Im morgendlichen Trott, auf dem Weg zur U-Bahn, fällt es plötzlich ins Auge: Ein Plakat prangt über drei Schaufenstern an einem leerstehenden Haus am U-Bahnhof Kochstraße. „GUTE FAKTEN WÜRGEN BÖSE ZUNGEN“ steht in roten Lettern auf weißem Untergrund.

Ein Plädoyer für Rationalität und Argumente. Wer polarisieren will, dem ist die Wahrheit oft egal. Kurz bleibt man stehen, denkt nach. Und geht weiter – irritiert, wach, vielleicht mit einem Grinsen.

Aus dem Trott reißen

Genau das ist die Intention von ANGST YOK. Die anonyme Gruppe, bestehend aus acht Mitgliedern, arbeitet nicht für Galerien, sondern gegen Gleichgültigkeit. „Niemand sollte glauben, mit Kunst die Welt verändern zu können“, sagen sie, „aber wenn jemand wegen unserer Plakate stehenbleibt, lacht oder schluckt, dann funktioniert‘s.“

Die Arbeiten lassen sich verorten zwischen Street-Art, Satire und Adbusting, einer Aktionsform, bei der Werbung im öffentlichen Raum verfremdet wird, oft zu Ungunsten der eigentlichen Absender.

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Angst Yok bei der Arbeit, die Buchstaben werden per Hand gezichnet.

© Janina Wagner

Die Gruppe selbst beschreibt ihr Tun als Kunst im öffentlichen Raum. Lieber möchten sie viele Menschen im Alltag überraschen und zum Innehalten bewegen, als nur einen ohnehin kunstinteressierten Kreis in einem Ausstellungsraum zu erreichen. Statt auf verkopfte Thesen und einer „Was will uns das sagen?“-Attitüde setzen sie auf größtmögliche Reduktion und Sichtbarkeit. Und kapern dafür Plakatflächen, die eigentlich für viel Geld vermarktet werden sollen.

Kein Döner für Ausländerfeinde

Ihr Plakat mit dem Schriftzug „ALLES DEUTSCHLAND“ hängt an Bushaltestellen und Hausfassaden in Brandenburg. Mit dem Bild von Halloumi und Dönerfleisch im Brot ist das Plakat Zeugnis einer Gesellschaft, in der sich kultureller Austausch auch in kulinarische Vielfalt widerspiegelt. Wo rechte Diskurse Leitkultur fordern, reicht ANGST YOK ein belegtes Fladenbrot, um zu zeigen, wie einseitig diese Denke ist. Man muss ihnen zustimmen: Wer Döner isst, und Diversität verachtet, verdient weder das eine noch das andere.

Eine Botschaft für Brandenburger.

© Angst Yok

Ihre Ideen ziehen die Gruppenmitglieder aus ihren Notizbucheinträgen oder aus Selbstgesprächen, erzählen sie. „Manchmal ist ein Satz zu lang, dann wird er heruntergebrochen“. Die Worte werden in den Maßen des zuvor ausgemessenen Installationsorts mittels eines Projektors auf Papierbahnen übertragen und per Hand nachgezeichnet. Geklebt wird tagsüber an leerstehenden oder ungenutzten Orten im öffentlichen Raum.

Plakat von Angst Yok in der Kochstraße.

© Angst Yok

Auch die Form zählt

Die gewählte Typografie ist nicht nur gestalterisches Mittel, sie ist Teil der Aussage. Etwa in einer ihrer provokantesten Aktionen: Kurz vor der Bundestagswahl überklebten sie ein AfD-Plakat auf der Frankfurter Allee mit dem Schriftzug „PROPAGANDA IST HEUTE ANDERS“. Die verwendete Frakturschrift „Tannenberg“ wurde im Nationalsozialismus für Behördendokumente und Ähnliches genutzt. Unter der Schrift ist eine Maske abgebildet, anstelle der Augen sieht man Patronenhülsen.

Damit bringen sie Medieninszenierung, Desinformation und rechte Rhetorik der AfD in Bezug zum Nationalsozialismus. Beim Plakatieren wurden die Street-Art-Künstler aus den benachbarten Häusern mit Eiern beworfen, eine Straße weiter warteten zwei Passanten, um ihnen aus Dankbarkeit die Hand zu geben. „Der Kontrast war seltsam“, sagen sie. „Aber diese Ambivalenz ist gewollt und beschreibt Berlin besser als jede Sozialstudie“.

Humorlose Kunst – nein danke

ANGST YOK legen den Finger in die Wunde – und manchmal den ganzen Arm. „Kunst, vor allem der mit akademischem Hintergrund, fehlt es an Humor“, konstatieren sie. „Viele Menschen scheuen davor zurück, kulturelle Fehltritte zu begehen. Aus Angst, jemandem auf die Füße zu treten oder dafür geächtet zu werden“.

Ihr Humor kann aber auch schnell in beklemmende Ernsthaftigkeit umschlagen, wie bei ihrer Aktion an einem historischen Hinweisschild zur deutschen Teilung an der A111. Aus „1945–1990“ wird durch eine Überklebung „nach wie vor“. Die ostdeutsche Erfahrung – ein bis heute andauernder Zustand.

Kurz mal der Realität angepasst: Plakat von Angst Yok an der A111.

© Clemens Dörr

Diese Themen braucht die Gruppe nicht lange zu suchen, sie drängen sich ihnen im Alltag auf. „Wer vorher ein Thema festlegt und sich dann künstlerisch damit beschäftigt, war zu lange auf der Kunsthochschule und ist zu wenig U8 oder durch Brandenburg gefahren“.

Ihre Kunst will stören. Oder – wie sie es formulieren – „einen fetten Haufen auf den Tisch der kulturellen Samthandschuhe und des gut gemeinten Sicherheitsabstands kacken“.

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Weltverbesserer wollen sie nicht sein. Sie glauben nicht an die revolutionäre Kraft der Kunst. Aber sie glauben an das Stolpern im Alltag, das kurze Innehalten und Grübeln an der Bushaltestelle oder auf dem Weg zur Arbeit. Fürs Wegschauen ist es dann schon zu spät.