Kurz vor seinem 90. Geburtstag hat Stararchitekt Norman Foster den Glauben an den Fortschritt nicht verloren. Er träumt von sanfter Mobilität auf dem Wasser, entwirft modulare Notunterkünfte und will kompakte Kernreaktoren bauen. Eine Begegnung in Venedig.

Die Installation glitzert im Licht der Mittagssonne, die am Himmel über Venedig steht: Ein futuristischer Bootsanleger, der am Arsenale ins Hafenbecken hineinragt, dem historischen Waffenlager der Lagunenstadt. Der Steg ist umhüllt von einer röhrenförmigen Dachkonstruktion aus beweglichen Aluminium-Elementen, die an die Schuppen eines silbernen Drachens erinnern und gleichzeitig als Windschutz und als Schattenspender dienen. Zur Kühlung an besonders heißen Tagen kann das Gerüst Sprühnebel ausstoßen, der Zugang zum Wasser mündet in einer rechteckigen Plattform. Dort sind Wasserfahrräder der kalifornischen Firma Schiller angeleint, mit denen die Besucher der Architektur-Biennale Probefahrten übers Wasser machen können.

Das glitzernde Gebilde trägt die Handschrift des britischen Architekten Norman Foster. „Es soll zum Nachdenken über eine sanftere und leisere Form der Fortbewegung anregen“, sagt der Baumeister bei einem Gespräch im Kaminzimmer des Palazzo Pisani Moretta, einem Prachtbau am Canal Grande, in dem eine begleitende Ausstellung zum Steg-Projekt zu sehen ist. Foster, der am kommenden Wochenende seinen 90. Geburtstag feiert, hat eine Vorliebe für cremefarbene Anzüge und macht einen erstaunlich sportlichen Eindruck für sein Alter. Er hat es sich nicht nehmen lassen, mit dem Wasserfahrrad, das auf zwei mit Luft gefüllten Kufen ruht wie ein Katamaran, ein paar Runden im Hafenbecken zu drehen. „Man kommt damit nur recht langsam voran, aber es macht einen Riesenspaß“, sagt er.

Es ist schon eine lustige Vorstellung, dass die Wasserstraßen Venedigs mit Touristen auf geliehenen Wasserbikes bevölkert sein könnten wie die Gehsteige von Berlin mit Elektrorollern. Gegen diese Art von Individualverkehr dürften nicht nur die Gondolieri der Stadt einiges einzuwenden haben, aber man wird ja wohl noch träumen dürfen, denn auch darum geht bei der Architektur-Biennale, die in diesem Jahr unter dem Motto „Intelligenz – natürlich, künstlich, kollektiv“ steht. Der Bootsanleger, den Foster als begehbaren Diskussionsbeitrag zur Zukunft der urbanen Mobilität versteht, ist aus einer Zusammenarbeit der Norman Foster Foundation und Porsche hervorgegangen.

An der Plattform ist deshalb auch Platz für ein rasantes Elektroboot, das der Sportwagenbauer gemeinsam mit dem österreichischen Schiffsbauer Frauscher entwickelt hat. Porsche leistet sich solche spielerischen Projekte abseits des Kerngeschäfts, um sich als Marke zu präsentieren, die über den Tellerrand hinausschaut und von zukunftsorientiertem Denken bestimmt ist. Den konkreten Planungen der Installation sei ein intensiver Austausch von Ansichten zur Mobilität und zur Gestaltung vorangegangen, sagt Michael Mauer, Designvorstand bei Porsche.

Komplexe Anforderungen, klare Formen

Die Verbesserung der Lebensqualität durch ein Zusammenspiel von Design, Architektur und Technik gehört zu den zentralen Themen in der Karriere von Norman Foster. Ein weiteres Spezialgebiet sind Vorzeigebauten, die weder plump noch protzig wirken, sondern Technikbeflissenheit und Fortschrittsgeist ausstrahlen. Er gilt als Inbegriff des genialischen Stararchitekten und hat sich mit Großprojekten einen Namen gemacht, die komplexe Anforderungen in klare Formen überführen und denen man ihre architektonische Finesse gleich ansieht, darunter der zapfenartige Gherkin-Tower in der Londoner City und das ringförmige Apple-Hauptquartier im kalifornischen Cupertino.

Forsters Büro gestaltet Flughäfen und U-Bahn-Linien, Universitätsbibliotheken und Konzerthäuser, Viadukte und Wolkenkratzer. Es war für die Erneuerung des Wembley-Stadions und den Bau der Millennium Bridge über die Themse verantwortlich, es hat die Dachkonstruktion des Dresdner Hauptbahnhofs, den Commerzbank-Tower im Frankfurter Finanzviertel und das Elefantenhaus im Kopenhagener Zoo entworfen. Zum Portfolio gehören aber auch repräsentative Bauten für Autokraten wie die sogenannte Pyramide des Frieden und der Eintracht in der kasachischen Hauptstadt Astana.

Wenn die Objekte erst einmal dastehen, kann man sich kaum noch vorstellen, dass sie auch ganz anders hätten aussehen können, aber hinter jedem Projekt verbergen sich umständlichste Planungsabläufe und Abstimmungsorgien. „Steve Jobs hat gesagt: Betrachtet mich nicht als Kunden, sondern als Teil des Design-Teams“, erinnert sich Foster an die Entstehung der Apple-Zentrale. „Wir hatten irgendwann unseren Heureka-Moment, aber auch wenn der Entwurf aussieht, als sei dafür nur ein einziger Strich erforderlich gewesen, stand ein extrem intensiver Prozess dahinter, der sich über neun Monate hinzog.“

Fosters bekanntestes Projekt in Deutschland ist die Kuppel über dem Berliner Reichstagsgebäude, eine architektonische Intervention, die Licht und Transparenz in ein Bauwerk mit einer dunklen Vergangenheit bringt und es mit rund drei Millionen Schaulustigen im Jahr zum meistbesuchten Parlament der Welt gemacht hat. Auch bei diesem Vorhaben hätten sich die Vorgaben des Auftraggebers geändert, erinnert sich Foster. „Das Projekt wurde in der zweiten Phase der Ausschreibung dramatisch zusammengekürzt.“ Während die anderen Teilnehmer des Wettbewerbs daraufhin einfach ihre bestehenden Entwürfe verkleinerten, hätte er einen ganz neuen Ansatz für den Bundestag entwickelt: „Ich wollte eine Situation schaffen, in der die Bürger den Politkern bei der Arbeit zuschauen können.“ Manche seiner Ideen seien bei den Volksvertretern auf Ablehnung gestoßen, die über die Art der Erweiterung zu entscheiden hatten. „Was sollen wir mit einem Restaurant auf dem Dach, haben einige gefragt, wer will denn schon da oben essen“, erzählt Foster. „Hinterher hieß es dann, der Architekt hat einen Fehler gemacht, das Restaurant ist viel zu klein.“

Auch wenn es derzeit den Anschein haben mag, dass die Welt am Abgrund steht und viele Fortschritte wieder rückgängig gemacht werden, hat Foster seinen Optimismus nicht verloren. So sieht er Künstliche Intelligenz – ein zentrales Thema der Biennale – nicht als Bedrohung für die Jobs von Designern und Architekten, sondern als Werkzeug, das dem kreativen Prozess eine Richtung geben kann. Beim Bauen sei die Chemie essenziell, die durch den Austausch zwischen dem Auftraggeber und dem Architekten entsteht. „Ich glaube, dass KI die Bedeutung zwischenmenschlicher Begegnungen eher vergrößern wird“, sagt Foster. „Solche Begegnungen lassen sich nicht durch ein Programm ersetzen, denn wir leben in einer körperlichen Welt und nicht in einer virtuellen. Der Sessel, auf dem ich sitze, der Raum, in dem wir uns aufhalten, das Wasser, das uns umgibt – das alles ist Teil unserer physischen Realität und unseres Erlebens.“

Hier die friedliche Kernkraft, dort die Atombombe 

Die kommerziellen Aufträge überlässt Foster inzwischen zu weiten Teilen seinen Partnern. Er selbst steckt viel Energie in seine Stiftung, die er 1997 mit dem Geld des renommierten Pritzker-Preises gründete und die als eine Art interdisziplinärer Thinktank breit gefächerte Weltverbesserungsmaßnahmen erarbeitet. Die Norman Foster Foundation war unter anderen an den Entwürfen von modularen Notunterkünften für Vertriebene beteiligt, die aus nachhaltigem Beton bestehen, vor zwei Jahren bei der Biennale vorgestellt wurden und in diesem Jahr in Südamerika zum Einsatz kommen sollen. Gemeinsam mit den Bewohnern eines Slums im indischen Bundesstaat Odisha entwickelte sie ein modernes Hygiene-Konzept mit öffentlichen Waschräumen. Und in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern vom MIT in Boston forscht sie an kompakten Kernreaktoren, die als dezentrale Energiequelle dienen und damit die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern sollen. „Mit zwei Containern, die in diesen Raum passen, könnte man ein ganzes Stadtviertel mit sauberem Strom versorgen“, schwärmt Foster, auch wenn die Machbarkeit solcher Mikrokraftwerke noch mit vielen Fragezeichen versehen ist.

Am Ende habe jede Innovation zwei Seiten: hier die friedliche Nutzung der Kernenergie, dort die Atombombe. Hier die Glühbirne, dort der elektrische Stuhl. Hier das Impfserum, dort der biologische Kampfstoff. Norman Foster beugt sich in seinem Sessel nach vorn und wedelt mit seinem Smartphone: „Dieses Gerät ist für uns heute völlig selbstverständlich. Dabei ist es noch nicht lange her, dass man eine Vermittlung anrufen musste, um sich über eine Landleitung mit einem anderen Menschen verbinden zu lassen. Auf lange Sicht wird alles besser, davon bin ich überzeugt.“