Brigitte Deike spricht langsam mit den vier jungen Männern an ihrem Tisch. Ein Stimmengewirr füllt den hohen Innenhof des Kunsttempels. „Ich habe großen Respekt davor, mit welcher Energie sie fast jeden Tag hierher kommen und lernen“, sagt die Dresdnerin. Für manche ist Deutsch die erste Sprache, die sie lesen und schreiben lernen – Brigitte Deike berührt das besonders.

Erste Hilfe im heißen Sommer der Migration

Seit fast zehn Jahren gibt es diese ABC-Tische nun schon. Alles begann im heißen Sommer 2015, als Zehntausende Menschen nach Deutschland über die Grenze kamen. In Dresden wurden sie in einem improvisierten Zeltlager in der Friedrichstadt untergebracht: Hunderte Menschen auf engstem Raum unter der sengenden Sonne. Da hatte Stefan Mertenskötter eine Idee. Er war damals Geschäftsführer des Umweltzentrums Dresden, das den stillgelegten Äußeren Matthäusfriedhof auf der anderen Straßenseite betreibt.

Der sollte ein Ort für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung werden – plötzlich lebten Betroffene von Kriegen in Rufweite. „Da war es für uns ganz naheliegend zu sagen: Leute, es ist heiß, es sind viele Kinder da, wir haben Schattenfläche, wir haben Grün, wir haben Rasen – kommt rüber!“, erinnert sich Mertenskötter. Erst ging es nur um etwas Abkühlung und Spielangebote für die Kleinsten. Doch bald wurde klar: Gebraucht wurde viel mehr.

Unterschlupf in SKD wird feste Adresse

„Wenn man hierher kommt, muss man die Sprache können“, sagt Hiltrud Greuel. Sie gehörte damals zu den ersten Ehrenamtlichen, die anfingen, mit den Geflüchteten das deutsche Alphabet zu lernen. An Tischen unter den Bäumen des Friedhofs, die sie bald ABC-Tische nannten. Als der Herbst einzog und es kälter wurde, boten ihnen die Staatlichen Kunstsammlungen im Albertinum Asyl. Bis heute.

Projekt lebt von Ehrenamtlichen

Hiltrud Greuel sitzt noch immer jede Woche an einem der ABC-Tische. Auch mit 88 Jahren. Aufmerksam hört die kleine Frau der Geschichte eines jungen Geflüchteten zu. Wie er mit seinem Bruder nach Deutschland kam, wie er eine kleine Wohnung im Dresdner Plattenbaugebiet Gorbitz fand. „Dort ist es gemütlich“, sagt er. „Gemütlich“, freut sich Hiltrud Greuel, noch so ein schweres Wort. „Sehr schön.“

Ich habe großen Respekt davor, mit welcher Energie sie fast jeden Tag hierher kommen und lernen.

Brigitte Deike
Ehrenamtliche und Rentnerin aus Dresden

Dass sie jede Woche das Gespräch mit Menschen aus anderen Ländern sucht, hält sie jung. Und es hat auch mit ihrem Glauben zu tun. „Das ist die Nächstenliebe“, sagt die Christin wie nebenbei.

Ehrenamtliche halten durch – auch wenn Dresden Geld kürzt

Jeder der gut 50 Ehrenamtlichen an den ABC-Tischen hat seine eigene Motivation. Sie halten dieses einmalige Angebot am Leben – auch wenn die Stadt Dresden in ihrer Finanznot die Zuschüsse gerade erst halbiert hat.

Dass sich der Wind beim Thema Migration und Integration verschärft hat, spürt auch Claudia Nikol, die Koordinatorin des Projektes. „Wir müssen auch die Leute anhören, die sagen: Es ist zu viel, wir fühlen uns überfremdet. Wir fühlen uns nicht mehr wohl in unserem eigenen Zuhause“, sagt sie. „Doch selbst Skeptiker konnten wir schon überzeugen, wenn wir sie an die ABC-Tische geholt haben.“