Stand: 24.05.2025 16:51 Uhr

Der frühere Bundesagrarminister Özdemir ist nun auch offiziell der Spitzenkandidat der Grünen in Baden-Württemberg. Er erhielt auf dem Landesparteitag 97 Prozent der Stimmen. In Umfragen zur Landtagswahl 2026 liegen die Grünen aktuell hinter der CDU.

Von Henning Otte, Mirela Delić

Die Grünen BW haben den früheren Bundesagrarminister Cem Özdemir zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im März 2026 gekürt. Der 59-Jährige erhielt beim Landesparteitag in Heidenheim 97 Prozent der Stimmen. Özdemir soll dafür sorgen, dass die grüne Ära in BW nach 15 Jahren unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann weitergeht.

In seiner Bewerbungsrede sagte der langjährige Bundespolitiker: „Ich bin Cem Özdemir und ich will Ministerpräsident von Baden-Württemberg werden.“ Zuvor hatte Kretschmann sich bei Özdemir bedankt, dass er seine Nachfolge antreten wolle. Özdemir sei sturmerprobt und erfahren, er wisse wie man ein Land führen kann. „Er ist aus Ministerpräsident-Holz geschnitzt – durch und durch“, lobte der 77-Jährige, der nach drei Wahlperioden nicht mehr antreten will.

Özdemir warnt CDU vor Siegessicherheit

Özdemir sagte jedoch auch: „Ich will keine Erbe und Thronfolge antreten, wir leben schließlich nicht in einer Monarchie. Ich will ein neues Kapitel aufschlagen.“ Er setze auf „Zusammenhalt und Zukunftskraft“ in BW. An den derzeitigen Koalitionspartner in BW, die CDU, richtete der Kandidat eine Warnung: „Liebe CDU, freu dich nicht zu früh.“ Manche in der CDU seien schon sehr siegessicher angesichts der Umfragewerte, die die Union gut zehn Prozentpunkte vor den Grünen sehen. Özdemir sagte: „Der Vogel, der morgens singt, den holt abends die Katz‘.“

Grüne müssten für Sieg über sich hinauswachsen

Özdemir versprach vollen Einsatz für den Wahlkampf in den nächsten Monaten. „Ich werde jeden Winkel aufsuchen und mich stellen.“ Nichts sei so wichtig wie das persönliche Gespräch mit den Menschen. Angesichts des Rückstands in den Umfragen sagte er aber auch: „Wir werden über uns hinauswachsen müssen.“  

Der Spitzenkandidat will vor allem dabei helfen, dass die kriselnde Wirtschaft wieder nach vorne kommt. „Grüne Transformationsprosa wird nicht ausreichen“, sagte Özdemir. Doch die Autoindustrie müsse dringend die Elektromobilität in den Vordergrund rücken. „Wenn wir Autoland bleiben wollen, müssen wir in Siebenmeilenstiefeln Batterieland werden.“ Doch auch die Menschen in BW müssten wieder stärker mit anpacken. Es gehe um „neue Leistung und Anstrengung: Wir müssen uns die Wirklichkeit zumuten“.

Özdemirs Hauptgegner wird der CDU-Landes- und Fraktionschef Manuel Hagel sein. Die CDU BW hat den 37 Jahre alten Hagel vergangenes Wochenende zum Zugpferd für die Wahl bestimmt.

Özdemirs Mission: Rückstand in Umfragen auf CDU aufholen

Die politische Ausgangslage für Özdemir ist allerdings schwierig. Die Grünen, die bei der Wahl 2021 dank Kretschmann noch den Rekord von 32,6 Prozent schafften, liegen im BW-Trend nur noch bei 20 Prozent. Der kleine Koalitionspartner CDU – auch dank Berliner Rückenwind – bei 31 Prozent. Zwar ist der Wert der Landes-Grünen noch immer deutlich über dem Niveau der angeschlagenen Bundespartei von knapp 12 Prozent, doch die Sorgenfalten der grünen Strategen sind tief. Denn die Grünen auf Bundesebene haben nach der Wahlniederlage im Bund auch noch ihr Vorzeige-Personal Robert Habeck und Annalena Baerbock verloren.

Ist der Traum von der grünen Volkspartei ausgeträumt?

Umso mehr Hoffnung setzen die Grünen in BW auf Özdemir, den selbsternannten „anatolischen Schwaben“. Vielleicht ist es ja ganz gut so, dass die Bundes-Grünen nicht so im Fokus stehen, zuletzt haben Habeck und Baerbock auch stark polarisiert. Stattdessen sollte sich der Blick voll nach BW richten – denn hier steht am 8. März der erste große  Stimmungstest auch für Kanzler Friedrich Merz (CDU) an. Für die Grünen muss eine Antwort auf die Frage her: Ist der Traum von der grünen Volkspartei ausgeträumt? In BW hat Kretschmann seine Partei in drei Wahlen dort hingebracht. Nun muss Özdemir zeigen, ob er ähnliche Zugkräfte hat wie sein 77-jähriges Vorbild.

Özdemir betont schwäbische Wurzeln

Er, der Sohn türkischer Eltern, die Anfang der 60er Jahre nach Deutschland kamen, sich hier kennenlernten und in Bad Urach (Kreis Reutlingen) niederließen. In seinem Bewerbungsschreiben vom Oktober hieß es: „Ich bin in Bad Urach, am Fuße der Schwäbischen Alb, geboren und aufgewachsen. Unser Land hat meine Werte, meine Überzeugungen und meine Sicht aufs Leben geprägt. Es hat mir Chancen eröffnet, mich gefordert und geerdet.“ Wie Kretschmann ist Özdemir bemüht, seine ländlichen Wurzeln zu betonen, fällt bei Vor-Ort-Terminen sofort ins Schwäbische.

Und dennoch prallen beim Vergleich von Özdemir und Hagel Gegensätze aufeinander. Denn der langjährige Stuttgarter Bundestagsabgeordnete und überzeugte Berlin-Kreuzberg-Bewohner wird eher als urbaner, akademischer Kandidat wahrgenommen. Ein Vegetarier und Fahrradfahrer. CDU-Landes- und Fraktionschef Hagel kommt aus Ehingen (Alb-Donau-Kreis), war dort Filialleiter der Sparkasse und lebt auch noch dort. Er sagt gern von sich: „Bei mir ist nichts besonders, bei mir ist alles ganz normal.“

Der studierte Sozialpädagoge Özdemir gilt unter vielen Grünen als Idealbesetzung für Kretschmanns Nachfolge. Der Mann ist bundesweit bekannt und politisch erfahren, er gilt als äußerst pragmatisch und guter Redner. Bei der Bundestagswahl gewann er seinen Stuttgarter Wahlkreis mit 40 Prozent der Stimmen und wurde Stimmenkönig seiner Partei – kein Direktkandidat und keine Direktkandidatin der Grünen schnitt besser ab als er.

Özdemir deutlich bekannter und beliebter als Hagel

Das alles wirkt sich auch im jüngsten BW-Trend aus: Wenn die Menschen in Baden-Württemberg ihren Ministerpräsidenten direkt wählen könnten, würden sich 39 Prozent für den designierten Grünen-Kandidaten Cem Özdemir entscheiden. Nur etwa halb so viele (18 Prozent) würden Hagel vorziehen. Der Vorsprung von Özdemir hat laut Infratest dimap viel mit der Bekanntheit des ehemaligen Bundeslandwirtschaftsministers zu tun. Er wird von 48 Prozent für seine Arbeit gelobt. An die Popularität von Kretschmann reicht er aber nicht heran. Der Regierungschef erhält Zuspruch von 61 Prozent. Hagel überzeugt aktuell mit 21 Prozent gut ein Fünftel.

Teil der CDU-Anhänger sympathisiert mit Özdemir

Bei den Grünen ist sehr genau zur Kenntnis genommen worden, dass die Anhänger der Grünen mit 89 Prozent recht geschlossen hinter Özdemir stehen – und dass es bei der CDU anders aussieht. Nur 41 Prozent der CDU-Wählerinnen und -Wähler geben an, sie würden bei einer Direktwahl Hagel ihre Stimme geben. 25 Prozent tendieren dagegen zu Özdemir. Allerdings werden der CDU in fast allen Politikbereichen die meiste Kompetenz zugeschrieben.

Hoffnung macht den Grünen die Erinnerung an die Landtagswahl 2016. Noch im Wahlkampf Ende 2015 lag die CDU mit rund 40 Prozent in den Umfragen weit vor Kretschmanns Partei. Am Ende gewannen die Grünen.

Sendung am Sa., 24.5.2025 13:00 Uhr, SWR1 BW Nachrichten

Mehr zu Özdemir

Südwestrundfunk