Die Abiturientin, die halb tot in der Wohnung von Marvin S. gefunden wurde, hatte die Hände gefaltet. Was nach zweimonatigem Prozess geschah, fühlte sich für die junge Frau, die Nebenklägerin ist, wohl wie eine Katastrophe an. Der Mann, der sie mit Drogen betäubt und schwer misshandelt haben soll, brach am Dienstag sein Schweigen. Einer seiner Verteidiger verlas eine Erklärung mit seiner Version. „Die Stimmung war flirty“, hieß es darin.
Eigentlich stand der Prozess vor der Schlussphase. Plädoyers waren angekündigt in dem Verfahren um Vergewaltigung und schwere Körperverletzung, das Landgericht wollte zu einem Urteil kommen. Die Verteidiger machten ein Strich durch die Rechnung. Sie präsentierten eine Erklärung, stellten Beweisanträge. Und sie lehnten einen Gutachter als befangen ab, der die Angaben der Abiturientin als plausibel eingeschätzt hatte.
In der Version von S. ist von einem enormen Kokain-Konsum die Rede – Anfang 2022 habe er bis zu 1000 Euro am Tag dafür ausgegeben. Sein Leben sei ihm entglitten, erklärte der Mann, der einst gemeinsam mit seinem Vater den Familienbetrieb leitete.
An der Bushaltestelle abgefangen
Die Abiturientin sah er in der Nacht zum 22. April 2022 an einer Bushaltestelle in Steglitz. Sie war auf dem Heimweg. Im Rucksack ihr Schachbrett. Eigentlich wollte sie mit ihrer Freundin spielen. Doch der Abend verlief nicht gut. Nach reichlich Wein und Wodka machte sich die 20-Jährige auf den Heimweg.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Externen Inhalt anzeigen
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Laut Anklage soll Marvin S. ihre Situation ausgenutzt haben. Er bestritt das nun: „Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie betrunken war.“ Sie hätten gescherzt, schnell geflirtet. Weil sie von einem furchtbaren Abend sprach, habe er sie trösten wollen. Sie hätten sich berührt, Sex sei einvernehmlichen gewesen – „ich fragte, ob ich ein Video machen darf, sie hatte nichts dagegen“.
Sie hätten gemeinsam konsumiert – erst Kokain, dann Heroin. „Sie wollte es probieren“, so der Angeklagte. Er bereue, dass er sie gelassen habe. Als sie schlief, habe er weiter Heroin geraucht, sich dann entschlossen, „eine Aufnahme zu erstellen“. Es sei zu einer sexuellen Handlung gekommen, als die junge Frau schlief. Er habe ihr das Video am nächsten Morgen zeigen wollen – „ich dachte, es gefällt ihr“. Als sie Stunden später keine Atmung hatte, habe er den Rettungsdienst gerufen.
Die Nebenklägerin hörte die Erklärung äußerlich regungslos. Marvin S. soll die damals 20-Jährige laut Anklage mit einem Kokain-Heroin-Gemisch betäubt, sie über Stunden hinweg schwer misshandelt und vergewaltigt haben. Den Körper der Bewusstlosen habe er beschmiert mit frauenverachtenden Worten. Die Taten soll er zum Teil gefilmt haben.
Polizei unterließ Ermittlungsarbeit
Die Polizei sah zunächst keinen Anfangsverdacht für eine Straftat. S. hatte bereits damals von einer Art Drogenunfall gesprochen, man nahm es hin. Es wurden zunächst keine Beweise gesichert, es erfolgte keine rechtsmedizinische Untersuchung. „Eine fast tote Frau in einer verwüsteten Wohnung, der Körper beschmiert, es war völlig abwegig, keine Ermittlungen aufzunehmen“, so Christina Clemm, Anwältin der Abiturientin.
Die Familie der Schülerin ließ nicht locker. Am 15. Juni 2022 wurde die Wohnung von S. durchsucht, Datenträger beschlagnahmt, auch Kinderpornografie sei gefunden worden. Ende 2022 kam S. zwar in U-Haft, war aber bald wieder frei. Das Gericht sah nur einen hinreichenden, keinen dringenden Tatverdacht. Während des jetzigen Prozesses wurde er im Saal verhaftet – wegen weiterer Vorwürfe.
Lesen Sie auch „Eine Bilanz des Schreckens“ Opferberatungsstellen registrieren Höchststand bei rechter Gewalt „Manchmal wartet die Justiz nur, bis der Täter 14 wird“ Wie die Polizei bei Gewalt von Kindern ermittelt Mindestens fünf Jahre Gefängnis Der Bundesrat will strengere Strafen bei K.-o.-Tropfen
Inzwischen stellt sich die Frage: Ist Marvin S. möglicherweise ein Serientäter? Es soll weitere Opfer geben. Eine zweite Anklage gegen S. wurde am 30. April 2025 erhoben. Es gehe um eine mutmaßliche Vergewaltigung im Februar 2020. In einem dritten Fall gehe es um eine junge Frau, die 2021 in der Wohnung von S. gewesen sei, hieß es am Rande der Verhandlung. Der Prozess geht am 13. Juni weiter.