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Die Inflation steigt, die Einnahmen sinken: Die Probleme der russischen Wirtschaft türmen sich zunehmend auf. Vor Putin stünden schwierige Entscheidungen, sagt Experte Janis Kluge im Interview.

Inflationsraten von mehr als zehn Prozent, hohe Zinsen, stagnierende Produktion: Der russische Wirtschaftsmotor stottert. Der Überfall auf die Ukraine geht nicht spurlos an den Angreifern vorbei, auch weil westliche Sanktionen zusätzlichen Druck auf die russische Wirtschaft ausüben. Hinzu kommen horrende Ausgaben für die Rüstungsindustrie und die heimische Rekrutierung für den Krieg, die immer weiter steigen.

Der Ökonom und Russland-Experte Janis Kluge sieht den russischen Präsidenten Wladimir Putin in diesem Jahr vor schwierigen Entscheidungen: „Voraussichtlich wird es im Sommer Einschnitte geben, um den Haushalt auszubalancieren“, sagt Kluge im Interview mit t-online. Der stellvertretende Leiter der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt außerdem, welche Probleme Russlands Wirtschaft noch hat und warum die Russen dennoch bisher nicht gegen den Kreml aufbegehren.

t-online: Herr Kluge, kann sich Wladimir Putin seinen Krieg gegen die Ukraine noch leisten?

Janis Kluge: Bisher ja. Und auf absehbare Zeit wird sich Putin den Krieg weiter leisten können. Trotzdem ist die Frage gerechtfertigt, denn besonders in diesem Jahr hat sich die Situation für Russland verändert.

(Quelle: SWP)

Janis Kluge ist ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler. Er ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Seine Schwerpunkte sind Russland und China, insbesondere die russische Innenpolitik und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Zudem beschäftigt sich Kluge eingehend mit Wirtschaftssanktionen. Er promovierte an der Universität Witten/Herdecke.

Die Wirtschaft ist stärker überhitzt, die Inflation wird zunehmend zum Problem und durch den derzeit niedrigen Ölpreis sind die Einnahmen nicht mehr so groß. Dennoch ist Russland bislang nicht an dem Punkt, an dem Putin die Wirtschaftslage in seinen strategischen Kriegsplänen einbeziehen müsste.

Kann der Kremlchef also immer noch schalten und walten, wie es ihm beliebt?

Nein, so frei ist er dann doch nicht. Die Wirtschaftslage führt zu Verteilungs- und Zielkonflikten. Putin muss sich besser überlegen, wofür er Geld ausgibt.

Wie sieht das konkret aus?

Voraussichtlich wird es daher im Sommer Einschnitte geben, um den Haushalt auszubalancieren. Dann geht es um Fragen wie: Wo kann Russland sparen? Werden die Steuern wie bereits zum Jahresanfang nochmals erhöht? Können Großprojekte, etwa bei der Infrastruktur, weiterverfolgt werden? Diese Entscheidungen sind schwierig.

Video | Russland zeigt skurriles Kriegsgerät

Quelle: t-online

Letztlich könnte die Bevölkerung leiden, wenn etwa an Sozialleistungen gespart wird.

Womöglich. Bisher waren Sozialausgaben aber von Einsparungen ausgenommen. Zwar sieht der aktuelle Haushalt etwa weniger Ausgaben für das Rentensystem vor. Doch das liegt an der Rentenreform von 2018: Seitdem steigt das Rentenalter alle zwei Jahre um ein halbes Jahr. Dadurch gibt es weniger Rentner und der Kreml muss weniger zuschießen. Während des Ölpreiseinbruchs 2014/2015 wurde der Haushalt auch auf niedrigere Einnahmen aus diesem Sektor ausgerichtet. Russland hat seine Staatskasse vor dem Krieg gut aufgestellt.

Darüber hinaus steigen Jahr für Jahr die Militärausgaben des Kremls. Das kann doch nicht spurlos am Haushalt vorbeigehen?

Das ist seit Beginn der Vollinvasion so. Die Ausgaben haben sich bei etwa sieben bis acht Prozent des BIP eingependelt. Allein im ersten Quartal 2025 gab der Kreml aber schon sehr viel aus, deutlich mehr als im Vorjahresquartal. Das bedeutet nicht, dass Russland den Rest des Jahres weniger ausgeben wird, sondern dass die Militärausgaben wieder ansteigen werden. Je länger der Krieg dauert, desto teurer wird er für Putin.

Woher kommen die Mehrausgaben im Militärsektor?

Dabei geht es vor allem um Rüstungsaufträge und die Rekrutierung. Die Mehrkosten für beide Posten sind in etwa gleich hoch. Einerseits kann Russland beim Militärgerät nicht mehr so sehr auf Altbestände zurückgreifen. Es muss also mehr neu produziert werden, was die Kosten in die Höhe treibt. Andererseits setzt der Kreml bei der Rekrutierung auf Freiwilligkeit und finanzielle Anreize. Wer sich meldet, bekommt einen hohen Anwerbebonus.

imago images 0817830335Vergrößern des BildesMilitäreinheiten auf dem Roten Platz in Moskau zur Parade am „Tag des Sieges“ (Archivbild): Die Rekrutierungszahlen in Russland waren zuletzt hoch, gingen zwischenzeitlich aber wieder leicht zurück. (Quelle: IMAGO/Shatokhina Natalia/imago)