunstförderpreis will man auf die ehrwürdige Hans-Scholl-Halle warten.
Die Weißwurscht ist nicht wurst, aber eben bei Weitem nicht alles. So bereiten Hunderte aktuelle und ehemalige Bewohner der Studentenstadt ehrenamtlich seit Monaten ein ausladendes Programm vor übers lange Christi-Himmelfahrt-Wochenende, von Mittwoch, 28., bis Samstag, 31. Mai. Vier Tage lang 100 Darbietungen auf vier Bühnen für 25000 Besucher zum Ticketpreis von 15 Euro sind die Eckdaten. Für jeden einzelnen Gast erweist sich dann der individuelle Besuch zwischen Bühnen, Bars, Discos und Aktionsorten so labyrinthisch wie das Gewirr der Schlangenhaare auf dem Haupt der Medusa, die in diesem Jahr als Maskottchen auf Plakaten, Tassen und T-Shirts prangt.
Die derzeit unbewohnten Hochhäuser werden jedes Jahr zur Leinwand für spektakuläre Projektionen. (Foto: Fabian Eckl)
Das Design spiele „kunstvoll mit den Mythen der Pop-Kultur“, hat sich das Kreativteam so ausgedacht; Medusa ist hier kein Schreckgespenst, sondern eine Muse, ihre Schlangenköpfe stünden sinnbildlich für die Vielfalt der Stimmen, Genres und Ideen auf dem Festival. Und sie greift selbst zum Mikro – das steht dafür, dass auf dem Stustaculum jeder seinen Raum hat, kreativ zu werden. Da gibt es Orte namens „Workshop Theater“, wo auch die Gäste in Improtheater, Poetry-Slam und Stand-up-Comedy sich ausprobieren. Bei den „Handy Hängematten“ kann man nicht nur abhängen, sondern auch T-Shirts bedrucken, seinen Body bepainten oder Blumenschmuck binden. Bei den „Sofa Sessions“ stehen für jeden Instrumente bereit, mit denen man spontan etwas darbieten kann. Im „Elysium“ findet man beim Yoga auf Electro-Beats zu sich. Und am „Proving Ground“ kann man sich sportlich beweisen, beim „Bubble Soccer“ wie beim Stustaculum-Klassiker, dem Biertraglklettern – wer noch mehr Nervenkitzel braucht, macht beim Schafkopfturnier mit (29. Mai, 11 bis 14 Uhr). So viele Action-Stationen gab es hier noch nie, da wird das Massenereignis zum ganz persönlichen Erlebnisraum.
Sieht ein bisschen aus wie Tollwood, ist aber das Stustaculum von oben. (Foto: Fabian Eckl)
Es hat immer etwas Aufregendes, als Nicht-(mehr-)Student durch dieses Akademiker-Dorf zu schlendern, die witzig gestalteten Balkone zu sehen, die kleinen Ruhe- und Feieroasen, im Brotladen einen Snack oder Kaffee einzukaufen und einen Schwatz zu halten, als bräuchte man eine Pause vom Büffeln. Aber natürlich herrscht hier beim Stustaculum Ausnahmezustand. Diese neumodischen „Food-Truck-Festivals“ – hier in Freimann scheinen sie erfunden worden zu sein, so viele Imbisswagen von Falafelei bis Creperie gibt es hier zusätzlich zu den Pavillons für Cocktails („Entenzirkus“ und „Cuba Lounge“), Wein, Bier und mehr.
Eintauchen in die studentische Lebensart können alle Besucher des Stustaculums. (Foto: Oana Baciu)
Fast hätte man die Kultur vergessen, aber übersehen und -hören kann man sie ohnehin nicht. Es wird so ziemlich jede Art von Unterhaltungsmusik geboten von Akustik-Pop (Frida) und Ska (Neuland), von Soul-Pop (Danny & The Shell Tones) und Neo-Klassik (Roman Nagel) bis zu Dark Metal weit nach Sonnenuntergang bei Dark Solstice und ganz viel „Bouncy Bitchy Beach Beats“ und anderen Electronica. Nicht alle Namen muss man schon kennen, einige Nachwuchskünstler haben der Pop-Beauftragte Oberbayerns und der bayerische Musikförderpool by.On vermittelt.
Alle Besucher sind willkommen, auch beim Konzert von „Brew Berrymore“ am Donnerstag, 29. Mai, 22 Uhr, im Festzelt. (Foto: Bernhard Schinn)
Aber nicht alles ist Kunstloses Brot (wie sich eine Art-Pop-Band hier nennt), es sind durchaus Zugnummern dabei: Einige in diesem chaotischen Programm kennt man schon länger als Stimmungsgaranten, wie Die Arschlöcherinnen („Fatherfucking Hip-Hop“), die Urban-Brass-Kapelle Loamsiada, die Indie-Folk-Feingeister Saguru, das ambitionierte Electro-Pop-Duo Fliegende Haie, das beschwingte Electro-Duo Kidsø, die Augsburger Multi-Instrumentalistin Ceci, Judy & Cocho mit ihrem „Coming Of Age“-Pop, und nicht zuletzt die vielprämierten Golden Boys des Indie-Pop Brew Berrymore, deren Motto immer auch für das des Stustaculum steht: „Komm, wie du bist, tanz, wie du tanzt, sing, wie du singst, sei, wer du sein willst“.
Seit Herbst bereiten zahlreiche Helfer ehrenamtlich das unkommerzielle Festival vor. (Foto: Fabian Eckl/David Bonello)
Anders als im ersten Jahr 1989, als das Festival mit zwölf Theatergruppen und zwei Bands startete, ist das Nichtmusikalische längst in der Minderzahl, aber es gibt noch Feuershows, Science Slam und Stand-up-Comedy – wenngleich man für die Goldene Weißwurscht auf 2026 hoffen muss. Leider vergebens warten Bar-Fans auf das Manhattan: die Dachterrassen-Lounge mit dem schönsten Ausblick über den Münchner Norden auf dem höchsten Wohnheim und der längsten Schlange am Aufzug wird es wohl nie mehr geben („Die aktuelle Politik des Studierendenwerks gegenüber der studentischen Selbstverwaltung ist ja gerade nicht so, dass Angebote und Möglichkeiten für die Bewohnerschaft ausgebaut werden“, sagt ein Insider.)
Gleichwohl ist die studentische Veranstaltungsfreude in München ungebrochen, denn auf das Stustaculum folgen die weiteren großen Festivals des „Triple Live Summers“: das Tunix (16. bis 20. Juni), das Garnix (30. Juni bis 4. Juni) und das Uni-Sommerfest (4. Juli).
Stustaculum, 28. bis 31. Mai, Mittwoch 16 bis 3 Uhr, Donnerstag 10 bis 3 Uhr, Freitag 14 bis 5 Uhr, Samstag 14 bis 5 Uhr, Studentenstadt Freimann, www.stustaculum.de