Herr Labetzke, wie geht es Ihnen gerade als Grüner unter Polizisten?
Aktuell schlecht. Ich wurde gerade erst am Bremer Hauptbahnhof von Kollegen von der Bundespolizei angesprochen, ob Jette Nietzard schon aus der Partei geflogen wäre. Alle, die uns Grüne eh nicht mögen, stürzen sich auf so einen Fall natürlich.
Und wie sehen Sie die Sache?
Die pauschal vernichtende Kritik von Jette Nietzard an der deutschen Polizei ist falsch. Aber in der Bevölkerung gibt es verfestigt rassistische Einstellungen, und natürlich sind die auch bei der Polizei zu finden.
Es ist leider wahr, dass es zwischen verschiedenen Einheiten sehr weite Unterschiede gibt, was Antidiskriminierung, Fehlerkultur und Toleranz betrifft.
Über den Befragten
© Die Grünen
Michael Labetzke ist für die Grünen Mitglied der Bremischen Bürgerschaft und Sprecher der Fraktion für Innen- und Rechtspolitik.
Die Bürgerschaft ist ein Halbtagsparlament, Labetzke ist daher weiter im Dienst in Leitungsfunktion bei der Bundespolizeiinspektion Bremen. Er ist einer der drei Vorsitzenden von PolizeiGrün, einer Vereinigung von grünen Polizistinnen und Polizisten.
Was meinen Sie genau?
Cop Culture, also der Gedanke, die Polizei wäre eine verschworene Schicksalsgemeinschaft mit eigenen Regeln, ist ein reales Problem. Die Bundespolizei ist aus dem Bundesgrenzschutz hervorgegangen, der überwiegend kaserniert und zum Teil militärisch organisiert war, und das mit einem überaus hohen Anteil von Männern.
Diese Historie hat Spuren hinterlassen. Wer heute in den höchsten Ämtern angelangt ist, hat damals als Teil des Nachwuchses eine prägende Zeit erlebt. Da ist die Geschichte der Landespolizeien eine ganz andere, entsprechend sind sie bei vielen Themen deutlich weiter.
Das ist passiert
Jette Nietzard, Co-Sprecherin der Grünen Jugend, hat sich in einer Instagram-Story in einem Pullover mit der Aufschrift „ACAB“ gezeigt. Das bedeutet „All Cops are Bastards“, also „Alle Polizisten sind Bastarde“, und ist in radikal linken Kreisen ein gängiger Slogan.
Nietzard trug auf dem Foto auch eine Mütze mit der Aufschrift „Eat the rich“, einem kapitalismuskritischen Slogan. Sie fragte dazu ironisch, was Bundestagspräsidentin Julia Klöckner mehr provozieren würde: der Pulli oder die Mütze.
Also hat Jette Nietzard einen Punkt?
Ich möchte ihr sagen: Provokation um jeden Preis, das hast du doch gar nicht nötig. So berechtigt manche Kritik an der Polizei ist, man kann auch überziehen.
Mir als Vertreter grüner Polizistinnen und Polizisten geht es um eine evidenzbasierte Kriminalitätspolitik. Ich will Debatten auf die Sachebene bringen. Und da muss ich feststellen, dass es derzeit viel zu besprechen gibt.
Wieder Ärger mit Jette Nietzard Hätte sie doch bloß mal nachgedacht
Als da wäre?
An den Außengrenzen begeht die neue Bundesregierung einen kalkulierten, offenen Rechtsbruch. Doch aus den Reihen der Bundespolizei höre ich oft: „Endlich weht ein anderer Wind.“ Dabei haben wir Polizisten doch geschworen, die Verfassung und das Recht zu verteidigen.
Ich kenne viele Polizisten, die AfD wählen. Das ist für mich mit dem Diensteid schlicht nicht vereinbar, aber in den Reihen der Polizei gibt es nicht einmal ein Problembewusstsein.
Nach einer differenzierten Debatte über den Schutz der Verfassung schaute Jette Nietzards Pullover allerdings nicht aus.
Das kritisiere auch ich ganz deutlich. Aber ich finde: Wie nun auf Jette Nietzard verbal draufgehauen wird, das geht zu weit.
Ich erwarte auch von provokantem Nachwuchs die Fähigkeit zur Selbstreflexion.
Michael Labetzke, Grünen-Politiker in Bremen und Polizist
Fühlen Sie ganz persönlich sich vom Slogan „All Cops are Bastards“ angesprochen?
Mich kann mit so einem Kram niemand beleidigen. Vor zwei Wochen erst hatte ich es bei einem Einsatz rund um ein Fußballspiel mit einem Randalierer zu tun, der „ACAB“ auf den Unterarm tätowiert hatte. Na und? Das juckt mich nicht.
Nun ist Randale in der Nähe eines Fußballspiels ein ganz anderer Schauplatz als der Bundestag.
Genau da setzt meine Kritik an. Warum muss Jette Nietzard mit so einem Pulli ausgerechnet in den Bundestag reinrennen? Das ist das Herz unserer Demokratie. Ein guter Ort, um sich respektvoll zu benehmen.
Im Nachhinein gilt: Manchmal hilft es, sich aufrichtig zu entschuldigen. Ich erwarte auch von provokantem Nachwuchs die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Aber etwas anderes regt mich genauso auf.
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Und zwar?
Heiko Teggatz, Vorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft, hat nun gefordert, der Verfassungsschutz solle die Grüne Jugend als gesichert linksextremistisch einstufen.
Also bitte. Das ist Diskursverschiebung par excellence, denn zum Thema AfD-Verbot war von ihm noch nicht viel zu hören.