Die Kunden in Halle waren in den vergangenen Wochen einfach nur sauer. Tagelang keinen Brief im eigenen Postkasten zu finden, sorgt eben für Frust. Besonders, wenn man ein Schreiben dringend erwartet – den Umschlag mit den Tickets für das DFB-Pokalfinale von Arminia Bielefeld zum Beispiel.
Jahrzehntelang war die Deutsche Post ein Inbegriff für Verlässlichkeit: perfekt organisiert, pünktlich bei Wind und Wetter. Und jetzt bleiben Briefe tagelang im Zustellstützpunkt liegen. Wenn selbst die Post schwächelt, ist das dann nicht der Inbegriff für die Abwärtsspirale unserer Wirtschaft? Man könnte schlussfolgern: Es braucht mehr Personal, mehr Einsatz der Belegschaft – kurz: mehr Arbeit. So wie es Bundeskanzler Friedrich Merz ja zuletzt öffentlichkeitswirksam gefordert hat – assistiert vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW): Wir müssen alle mehr tun.
Wer aber – wie das „Haller Kreisblatt“ vor Kurzem – hinter die Kulissen blickt, der hört eine andere Erzählung. Selbst begeisterte und über Jahre sturmerprobte Zusteller berichten, dass ihr Pensum eigentlich nicht mehr zu schaffen sei. Von Krankenständen bis zu 50 Prozent in Halle ist die Rede. Alle verweichlicht, nicht mehr belastbar?
„Knackiger Job“ verlangt Haller Zustellern viel ab
Fakt ist: Die Belegschaft bei der Post arbeitet schon sehr viel. Als „knackig“ bezeichnet selbst Post-Sprecher Rainer Ernzer den Job gegenüber dem HK – um gleich anzufügen: Früher habe man inklusive Pause ja bis zu 10,75 Stunden täglich arbeiten müssen. Heute seien es nur noch maximal 8,6 Stunden.
Wobei dieses „nur noch“ schon ein bisschen zynisch klingt. Denn mit diesem Stundenpensum sind die Post-Mitarbeitenden schon sehr weit vorne im Fleißranking. Und dürfen sich dabei noch mit Paketen von bis zu 31,5 Kilogramm Gewicht abschleppen. Deren Aufkommen seit Corona zudem explosionsartig gestiegen ist. Klingt irgendwie nicht so, als müsste bei der Post im Merz’schen Sinne dringend noch eine Schippe draufgelegt werden.
Das Problem in der Branche: Wenn die Uhr Feierabend anzeigt, ist der Bulli des Zustellers meist noch nicht leer. Da hilft es wenig, wenn man auf dem Papier weniger arbeiten muss – der Druck ist einfach da. Die Post rechnet die Krise auf Anfrage einfach weg: Temporär war mehr los, dass so viele Pakete verschickt werden, konnte niemand ahnen – wir stellen jetzt Personal ein und kommen wieder in ruhiges Fahrwasser.
Post fährt Sparkurs – Mitarbeitende spüren Druck
Viele Sendungen und ein hoher Krankenstand brachten den Logistiker an die Kapazitätsgrenzen.
(© Marc Uthmann)
Doch die Probleme liegen tiefer: Denn wo soll der Logistiker Mitarbeitende finden, die ihm über Jahre die Treue halten so wie das begeisterte Stammpersonal? Nur mit dem Versprechen, täglich an der frischen Luft zu sein und viele Menschen zu treffen, lässt sich heute kaum noch jemand locken.
Wirtschaft im Wandel: Diese Gewerbeflächen werden zum Auslaufmodell
Denn auf der anderen Seite der Waagschale liegen eine Menge Zeitstress, körperlich anstrengende Tage und Arbeitszeiten am oberen Ende der Skala unseres modernen Berufslebens. Und ein potenzieller Arbeitgeber, der aufgrund des knallharten Wettbewerbs einen Sparkurs fährt und für den das klassische Briefgeschäft immer weniger lukrativ ist. Am Ende spüren die Zusteller den Druck – und ernten zumeist auch den Frust an der Haustür. Dieser Strukturwandel bei der Post macht die Suche nach neuem Personal also zumindest nicht einfacher.
Dabei ist es für den gelben Riesen essenziell, seine Sendungen wieder in den Griff zu kriegen und den Glauben an die eigene Verlässlichkeit bei den Kunden zu stärken. Denn sonst werden die sich noch schneller vom klassischen Brief abwenden, als sie es seit vielen Jahren ohnehin schon tun. Wer nicht auf rechtzeitige Zustellung vertrauen kann, sucht sich eben digitale Wege.
Vielleicht hat die Post auslaufendes Briefgeschäft einkalkuliert
Vielleicht hat die Post das auch schon längst einkalkuliert – aber ohne motivierte Boten, die für sie die lukrativeren Pakete durch die Lande schleppen, hat sie keine Perspektive.
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