Stand: 28.05.2025 06:00 Uhr

Episodisch erzählt „Blindgänger“ die Zeitspanne vom Fund bis zur Entschärfung einer Weltkriegsbombe im Hamburger Schanzenviertel und ist dabei zugleich ein ganz persönliches Statement zum erzählerischen Umgang mit Vielfalt und Inklusion.

von Walli Müller

Dass hier kein Feuerwehr-Actionthriller, sondern eher philosophisch-psychologischer Zündstoff geboten wird, ist schon dem Eröffnungsmonolog zu entnehmen.

„Sie liegen einfach da, unsichtbar – ein paar Meter unter uns. Wir laufen auf ihnen, tanzen auf ihnen, schlafen auf ihnen. Aber wir haben sie vergessen, bis sie eines Tages wieder auftauchen und uns daran erinnern, dass wir jederzeit in die Luft fliegen können.“
Filmszene

Eine Bombenentschärferin mit Panikattacken

Im Titel „Blindgänger“ schwingt also eine zweite, metaphorische Ebene mit. Lane Petersen zum Beispiel, gespielt von Anne Ratte-Polle, braucht für ihren Job beim Kampfmittelräumdienst der Hamburger Feuerwehr maximale Nervenstärke. Doch was sie bei der „gesundheitspsychologischen Begutachtung“ verschweigt, sind ihre Panikattacken.

Nun bekommt es Lane auf einer Baustelle im Hamburger Schanzenviertel mit einem ordentlichen Kaliber von „Blindgänger“ zu tun – möglicherweise mit heute noch gefährlichem Säure-Zünder. Ein großer Radius von Häusern um die Fundstelle herum muss evakuiert werden, bevor die Entschärfung oder kontrollierte Sprengung über die Bühne gehen kann. Und ausgerechnet diesmal muss der erfahrenste Kollege sein Team im Stich lassen.

Regisseurin Kerstin Polte enthüllt seelische Bomben

Neben Lane, die minütlich nervöser wird, folgt der Film nun auch verschiedenen Anwohnern, bei denen die Evakuierungsmaßnahmen verdrängte Ängste und Traumata zum Vorschein bringen – wie tief im Erdreich ausgebuddelte Blindgänger. Ein junger Afghane, der illegal in Deutschland wohnt, bekommt Panik, nun aufzufliegen. Bei Lanes Mutter, die als Kind noch selbst die Bombennächte in Hamburg miterlebt hat, fangen innerlich die Alarmsirenen wieder an zu schrillen.

Dass alle im Viertel vom Bombenalarm betroffen sind, bietet Regisseurin Kerstin Polte die Möglichkeit, verschiedene Lebenswelten zu zeigen – und latente Beziehungskonflikte, die sich nun plötzlich entladen. Lehrerin Hanne, die ihren Mann schon länger mit einem Kollegen betrügt, lässt die „Bombe“ ausgerechnet in dem Moment platzen, in dem er eine Krebs-Diagnose verkraften muss.

Durch den Blindgänger wird eine Kettenreaktion menschlicher Befindlichkeiten ausgelöst. Dass das Schicksal des Viertels in Händen einer psychologisch instabilen Frau liegt, weiß nur die junge Psychologin, die ihre mangelnde Konsequenz zu spät bereut.

„Blindgänger“ trifft einen Nerv

Mit „Blindgänger“ ist Kerstin Polte auf jeden Fall ein atmosphärischer Film gelungen: Die Sperrzone mitten in Hamburg, menschenleere Straßen vor grau verhangenem Himmel – eine gespenstische Szenerie. Umso heller die Lichtblicke, wenn Menschen in einer oft kalten, zunehmend entzweiten Welt sich spontan gegenseitig Trost spenden.

Die Botschaft kommt nicht sonderlich subtil daher, und die Situationen und Begegnungen sind etwas artifiziell konstruiert. Aber mit seinem Verständnis für verborgene Ängste, schmerzliche Einsamkeit und seinem Ruf nach mehr Mitmenschlichkeit trifft der hochkarätig besetzte Film einen Nerv.

Blindgänger

Genre:
Komödie, Drama
Produktionsjahr:
2024
Produktionsland:
Deutschland
Zusatzinfo:
Mit Anne Ratte-Polle, Haley Louise Jones, Bernhard Schütz und anderen
Regie:
Kerstin Polte
Länge:
95 Minuten
FSK:
ab 12 Jahren
Kinostart:
29. Mai 2025

Dieses Thema im Programm:

NDR Info |
Kultur |
28.05.2025 | 06:20 Uhr

NDR Logo