Ruben Höppner | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Ruben Höppner|Foto: Markéta Kachlíková, Radio Prague International

Anthea ist ein Verlag, der die tschechische Literatur deutschsprachigen Leserinnen und Lesern näherbringt. Können Sie diesen Verlag vorstellen?

„Unser Verlag fokussiert sich auf ‚junge‘ und diverse Literatur aus Mittel- und Osteuropa, eben auch Literatur aus Tschechien. Ich habe daran persönlich großes Interesse, weil ich selber Tschechisch-Übersetzer bin, Bohemistik studiert habe und einen engen Bezug zu Tschechien habe.“

„Unser Verlag fokussiert sich auf ‚junge‘ und diverse Literatur aus Mittel- und Osteuropa, eben auch Literatur aus Tschechien.“

Hat dieser Fokus auf die Literatur aus Mittel- und Osteuropa schon eine längere Tradition in dem Verlag?

„Ja, tatsächlich. Die bisherige Verlegerin kommt aus Bulgarien und hatte immer schon ein Faible für Mittel- und Osteuropa, eben Albanien, Bulgarien, Slowakei, Tschechien. Leider ist ihr Mann 2020 verstorben. Sie hat den Verlag noch eine Weile weitergeführt, dann hat sie aber die Schlüssel an mich übergeben. Ich habe diesen Verlag in gewisser Weise neu gegründet, bleibe aber der Tradition treu.“

Ist es schwierig, sich gerade mit diesem Fokus auf dem Buchmarkt durchzusetzen? Gibt es Interesse an den Büchern aus diesen Ländern?

„Ich würde es nicht machen, wenn ich nicht davon überzeugt bin, dass es das Interesse gibt.“

„Das ist eine sehr schöne Frage, die ich kurz beantworten würde mit ‚weiß ich nicht, weil ich noch nicht so lange in diesem Business unterwegs bin‘. Aber ich würde es nicht machen, wenn ich nicht davon überzeugt bin, dass es das Interesse gibt. Ich glaube, dass der kulturelle Raum Mittel- und Osteuropa sehr viel für die deutschsprachige Bevölkerung zu erzählen hat und dass es eigentlich eine große Nachfrage nach diesen Geschichten gibt, weil unsere Länder, also Tschechien und Deutschland, Nachbarländer sind. Wir haben die längste Außengrenze nach Tschechien. Viele Familiengeschichten sind verwoben in unserem Verlag, der Großvater einer unserer Mitarbeiterinnen ist Tscheche… Also wir haben viele Verbindungen.“

Wie groß ist der Verlag? Wie viele Bücher werden pro Jahr herausgegeben?

„Wir geben momentan zwischen zwölf und 20 Bücher im Jahr heraus.“

Wie groß ist der Anteil der tschechischen Literatur an diesen Büchern?

„Der Anteil ist sehr groß, es sind momentan zwischen vier und sechs Bücher aus dem tschechischen Raum.“

Verlag auf der Leipziger Buchmesse | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Verlag auf der Leipziger Buchmesse|Foto: Markéta Kachlíková, Radio Prague International

Für die Auswahl dieser Titel sind Sie persönlich zuständig?

„Ja, ich kuratiere das Programm. Ich versuche, mit vielen Menschen in Kontakt zu sein, denen ich vertraue – aus Tschechien, aber auch aus Deutschland. Ich möchte ein vielfältiges Programm haben, wo jeder Mensch etwas für sich findet.“

In der jüngsten Zeit wurden drei Bücher herausgegeben. Eines davon wird auch in Leipzig präsentiert. Was für Bücher sind es?

„Im aktuellen Programm haben wir drei Bücher, die in gewisser Weise nicht unterschiedlicher sein könnten. Wir haben einmal Jakub Stanjura und seinen Roman ‚Da war doch nichts‘, ein belletristisches Buch über das Thema Gaslighting in Beziehungen. Das wird heutzutage immer wichtiger, weil es um eine Form der Gewalt geht, die lange nicht betrachtet wurde. Stanjura schreibt darüber auf eine sehr eindrückliche Art und Weise, und ich möchte, dass mehr Menschen darüber erfahren. Das zweite Buch ist von Patrik Banga im Originaltitel ‚Skutečná cesta ven‘ (auf Deutsch: ‚Z******* lügen – Die wahre Geschichte eines Rom‘). Dort habe ich im Titel das Z-Wort benutzt, weil Banga von einer Diskriminierungserfahrung in Tschechien spricht.

„Im aktuellen Programm haben wir drei Bücher, die in gewisser Weise nicht unterschiedlicher sein könnten.“

Er war der Erste, der als Rom den tschechischen Literaturpreis Magnesia Litera 2022 gewonnen hat. Und ich finde, diese Geschichte soll auch in Deutschland bekannter werden. Das dritte Buch, das wir jetzt im Programm haben, ist ‚Tote Schwäne tanzen nicht‘ von Miřenka Čechová. Es ist ein Coming-of-Age-Roman, Erzählungen einer jungen Frau, die sich durch die Ballettschule kämpft und irgendwie ihren Ausweg auch im Nachtleben der Prager 1990er Jahre sucht. Wie man eben sieht, die Bücher sind unterschiedlich, aber alle relevant und wichtig und schön zu lesen. Und ich freue mich sehr, dass ich sie veröffentlichen durfte.“

Tschechische Beteiligung an der Leipziger Buchmesse | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Tschechische Beteiligung an der Leipziger Buchmesse|Foto: Markéta Kachlíková, Radio Prague International

Es handelt sich um Bücher keiner erfahrenen Autoren, sondern eigentlich um Debüts, in allen drei Fällen. Ist das Zufall oder Absicht?

„Es klingt doof, es ist beides. Ich möchte jungen AutorInnen oder DebütautorInnen Raum geben, weil ich finde, dass der deutschsprachige Buchmarkt sie oft übersieht, weil man die großen Namen nutzt, die im Mainstream unterwegs sind. Das möchte ich ändern und diese Bücher irgendwie nach Deutschland bringen. Und gleichzeitig ist es Zufall, weil diese Bücher einfach gut sind und dann halt Debütromane. Wir werden von allen dreien, glaube ich, in Zukunft noch mehr hören. Und das ist schön, so etwas mitbegleiten zu können.“

Sind diese drei AutorInnen Ihre Entdeckung für Ihren Verlag?

„Ja, alle drei sind meine Entdeckung. Patrik Banga ist für mich eine ganz persönliche Geschichte, weil ich meine Doktorarbeit über die Repräsentation von Roma in der tschechischen Popkultur schreibe. Da bin ich über das Buch gestolpert und habe es gelesen. Ich saß an der Moldau und habe es an einem Abend durchgelesen und war geflasht und wollte es erst selber übersetzen.

„Ich dachte, das müssen mehr Menschen lesen.“

Ich dachte, das müssen mehr Menschen lesen. Dann habe ich den Verlag übernommen und dachte, das möchte ich als erstes machen. Genauso ist es bei Miřenka Čechová: Ich habe das Buch gelesen und dachte, das ist coole tschechische Literatur, mal etwas Neues, mal etwas Anderes. Und bei Jakub Stanjura habe ich das Cover gesehen, das Buch aus dem Regal genommen und hielt es für sehr interessant. Und so ist es dann passiert.“

Sie erwähnen Ihre Forschungsarbeit. Sie haben Bohemistik studiert und sind auch Tschechisch-Übersetzer. Wie eng oder wie intensiv stehen Sie mit Tschechien in Kontakt?

Tschechische Bücher | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Tschechische Bücher|Foto: Markéta Kachlíková, Radio Prague International

„Es kommt natürlich immer auf die Menschen an. Ich habe viele Freunde, viele Bekannte in Tschechien. Ich bin in dem Kulturbetrieb mit den Menschen in Kontakt, was sehr schön und hilfreich ist. Mit den Verlagen, mit den SchriftstellerInnen, natürlich viel auch mit den ÜbersetzerInnen. Auch durch mein Studium in Prag habe ich viele Kontakte. Aber leider bin ich zu selten in Tschechien. Eigentlich müsste ich jede Woche dorthin fahren.“

Wie kam das eigentlich zustande, dass Sie sich für Tschechisch und die tschechische Literatur entschieden haben?

„Bei der Online-Anmeldung habe ich mich vertippt, und Tschechisch war mein Hauptfach und Russisch mein Nebenfach. Nach einem Jahr war ich verliebt in die Sprache.“

„Auf Tschechisch würde man sagen ‚omylem‘. Das ist ein bisschen per Zufall entstanden. Ich hatte eigentlich vor, Russisch zu studieren und habe ein zweites Fach gebraucht. Da hatten wir unsere Abschlussfahrt nach Prag. Ich fand die Stadt wunderschön, die Sprache klang ein bisschen slawisch, aber auch kompliziert. Also war die Entscheidung für mein Nebenfach gefallen. Bei der Online-Anmeldung habe ich mich vertippt, und Tschechisch war mein Hauptfach und Russisch mein Nebenfach. Nach einem Jahr war ich verliebt in die Sprache und habe dann sogar Russisch abgewählt und Germanistik studiert, Ich bin da hängen geblieben und bereue keinen Tag.“

Sie sind auch an der Universität Potsdam tätig…

„So ist es. Ich bin dort Dozent und arbeite an meiner Doktorarbeit. Wir machen Kurse über Übersetzungswissenschaft, Popkultur im europäischen Raum, auch in Verbindung mit Politikwissenschaft. Das ist ein großer Teil, den ich auch nicht aufgeben will, weil ich finde, Bildung ist immens wichtig.“

Lesung von Jakub Stanjura auf der Leipziger Buchmesse | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Lesung von Jakub Stanjura auf der Leipziger Buchmesse|Foto: Markéta Kachlíková, Radio Prague International

Und wie groß ist das Interesse an dem Studium der tschechischen Sprache, Literatur und Kultur hier in Deutschland beziehungsweise in Potsdam?

„Ich würde am liebsten lügen, ich muss aber ehrlich sein: Das Interesse schwindet, so ist mein Empfinden. Ich glaube, weil viele Menschen nicht wissen, was sie mit der Sprache anfangen sollen, wo sie unterkommen, weil wir in schwierigen Zeiten leben, das Geld wird weniger, die Inflation… Viele Menschen machen sich Sorgen und gehen deswegen kein Risiko mehr ein. Und Risiko bedeutet eben, etwas Kleineres zu studieren, etwas Außergewöhnliches. Deswegen ist meine Erfahrung, dass das Interesse gerade schwindet, aber es ist immer noch da und kann auch wieder geweckt werden. Vielleicht eben auch durch junge und besondere Literatur.“

Und wie sieht es mit der tschechischen Literatur in deutschen Übersetzungen aus. Gibt es da genug Angebot?

„Jetzt sind die kleineren Verlage an der Reihe.“

„Genug gibt es definitiv nicht. Ich finde, die tschechische Literatur und auch die slowakische bieten viel mehr als das, was gerade auf dem Markt ist. Auch viel mehr Vielfalt. Wir können zum Beispiel auf die Kinderliteratur gucken. Es gibt so viel schöne Kinderliteratur aus Tschechien, die absolut in Deutschland funktionieren könnte. Aber auch Erwachsenenliteratur, Belletristik gibt es zu wenig. Das Interesse ist jedoch da. Und ich glaube, es wird wachsen. Nur ist das Interesse noch nicht so divers, sondern es gibt einige Namen, die auch bei großen Verlagen sind. Jetzt sind die kleineren Verlage an der Reihe, finde ich. Deswegen mache ich das aus Überzeugung heraus und freue mich auf die nächsten Jahre.“