Stand: 23.05.2025 23:16 Uhr

Im Fall Demis Volpi kommen immer mehr erschreckende Vorwürfe ans Licht: So soll eine 17-jährige Tänzerin des Hamburg Balletts einen psychischen Zusammenbruch erlitten haben. Betriebsrat, Intendant und Hamburgs Kultursenator halten sich jedoch bedeckt.

Das Hamburg Ballett kommt nicht zur Ruhe: Vor Kurzem hatten fünf Erste Solisten gekündigt und scheiden zum Ende der Spielzeit aus. Dann gab es einen Brandbrief von Tänzerinnen und Tänzern an den Kultursenator Carsten Brosda (SPD) – ebenso aus Düsseldorf, wo Volpi zuvor arbeitete. Nun soll eine anonyme Befragung Aufklärung bringen, NDR Kultur hat darüber berichtet. Jetzt hat „Der Spiegel“ neue Details zu den Vorwürfen gegen Volpi veröffentlicht. NDR Reporter Jonas Kühlberg ist gemeinsam mit einem NDR Rechercheteam seit einigen Wochen an der Geschichte dran.

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Ein Mann mit weißem Hemd (Demis Volpi) sitzt in einem Theatersaal mit roten Stühlen. © picture alliance / dpa Foto: Marcus Brandt

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Jonas, da ist von einem Klima der Angst und einer „toxischen Atmosphäre die Rede“. 36 Tänzer und Tänzerinnen – das ist die Mehrheit des Ensembles – hatten diesen Protestbrief unterzeichnet. Jetzt schildert der „Spiegel“ noch einen ausgesprochen schwerwiegenden Fall.

Jonas: Genau, das ist wirklich erschütternd. Bei einer Probe zu „Romeo und Julia“ Mitte Mai soll die 17-jährige Hauptdarstellerin Azul Ardizzone zusammengebrochen sein – eine Panikattacke mitten in ihrem Solo. Grund war offenbar die Anwesenheit von Volpi im Probensaal. Diese junge Frau war von Neumeier entdeckt worden und galt als großes Talent. Doch Volpi hat sie nicht ins Ensemble übernommen und soll sie in einem Gespräch verbal niedergemacht haben. Die junge Frau ist 17. Wieso ein Intendant so ein kommunikatives Verhalten zeigt – sogar gegenüber einer Minderjährigen – ist schon erschütternd. Der „Spiegel“ schreibt, das Gespräch sei für die junge Tänzerin sehr traumatisch gewesen. Sie werde seitdem psychologisch betreut. Das bestätigten dem Nachrichtenmagazin mehrere Compagnie-Mitglieder.

Die Vorwürfe beziehen sich nicht nur auf Hamburg – auch auf seinen vorherigen Arbeitsplatz als Ballettintendant in Düsseldorf. Dort haben sich Tänzer solidarisch mit dem Hamburger Ensemble gezeigt und einen Brief geschrieben, in dem sie gesagt haben, dass es auch bei ihnen mit Volpi schwer gewesen sei.

Jonas: Ich war letzte Woche selbst in Düsseldorf und konnte dort mit einigen Ensemble-Mitgliedern anonym sprechen. Die Schilderungen sind teilweise noch drastischer als in Hamburg. Eine Tänzerin berichtete mir von persönlichen Demütigungen und von Machtspielchen. Eine andere Tänzerin sagte mir: „Man konnte Volpi nicht vertrauen.“ An einem Tag sei man von ihm hochgelobt worden und am anderen Tag bloßgestellt. Verabredet war übrigens auch ein Interview mit dem dortigen Betriebsrat. Das Interview wurde allerdings wenige Stunden per SMS abgesagt – mit der Begründung, dem Betriebsrat wurde von der Stadtpolitik untersagt, mit der Presse zu sprechen.

Das klingt ja drastisch. Und ein Betriebsrat, der sich nicht äußern darf – wie konnte es soweit kommen? Wer trägt da Verantwortung?

Jonas: Da kommen wir zum politischen Aspekt der Geschichte. Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda hat eine Findungskommission geleitet und ist als Aufsichtsratsvorsitzender der Staatsoper – wenn man so will – Volpis Chef. Erstaunlich ist: Man hat sich in Hamburg offenbar nicht gründlich genug über Demis Volpi informiert. Im „Spiegel“ gibt Brosda zu, er habe weder beim Düsseldorfer Intendanten noch beim Betriebsrat nachgefragt. Uns gegenüber, dem NDR, wollte er auch heute auf unsere erneute Anfrage hin kein Interview geben.

Und was sagt Volpi zu all diesen Vorwürfen?

Jonas: Er duckt sich weg. Mit dem „Spiegel“ und uns wollte er nicht sprechen. In der letzten Woche gab es aber ein Treffen mit der Compagnie. Uns gegenüber sagten einige, die dabei waren, dass er die Kritik nicht einsehen würde.

Und wie könnte es jetzt weitergehen?

Man merkt bei Carsten Brosda, dass er alle Möglichkeiten durchspielt. Dem „Spiegel“ sagte er, er prüfe bei Volpi, ob noch eine Arbeitsgrundlage existiere. Aktuell gibt es eine anonyme Befragung aller Tänzer: eine sogenannte Gefährdungsbeurteilung. Die Ergebnisse sollen in der übernächsten Woche vorliegen. Und dann wolle sich auch er äußern. Am Sonntag ist übrigens eine Ballettwerkstatt in der Staatsoper angekündigt. Demis Volpi will hier Einblicke in seine Arbeit an seinem Stück „Demian“ geben. Das ist Volpis erstes abendfüllendes Stück für das Hamburg Ballett und es soll Anfang Juli Premiere haben. Aber erstmal wird man sehen, ob der Intendant sich bei der Ballettwerkstatt am Sonntag öffentlich zeigen wird.

Das Gespräch führte Annette Matz.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur |
Der Nachmittag |
23.05.2025 | 17:20 Uhr

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Tanz

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