Stand: 24.05.2025 06:00 Uhr

Der Deutsch-Schwede Micke Bayart erzählt in seinem Buch „Als Pippi nach Deutschland kam“ von der besonderen Beziehung, die wir hierzulande zu diesem rothaarigen Wunderwesen haben.

von Severine Naeve

Jahrzehnte bevor „Empowerment“ zu einem Schlagwort wurde, hat Pippi Langstrumpf es allen gezeigt: Seit das erste Buch mit ihren Abenteuern vor 80 Jahren erschienen ist, hat sie alle Regeln gebrochen, die jemals für kleine Mädchen galten. Mit ihren frechen Sprüchen, ihrem Mut und ihrem einzigartigen Humor wurde Pippi zu einem Symbol für Kinderrechte und Gleichberechtigung. Und das ganz besonders in Deutschland. Denn in keinem anderen Land haben sich Astrid Lindgrens Pippi-Geschichten so gut verkauft.

„Es hat auch mit der Geschichte zu tun, warum Pippi eine wahre Ikone ist“, erklärt Autor Micke Bayart. „Sie ist damals in der Nachkriegszeit mit frischem Wind durch die ‚grauen‘ Kinderstuben gefegt und hat Farbe reingebracht. (…) Gleichzeitig war sie auch eine super Demokratiehilfe, weil sie eine Person ist, die stark ist, aber ihre Macht im guten Sinne anwendet. Das hat auch eine ganz wichtige Bedeutung nach dem Zweiten Weltkrieg gehabt. Und sie ist auch zeitlos, weil sie für Freiheit, für Mut und Selbstbestimmung eintritt.“

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Pippi Langstrumpf mit dem Affen Herr Nilson auf der Schulter. © dpa picture alliance

Gerechtigkeit und Mitgefühl leiten Pippis Handeln – ein unangepasstes Vorbild bis heute. Vor 80 Jahren erschien das Buch in Schweden.
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Ganz Westdeutschland verliebt in Pippi

Man erfährt viel über das Verhältnis zwischen Astrid Lindgren und dem Hamburger Verleger Friedrich Oetinger, der mit der Veröffentlichung von Pippis Geschichten den Grundstein für deren Erfolgsgeschichte in Deutschland gelegt hat. Fünf deutsche Verlage hatten Lindgrens Manuskripte zuvor abgelehnt. Micke Bayart zitiert Astrid Lindgrens Beschreibung ihrer ersten Begegnung mit Oetinger:

„Ein deutscher Verleger wollte mich gerne sprechen (…) und ich wartete neugierig. Herein trat ein bescheidener Herr, ein sanftmütig blickender, freundlich lächelnder Mann. Nach einem erfolgreichen Verleger sah er nicht gerade aus. Er war in der Tat recht dürftig gekleidet, aber während dieser ersten Nachkriegsjahre war es wohl in Deutschland nicht so leicht, elegant gekleidet zu sein.“
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Es entstand eine innige Freundschaft zwischen Lindgren und der Familie Oetinger, die Micke Bayart mit vielen Anekdoten ausschmückt. Dank der Oetingers war also ganz Westdeutschland verliebt in Pippi.

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Szenenbild aus dem Film "Pippi in Taka-Tuka-Land": Pippi Langstrumpf mit roten Zöpfen und Sommersprossen isst Spaghetti und schneidet sie sich mit einer Schere ab. © picture alliance / Nord Art/AF Archive/Mary Evans | AF Archive

Kinderbuchautorin Sonja Eismann spricht im Interview darüber, inwiefern die unangepasste Heldin noch Vorbild sein kann.
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„Pippi in Taka-Tuka-Land“ zu stereotyp für die DDR

Aber auch in der DDR sollten ihre Geschichten schließlich veröffentlicht werden, so Micke Bayart: „Astrid Lindgren hat schon immer den Wunsch gehabt, dass Pippi auch in Ostdeutschland erscheinen sollte. (…) Sie hat sich aber auch stark in die Arbeit mit eingebracht. (…) Letztendlich wurden nur die ersten zwei Bände veröffentlicht und ‚Pippi in Taka-Tuka-Land‘ überhaupt nicht. Ich habe herausgefunden, dass damals die DDR gesagt hat: Dieses Wort (…) werden wir so nicht übersetzen. Da war der Osten dem Westen voraus.“ Es geht um das N-Wort, dessem Rausstreichen Astrid Lindgren für die DDR-Ausgaben schließlich zugestimmt hat.

Micke Bayart veröffentlicht Schriftwechsel, die das Ringen des Ostberliner Kinderbuchverlages mit Astrid Lindgren dokumentieren. Das Buch „Pippi in Taka-Tuka-Land“ wurde in der DDR schließlich gar nicht veröffentlicht, da man die ganze Geschichte für zu stereotyp hielt. So heißt es in einem Verlagsgutachten von 1974:

„Wir übernehmen nicht alle drei Pippi-Bücher. Unsere Änderungswünsche sind von der Autorin nur zur Hälfte akzeptiert worden. (…) Das ist leise zu bedauern. Trotzdem – die Taka-Tuka-Land-Geschichte ist so wenig vertretbar, dass dieser Verzicht dafür steht. Unsere Positionen zu afrikanischen Nationen sind mit dieser bürgerlich-spießigen Interpretation nicht vereinbar.“
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Ein freches Mädchen als reales Vorbild für Pippi

Neben diesen politischen Aspekten der Pippi-Langstrumpf-Abenteuer erzählt Micke Bayart viel über Pippis Entstehungsgeschichte und interviewt zahlreiche Wegbegleiterinnen. So auch Sonja Melin, die Astrid Lindgren als optisches Vorbild für ihre Pippi diente. Sie war eine Freundin von Lindgrens Tochter Karin und war auf einem Kindergeburtstag im Jahr 1941 so aufgedreht, frech und fröhlich, dass die Autorin dachte: Das hier ist meine Pippi.

Auf einem Foto im Buch umarmt Lindgren die erwachsene Sonja Melin an deren Obststand auf dem Markt in Stockholm, wo sie zeitlebens gearbeitet hat. Die Ähnlichkeit mit Pippi ist unverkennbar. Und die knallig rothaarige Sonja Melin war stolz darauf, als Vorbild gedient zu haben: „Ich denke, die Pippi-Bücher waren eine echte Befreiung für Mädchen und Frauen. Sonst spielten doch immer nur Jungs die erste Geige, und Pippi machte uns klar: Mädchen können auch alles machen.“

Als Pippi nach Deutschland kam

von Micke Bayart

Seitenzahl:
224 Seiten
Genre:
Jugendbuch
Zusatzinfo:
Geeignet für Leserinnen und Leser ab 16 Jahren
Verlag:
Oetinger
Bestellnummer:
978-3-7512-0522-1
Preis:
20 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur |
Der Sonnabend |
24.05.2025 | 16:20 Uhr

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