Für die von Deutschland an die Ukraine gelieferten Waffen gelten nach Angaben von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) keine Beschränkungen mehr, was die Reichweite und damit den Einsatz gegen russisches Territorium angeht.
„Es gibt keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen, die an die Ukraine geliefert worden sind, weder von den Briten noch von den Franzosen, noch von uns, von den Amerikanern auch nicht“, sagte Merz beim WDR-Europaforum in Berlin. Das hieße, die Ukraine könne sich jetzt „auch verteidigen, indem sie zum Beispiel militärische Stellungen in Russland angreift“. Dies habe die Ukraine bis vor einiger Zeit nicht gekonnt beziehungsweise nur in wenigen Ausnahmefällen, aber „das kann sie jetzt“.
Er sei zu der Einschätzung gelangt, dass Gesprächsangebote an Russlands Präsidenten Wladimir Putin derzeit nicht der geeignete Weg zur Beilegung des Konflikts sind, sagte Merz zudem in dem Interview. „Offensichtlich versteht Putin Gesprächsangebote als Schwäche“, warnte er. Wenn selbst ein Angebot, sich im Vatikan zu treffen, bei der russischen Führung „nicht auf Zustimmung stößt, dann müssen wir uns wohl darauf einrichten, dass dieser Krieg länger dauert als wir uns alle wünschen oder vorstellen können“.
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Den Vorwurf, die Bundesregierung habe nicht alle diplomatischen Mittel ausgeschöpft, „kann uns niemand ernsthaft mehr machen“, betonte Merz. Auch US-Präsident Donald Trump sei nach den massiven russischen Angriffen auf die Ukraine offensichtlich „zunehmend desillusioniert über Putin“. Insofern hoffe er, „dass Amerika an Bord bleibt“.
Klingbeil sieht „keine neue Verabredung“
Mit der Äußerung zur Aufhebung der Reichweitenbeschränkung hebt sich Merz vom Kurs seines Vorgängers Olaf Scholz (SPD) ab. Der hatte zwar im vergangenen Jahr den Einsatz deutscher Waffen wie den Mehrfachraketenwerfer Mars II gegen Stellungen auf russischem Territorium für die Region um die umkämpfte Großstadt Charkiw erlaubt. Er hatte sich in der Folge aber gegen eine darüber hinausgehenden Aufhebung der Einsatzbeschränkungen ausgesprochen.
Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) widersprach allerdings dem Eindruck, dass es einen Kurswechsel gebe. „Was die Reichweite angeht, will ich noch sagen, da gibt es keine neue Verabredung, die über das hinausgeht, was die bisherige Regierung gemacht hat“, sagte er auf Nachfrage bei einer Pressekonferenz in Berlin.
Kritik aus Russland – Wadephul kontert
Auch der Kreml reagierte auf die Merz-Äußerung. Die Lieferung von Langstreckenwaffen wäre ein gefährlicher Schritt, teilt der Kreml mit. Dies seien „ziemlich gefährliche Entscheidungen, wenn es sie gegeben hat“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Eine solche Entscheidung würde einer politischen Lösung des Konflikts zuwiderlaufen.
Außenminister Johann Wadephul wies die russische Kritik an der Aufhebung der Reichweitenbeschränkung strikt zurück. „Es hat jetzt mehrere Aufforderungen und Gelegenheiten gegeben, an den Verhandlungstisch zu kommen für den russischen Präsidenten und er hat sie ausgeschlagen“, sagte der CDU-Politiker bei einem Treffen mit seinem portugiesischen Kollegen Paulo Rangel in der Hauptstadt Lissabon. „Wir haben immer klar angekündigt, dass dieses Verhalten nicht ohne Konsequenzen bleiben wird“, fügte Wadephul hinzu.
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Die Bundesregierung habe „immer deutlich gemacht, dass wir die Ukraine unterstützen werden in dem Verteidigungskampf gegen den russischen Aggressor“, sagte Wadephul. Deutschland werde die Ukraine militärisch weiterhin so unterstützen, „dass sie sich zur Wehr setzen kann und verhindern kann, dass der russische Aggressor seinen Krieg erfolgreich fortsetzt“.
Deutsche Waffen reichen nicht weiter als 85 Kilometer
Der Raketenwerfer Mars II mit einer Reichweite von etwa 85 Kilometern und die Panzerhaubitze 2000 mit einer Reichweite von etwa 35 Kilometern sind die einzigen deutschen Waffen, mit denen die ukrainische Armee Ziele hinter der Frontlinie treffen kann.
Den Marschflugkörper Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern, mit dem selbst Moskau erreicht werden könnte, hat Berlin bisher nicht geliefert. Die USA, Frankreich und Großbritannien haben den ukrainischen Streitkräften dagegen Raketen mit einer Reichweite von teilweise mehr als 250 Kilometern zur Verfügung gestellt, die Medienberichten zufolge schon gegen russisches Territorium eingesetzt worden sein sollen.
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Merz warf Russland auch vor, rücksichtslos zivile Ziele anzugreifen und Städte zu bombardieren. Das tue die Ukraine nicht, das solle auch so bleiben. „Aber ein Land, das sich nur im eigenen Territorium einem Angreifer entgegenstellen kann, verteidigt sich nicht ausreichend.“
Der Linken-Politiker Sören Pellmann äußerte sich besorgt über Merz’ Äußerungen: „Dass es jetzt keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr für an die Ukraine gelieferte Waffen gibt, wird den Kriegsverlauf leider nicht ändern, sondern kann zu einer weiteren Eskalation führen.“ BSW-Chefin Sahra Wagenknecht kritisierte ebenfalls, dies könne „in letzter Konsequenz den Krieg nach Deutschland holen“. (dpa/Reuters/AFP)