In ihrer Abwehrschlacht gegen den russischen Aggressor soll die Ukraine offenbar mehr Befugnisse erhalten, westliche Waffen gegen Russland einzusetzen. „Wir werden alles tun, was in unseren Kräften steht, um die Ukraine weiter zu unterstützen. Das bedeutet auch keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen, die wir liefern“, hieß es am Montagnachmittag auf dem Account von Bundeskanzler Friedrich Merz auf der Plattform X. „Die Ukraine kann sich jetzt auch verteidigen, indem sie militärische Stellungen in Russland angreift.“

Der Post sorgte zunächst für Verwirrung, weil er sich so interpretieren ließ, als habe die Bundesregierung entschieden, die Ukraine mit dem Marschflugkörper Taurus aus deutscher Produktion zu beliefern. Die Regierung von Olaf Scholz hatte dies stets abgelehnt. Allerdings bezieht sich der Post von Merz offenbar gar nicht auf den Taurus, zumal Merz in jüngster Zeit mehrmals erklärt hat, die Bundesregierung werde über die Lieferung einzelner Waffensysteme nicht mehr öffentlich informieren.

Denkbar ist, dass die Ukraine weitreichende Waffen selbst herstellt

Anscheinend geht es in der Ankündigung von Merz also um andere Waffensysteme, die nun wohl mit weniger strengen Vorgaben belegt sind – und auch nicht nur um deutsche. Merz hatte am Montag, bevor sein Post auf X erschien, beim Europaforum des WDR erklärt: „Es gibt keine Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen, die an die Ukraine geliefert worden sind. Weder von den Briten, noch von den Franzosen, noch von uns. Von den Amerikanern auch nicht.“ Die Ukraine könne somit Stellungen in Russland angreifen. „Wir nennen das im Jargon long range fire, also auch mit Waffen die Ukraine auszustatten, die militärische Ziele im Hinterland angreifen.“

Im Westen ist bereits mehrmals über die Frage debattiert worden, ob die Ukraine Waffen aus Nato-Staaten gegen Ziele auf russischem Staatsgebiet einsetzen dürfe. „Wir sind … der Meinung, dass es genehmigt werden muss, die Orte anzugreifen, von denen aus auf die Ukraine geschossen wird“, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron bei einem Besuch in Berlin im Mai 2024. Zuvor hatten sowohl der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij und der damalige Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg gefordert, dass die Ukraine bei der eigenen Verteidigung auch etwas robuster gegen Russland vorgehen dürfe. Macrons Aussage in Berlin bezog sich auf den Marschflugkörper Scalp. Bei deutschen Waffen kam etwa der Mehrfachraketenwerfer Mars II in Betracht, der über eine Reichweite von 80 Kilometern verfügt und von der Ukraine aus russisches Territorium erreichen könnte.

Dem Vernehmen nach gab es nie ein formelles Verbot für das ukrainische Militär, westliche Waffen gegen Ziele in Russland einzusetzen. Eher handelte es sich um eine lose Abmachung, die von der Ukraine aber respektiert wurde. Hintergrund war die Befürchtung im Westen, Angriffe auf russisches Staatsgebiet mit westlichen Waffen könnten den Konflikt zwischen Moskau und der Nato eskalieren lassen. Ob und inwiefern der Westen seine bisherigen Vorgaben nun aufgeweicht hat, ist unklar. Denkbar ist auch, dass die Ukraine finanzielle Unterstützung aus dem Westen erhält, um Waffen mit größerer Reichweite selbst zu produzieren.

Die Äußerungen von Merz klingen jedenfalls so. In Berlin ist im Umfeld des Kanzlers neuerdings oft von „strategischer Ambiguität“ die Rede, was bedeutet, den Gegner (in diesem Fall Russland) im Unklaren zu lassen. Womöglich will Merz also den Druck auf Russland erhöhen, indem er erklärt, dass die Ukraine nun mit weniger Beschränkungen beim Einsatz ihrer Waffen agieren könne.

Russland kritisierte die Aussagen von Merz. Dies seien „ziemlich gefährliche Entscheidungen, wenn es sie gegeben hat“, sagte Kremlsprecher Dmitrij Peskow. Eine Lieferung weitreichender Waffen an die Ukraine liefe „den Bemühungen Moskaus um eine politische Lösung zuwider“.