Ein musikalisches Denkmal als Andenken und Trauerbewältigung: „Du bist nicht mehr da, wo du warst, doch überall wo ich bin“, singt Liedermacherin Nadine Maria Schmidt mit warmer Stimme, begleitet von den einfühlsamen Klängen ihrer Akustikgitarre. Es ist der Beginn des Refrains für ein Lied, dass die Leipziger Künstlerin gemeinsam mit Maxi Mittag für deren verstorbenen Vater entwickelt hat.

Das Lied hat total dazu beigetragen, die Trauer zu bewältigen und Stück damit zu leben.

Maxi Mittag
Anghörige, die ihrem verstorbenem Vater ein musikalisches Denkmal setzt wollte

Trauer durch Musik bewältigen

„Das Lied hat total dazu beigetragen, die Trauer zu bewältigen und Stück damit zu leben. Worte zu finden, um das zu erklären, was in den Gefühlen passiert. Das, für das man sonst keine Worte findet. Das, was man sonst verschweigt, weil man nicht weiß, wie man darüber sprechen soll“, beschreibt die Dresdnerin Maxi Mittag. Vor wenigen Monaten hat sie ihren Vater verloren.

„Das Lied bedeutet uns einen ganz persönlichen Moment des Gedenkens. Wenn man für sich alleine ist und niemand anderes da ist, kann man einfach das Lied für sich hoch und runter hören, jede Zeile ganz intensiv spüren.“

Tochter: „Bis zuletzt gehofft, dass er es schafft“

Im Dezember vergangen Jahres ist der Vater von Maxi Mittag verstorben. „Das kam für mich schon überraschend, weil ich bis zuletzt nicht daran geglaubt habe, dass das passieren kann“, erzählt Maxi Mittag MDR SACHSEN. Die gesundheitlichen Probleme waren zwar da, aber sie hatte gehofft, dass er es schafft. Ihr Vater fehlt ihr. Er wurde 69 Jahre alt.

Ohne zu fragen, ohne viele Worte zu verlieren, wusstest du wie keiner, was in mir war. Ich bin durch die Wolken gesprungen, während du unten noch ihre Höhe schätzt.

aus dem musikalischen Denkmal fü den verstorbenen Vater von Maxi Mittag
Liedermacherin Nadine Maria Schmidt

Gern hätte Maxi Mittag ihren Vater einmal auf einen Fallschirmsprung mitgenommen. Aber dazu kam es nicht. Nadine Maria Schmidt hat diesen unerfüllten Wunsch in das Lied für den Verstorbenen eingearbeitet: „Ohne zu fragen, ohne viele Worte zu verlieren, wusstest du wie keiner, was in mir war. Ich bin durch die Wolken gesprungen, während du unten noch ihre Höhe schätzt.“

Es darf auch mal gelacht werden und lustig sein.

Nadine Maria Schmidt
Liedermacherin und Trauerbegleiterin

Künstlerin Nadine Maria Schmidt nimmt der Trauer durch ihre Arbeit die Schwere. „Es darf auch mal gelacht werden und lustig sein“, sagt die 44-Jährige MDR SACHSEN. Sie ist eine gute Zuhörerin und hat die Gabe, sich in andere Menschen einzufühlen. Für sie bedeutet Trauer nicht nur Leid: „Ich erlebe tatsächlich, dass im Bereich Tod, Trauer und Sterben tatsächlich sehr viele Menschen sind, die sehr viel Humor haben und sehr viel Lebensfreude.“

Leichtigkeit und Trost in schweren Stunden

„Das Lied von Nadine gibt mir die Möglichkeit, mit einer gewissen Leichtigkeit und auch Dankbarkeit auf das zu blicken, was mein Papa war und was er mir gegeben hat. Und welche Gefühle er für mich bedeutet, ohne immer diese schwere Last der Trauer und des Todes gleichzeitig zu empfinden“, erzählt Maxi Mittag.

Das Lied von Nadine gibt mir die Worte, die mir sonst fehlen würden.

Maxi Mittag
Anghörige, die ihrem verstorbenem Vater ein musikalisches Denkmal gesetzt hat

„Das liegt jetzt in meinem Herzen. Wir hatten leider nicht so viel Zeit zum Abschied nehmen und auch da ist das Lied total hilfreich.“

Seit Beerdigung eines Kindes musikalische Trauerbegleitung

Das erste musikalische Denkmal hat Nadine Maria Schmidt einem verstorbenen Kind gesetzt – dem kleinen Ewen. Seine Eltern hätten die Musikerin kurz nach dessen Tod gebeten, auf seiner Beerdigung zu spielen. Sie habe nicht lange nachgedacht und zugesagt. Ewens Lied trägt den Titel „Kleiner Astronaut“.

„Das war so eine liebevolle, würdevolle Beerdigung und auch ganz bunt“, erinnert sich Nadine Maria Schmidt. Direkt danach sei ihr klar geworden, dass sie genau das weiter machen möchte: Menschen bei ihrer Trauer ein Stück begleiten und berührende Andenken an Menschen zu schaffen, die gehen mussten. „Es kam wie ein Blitz in meinen Kopf und ich habe mich noch nie so richtig gefühlt.“

Musikalisches Denkmal – so funktioniert’s

Doch wie funktioniert das eigentlich, so ein musikalisches Denkmal zu schaffen? „Nach einer ersten Kontakaufnahme rufe ich zurück und dann führen wir ein Erstgespräch“, erklärt Schmidt. Die weitere Zusammenarbeit sei sehr individuell. „Wenn jemand selbst den Text schreiben möchte oder ein Instrument spielt, können sich die Angehörigen natürlich auch einbringen.“ Bei anderen seien viele Gespräche notwendig, um zu ergründen, wie das Lied später werden soll.

Gemeinsam mit den Angehörigen bespreche sie, aus welcher Perspektive das Lied gesungen werden und an wen es sich richten soll – soll es ein Dankeslied sein oder Erinnerungen zusammenfassen? „Dann werden Fragen gestellt wie: ‚Was willst du deiner Mama oder deinem Papa noch sagen? ‚Was war die lustigste oder die traurigste Geschichte, die ihr gemeinsam erlebt habt?‘, ‚Was wünschst du dir jetzt?‘, ‚Was hättest du anders gemacht, wenn er oder sie jetzt noch am Leben wäre?'“

Ich wünschte, dass du dein Lächeln wiederfindest, hast du zu mir gesagt.

aus dem musikalischen Denkmal fü den verstorbenen Vater von Maxi Mittag
Liedermacherin Nadine Maria Schmidt

Vieles sei möglich. „Ich gehe sehr in die Beziehung rein und schaue, was noch gesagt werden muss.“ Manchmal frage sie auch nach Zitaten, die die Angehörigen sehr berühren. „Das war ja zum Beispiel bei Maxi so.“ Also sie sagte ihr Papa hat mal zu ihr gesagt: ‚Ich wünsch dir, dass du dein Lächeln wieder findest.‘ und ich dachte, das muss unbedingt das Lied.“ Nach Rücksprache mit Maxi Mittag fand der Satz dann den Weg in das Lied.

Miteinander ins Gespräch kommen

Nicht selten wirken Trauerfälle trennend, hat Maxi Mittag beobachtet. Doch nun könne sie sich mit den anderen Trauernden aus ihrer Familie austauschen: „Ich kann mich mit meiner Schwester und meinen Verwandten, mit meiner Tante, mit ein Cousin darüber austauschen, wie es ist, dieses Lied zu hören.“

Auch andere aus der Familie von Maxi Mittag haben an dem Lied mitgeschrieben. „Da hat jeder dann eine Strophe bekommen und ich habe auch einzeln mit allen gearbeitet“, erzählt Liedermacherin Nadine Maria Schmidt.

EU-gefördertes Projekt zur Sterbebegleitung

Die Idee, das Handwerk der Liedermacherei mit Trauerbegleitung zu kombinieren, kommt an. Aktuell leitet Nadina Maria Schmidt ein EU-gefördertes Projekt am Leipziger Diakonie Hospiz. Dort schreibt sie gemeinsam mit Hospizgästen und deren Angehörigen. Hier können sich auch die Sterbenden selbst einbringen und das Andenken an sie mitgestalten. Zudem soll ein Konzept entwickelt werden, dass sich auf andere Hospize übertragen lässt, damit auch andere diese Arbeit machen können. Dafür wurde sie mit dem dritten Platz beim SINN Innovationspreis 2024 ausgezeichnet.

Außerdem wurde ihr Projekt „Dein musikalisches Denkmal“ mit dem Innostartbonus ausgezeichnet – einer Gründungsförderung von Futuresax und Sachsen für besonders innovative Gründungen.

Kreativ während der Trauerzeit?

Bleibt die Frage, inwiefern trauernde Menschen die nötige Kreativität aufbringen können? Maxi Mittag kann nur Gutes berichten: „Das können auch definitiv Menschen, die von sich denken, dass sie nicht so kreativ sind, oder die eher introvertiert sind“, sagt Maxi Mittag. Denn Nadine Maria Schmidt nehme einem das ab. „Ich musste mir gar keine Gedanken darüber machen, ob das Lied am Ende schön ist oder ob sich das reimt oder welche Worte oder welche Zitate darin verwendet werden oder welche Bilder gezeichnet werden oder welche Emotionen da drin vorkommen, sondern das hat alles Nadine übernommen. Am Ende hat sie uns einen Entwurf präsentiert. Der war so wunderbar, so treffend und so schön.“

Musikalische Trauerbegleitung

Die Zusammenarbeit mit Nadine Maria Schmidt habe sie als professionelle Begleitung erlebt. „Es ist im Prinzip wie eine abgeschwächte Form von Therapie, die einem dabei hilft, in dem Prozess voranzukommen, Dinge zu verarbeiten, um damit besser umgehen zu können und Moment zu finden, wo man trauern kann.“

Genau darauf setzt die Liedermacherin: „Die Menschen haben den Blick auf das Lied gerichtet und hinterher verstehen sie dann, wie wichtig der Prozess war.“