Blauäugig geht Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, der sich bei der Kommunalwahl 2026 wiedergewählt werden will, nicht in das Abenteuer Olympia-Bewerbung. Er werde keine „5000 Seiten“ ungelesen unterschreiben, sicherte er jüngst zu, als die Bewerbung der Stadt für die Olympischen Sommerspiele 2036, 2040 oder 2044 mit Unterstützung des Freistaats Bayern angekündigt wurde.

Negative Bürgerentscheide

Reiter nahm damit Bezug auf das berüchtigte „Bid Book“, das die Antworten auf Forderungen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) an die Bewerberstädte beinhaltet. Das hat eine Vorgeschichte: Als vor Jahren die IOC-Vorgaben für die Winterspiele 2022 bekannt wurden, sank die Olympia-Begeisterung an den vorgesehenen Austragungsorten München und in Oberbayern rapide. Nach negativen Bürgerentscheiden 2013 wurde der damalige Anlauf abgebrochen.

Treibende Kraft hinter der Bewegung „NOlympia“ waren damals die Grünen und ihre beiden Landtags-Chefs Katharina Schulze und Ludwig Hartmann. Sie warfen dem IOC „Knebelverträge“ vor. Heute will Schulze, nach wie vor Vorsitzende der Landtagsgrünen, nicht Spielverderberin sein, jedenfalls nicht von vornherein. Der sportpolitische Sprecher der Fraktion Max Deisenhofer erklärt den Positionswandel: Olympische Winterspiele in den bayerischen Alpen seien „wegen der Klimakatastrophe“ nicht mehr vertretbar, Sommerspiele hingegen bei Sanierung statt Neubau aus ökologischer Sicht anders zu bewerten. „Besser hier als in der Wüste bei Autokraten“, so Deisenhofer.

Deutlich kritischer äußert sich der umweltpolitische Sprecher der Grünen im bayerischen Landtag, Christian Hierneis. Der Münchener Parlamentarier ist zugleich Vorsitzender der Kreisgruppe des Bund Naturschutz (BN), der allein in der Landeshauptstadt mehr als 20.000 Mitglieder zählt. Wenn tatsächlich die alten Olympia-Anlagen aus dem Jahr 1972 wieder genutzt werden könnten, dann handele es sich in der Tat um ein „wunderbares Konzept“, sagte Hierneis. Der Naturschützer glaubt aber nicht so recht daran, dass das bescheidene, auf Nachhaltigkeit getrimmte Konzept Münchens die IOC-Bosse überzeugen kann. So könne er sich nicht vorstellen, dass das zum Zeitpunkt der Spiele 70 Jahre alte denkmalgeschützte Olympia-Stadion den heutigen IOC-Anforderungen noch genügt.

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), Ministerpräsident Markus Söder und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (beide CSU) kürzlich bei einem Pressetermin zur Münchner Bewerbung im Olympiastadion.

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), Ministerpräsident Markus Söder und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (beide CSU) kürzlich bei einem Pressetermin zur Münchner Bewerbung im Olympiastadion. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Für die Spiele 2028 in Los Angeles jedenfalls verfolgt das IOC nach dem Urteil des internationalen Archivs „Olympics Watch“ seine bekannte Maximal-Linie: eine Austragungsstadt, „die auf die Wünsche der Sponsoren zugeschnitten ist“. Verdrängung und Gentrifizierung seien dort bereits im Gange.

Hierneis hat bei seiner Skepsis den größten bayerischen Naturschutzverband hinter sich. Der BN zählt in Bayern mehr Mitglieder als alle im Landtag vertretenen Parteien zusammen. OB Reiter und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hätten zwar mögliche Spiele in München als innovativ, nachhaltig, günstig und umweltschonend versprochen, das aber sei auch schon für London, Rio und Paris garantiert worden „und am Ende kam es immer anders“, sagt BN-Landesbeauftragter Martin Geilhufe: „Wir sind extrem skeptisch, dass München da die große Ausnahme würde.“

Abstimmung im Oktober

Was wirklich auf die Münchner und die öffentlichen Finanzen zukommt, wisse man erst, wenn die Landeshauptstadt sich gegen andere deutsche Mitbewerber, darunter Berlin und womöglich Leipzig und das Ruhrgebiet, durchgesetzt habe und das „Bid Book“ mit den geplanten Olympia-Projekten vorliege. Aber schon vorher, nämlich am 26. Oktober dieses Jahres, sollen die Münchner in einem Bürgerentscheid darüber abstimmen, ob sie zum zweiten Mal nach 1972 die Jugend der Welt bei sich zu Gast haben wollen. Zu diesem Zeitpunkt kann man allerdings noch gar nicht wissen, welche Forderungen das IOC für Spiele an der Isar stellt – sondern nur, wie es die Stadtoberen gerne hätten.