Frauen bieten auf Facebook Muttermilch an: Ostschweizer Stillberaterinnen warnen vor grossen Risiken für Babys

Ein Online-Milchtausch birgt Gefahren für Neugeborene: Die Spenderin kann Krankheiten übertragen, die Milch kann falsch gelagert werden und Keime enthalten. Expertinnen warnen: Babys könnten im schlimmsten Fall daran sterben.

Am Ostschweizer Kinderspital gibt es eine Milchbank. Die Frauenmilch hilft Frühgeborenen und kranken Babys. Am Ostschweizer Kinderspital gibt es eine Milchbank. Die Frauenmilch hilft Frühgeborenen und kranken Babys.

Bild: Benjamin Manser

«Katharina hat Muttermilch zu spenden in St.Gallen», so lautet ein Beitrag auf Facebook. Der Kontakt der Spenderin ist als Kommentar verlinkt, Interessierte können Katharina direkt anschreiben. Sie ist nicht die Einzige, die ihre Milch online weitergibt.

«Johanna has #milk2share in Sargans», heisst es in einem anderen Beitrag vom November 2024. Man darf sie gerne via Privatnachricht kontaktieren. «Bin gesund, Nichtraucherin und nehme keine Medikamente.» Die beiden Anzeigen stammen aus der Facebook-Gruppe «Human Milk 4 Human Babies – Switzerland». 1700 Follower hat die Plattform mit dem Zweck, Muttermilch mit Familien in der Schweiz zu teilen. Die Seite sei nicht kommerziell und der Handel mit der Milch strikt verboten, heisst es in den Gruppenregeln.

Früher gab es Ammen, heute Influencerinnen

Es gibt verschiedene Gründe, weshalb Eltern auf diesem Weg Milch für ihre Babys bekommen wollen. Die meisten Mütter wünschen sich, ihr Kind natürlich zu stillen. Das funktioniert aber nicht immer.

Das Luzerner Model und Influencerin Anja Zeidler hat diese Erfahrung ebenfalls gemacht und vor einiger Zeit die Gruppe «Human Milk 4 Human Babies» ihren 250’000 Followern empfohlen. Sie habe selbst Muttermilchspenden für ihr Kind bekommen. Ausserdem hat sie auf Instagram angeboten, Frauenmilch zu vermitteln. Frauen, die Milch anbieten oder benötigen, sollten sich bei ihr melden, schrieb Zeidler auf Instagram.

Dass Frauen ihre Milch anderen Babys anbieten, ist nicht neu. Früher nährten Ammen fremde Kinder an ihrer Brust. In wohlhabenden Schichten waren sie bis ins 20. Jahrhundert fester Bestandteil eines Haushalts. Lohnammen waren verheiratete Mütter, oft Bäuerinnen, die sich nach der Geburt ihres eigenen Kindes als Bedienstete rund um die Uhr um den Säugling der Hausherrin kümmerten.

Stillberatung warnt vor Risiken

Allerdings birgt der Onlinetausch von Frauenmilch Risiken. Carina Treibig und Claudia Piccolotto von der Stillberatung des Ostschweizer Kinderspitals in St.Gallen warnen davor, Frauenmilch online zu beziehen. Es könnten sich über die Milch Krankheiten auf das Baby übertragen, zum Beispiel Geschlechtskrankheiten oder Hepatitis.

«Das kann fürs Kind gefährlich sein, weil man nicht weiss, was für einen Lebensstil die Spenderin hat», sagt Carina Treibig, Still- und Laktationsberaterin am Ostschweizer Kinderspital. Zum Beispiel, ob die Spenderin raucht oder eine ansteckende Krankheit hat.

Auch wisse man nichts über die Umstände, unter denen die Milch abgepumpt wurde und ob sich in der Milch Keime befinden. «Im schlimmsten Fall bekommt das Kind eine Infektion und kann daran versterben», sagt Treibig.

Entscheidend sei auch die korrekte Lagerung. Die Milch sollte möglichst frisch verwendet werden. «Am besten direkt ab der Brust», sagt Treibig. Ausserdem könnten die Empfängerinnen gar nicht wissen, ob es sich bei der Spende auch wirklich um Frauenmilch handelt.

Gespendete Frauenmilch wird ärztlich verschrieben

Ob es sich bei den Onlinemarktplätzen für Frauenmilch um einen Boom oder Einzelfälle handelt, können die Stillberaterinnen am Ostschweizer Kinderspital nicht sagen. «Es gibt kein Gesetz, das es verbietet, und die Frauen handeln auf eigenes Risiko.»

Der Onlinehandel von Frauenmilch ist auch beim Ostschweizer Verein für das Kind bekannt. Man werde vereinzelt mit dem Thema konfrontiert, heisst es von der Fachstelle Mütter- und Väterberatung auf Anfrage. «Unsere Haltung dazu ist klar. Wir empfehlen, keine Milch von anderen Frauen zu verwenden, welche ungeprüft ist», schreibt die Co-Leiterin Nicole Staub auf Anfrage.

«Kann oder darf eine Mutter nicht stillen, begleiten wir sie empathisch und stärken sie in ihrer Rolle als Mutter», so Staub. Auch ohne Muttermilch könne eine Frau zur bestmöglichen Entwicklung des Kindes beitragen, Stillen sei nur ein Faktor in der Entwicklung. Genauso wichtig sei eine Beziehung oder Bindung, die auf den «fünf Vs» basiere: «verlässlich, verfügbar, vertraut, verständnisvoll und viel Liebe».

Pulvermilch bietet gesunden Babys keine Nachteile

In manchen Fällen sind es nicht Frauen, sondern Männer, die online nach Muttermilch suchen. Jüngst suchte in der genannten Facebook-Gruppe ein homosexuelles Paar aus der Westschweiz nach Milchspenderinnen für ihr Neugeborenes. Den Aufruf ergänzten sie mit einem Familienfoto. Sie seien auch bereit, zu reisen, schrieben sie dazu.

Für solche Situationen gibt es in der Schweiz keinen offiziellen Weg, um an Frauenmilch zu gelangen. Jedoch gebe es für gesunde Babys keine Nachteile, wenn sie mit Pulvermilch ernährt werden, heisst es seitens der Stillberatung.

Frauenmilchbanken für Versorgungssicherheit

Am Ostschweizer Kinderspital wird ausschliesslich getestete und pasteurisierte Frauenmilch verwendet. Die Milch stammt aus der eigenen Frauenmilchbank. Gespendete Frauenmilch muss strikten Richtlinien entsprechen und werde sensibel kontrolliert, sagt Carina Treibig.

Humane Milch ist wie Blut eine biologisch wertvolle und hochkomplexe Flüssigkeit. Sämtliche Milchbanken arbeiten unter Einhaltung der spitaleigenen Richtlinien, mit einer schweizerischen Leitlinie soll ausserdem sichergestellt werden, dass der neuste Stand der Wissenschaft berücksichtigt und der fachinterne Austausch diesem angepasst wird. Für die Einhaltung der Leitlinien sind die Spitäler zuständig.

Durch die Zusammenarbeit mit den anderen Frauenmilchbanken in der Schweiz könne das Ostschweizer Kinderspital die Versorgung durchgängig gewährleisten. Spenderinnen gebe es genug, sagt Treibig. Man brauche nicht die Werbetrommel zu rühren, wie das für Blutspenden zum Teil gemacht wird.

Frauenmilch ist für Frühgeborene überlebenswichtig

Frühgeborene oder auch kranke Neugeborene erhalten nach ärztlicher Verordnung Spenderinnenmilch, heisst es auf Anfrage. Im besten Fall als Überbrückung und so lange, bis die Mutter den Bedarf an Muttermilch abdecken kann. Das sei manchmal nur für zwei oder drei Tage, da bei Frühgeburten die Milchdrüsen der Mutter allenfalls noch nicht vollständig reif sind. «Das Stillen steht für uns an erster Stelle und wir unterstützen jede Mutter in ihrem Still- und Laktationsmanagement», sagt Treibig.

Denn für sehr kleine Frühgeborene sei die Milch der eigenen Mutter die ideale Ernährung. Die Verwendung von Spenderinnenmilch gilt als die zweitbeste Lösung, heisst es im Vorwort der Leitlinien zu Frauenmilchbanken.

«Muttermilch ist unkopierbar», sagt die Stillberaterin. Sie enthalte alle Nährstoffe, die das Kind für seine Entwicklung benötigt. Muttermilch unterstützt unter anderem das Immunsystem, die Bildung einer gesunden Darmflora und die Reifung der Organe. Die Forschung zeigt: Langfristig leiden gestillte Kinder weniger häufig an chronischen Erkrankungen wie Diabetes Typ II oder Übergewicht. Kurzfristig haben Kinder weniger häufig eine Mittelohrentzündung oder andere Infekte.

Stillen ist aber nicht nur Ernährung. Es fördere auch die körperliche und emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind. Um diese Beziehung zu festigen, gibt es mehrere Möglichkeiten – fraglich, ob Frauenmilch aus der Facebook-Gruppe eine davon ist.