Hubschrauber kreisen, der Nahverkehr kommt teilweise zum Erliegen. Die Hauptstadt ist – mal wieder – im Ausnahmezustand. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist in Berlin, nach wie vor ein Staatsgast, der die höchste Sicherheitsstufe genießt. Zu groß ist die Angst vor Anschlägen, die Ukraine befindet sich immer noch im Krieg mit Russland.
Der Besuch steht unter schlechten Vorzeichen, auch deshalb, weil die Friedensbemühungen des neuen deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU) und der westlichen Verbündeten nicht nur auf der Stelle treten, sondern sich Kiew so starken Angriffen ausgesetzt sieht, wie seit Beginn des Krieges im Februar 2022 nicht mehr.
Merz tritt seit seinem Amtsantritt vor drei Wochen als starker Unterstützer der Ukraine auf. Der CDU-Kanzler hatte kurz nach Beginn seiner Amtszeit Selenskyj in Kiew besucht – gemeinsam mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, dem britischen Premierminister Keir Starmer und dem polnischen Regierungschef Donald Tusk. Damals hatte man gehofft, auch unter Einbeziehung von US-Präsident Donald Trump, Bewegung in die Friedensbemühungen zu bekommen.
Doch mittlerweile ist Merz ernüchtert, die Hoffnung hat sich zerschlagen. Und der deutsche Regierungschef hat sich entschieden, Moskau deutlicher die Stirn zu bieten, als es sein SPD-Vorgänger Olaf Scholz getan hat. Er kündigt am Mittwoch im Kanzleramt dann an, was zuvor in der Hauptstadt schon geraunt wurde: Deutschland wird die Ukraine im Kampf gegen Russland künftig bei der Produktion weitreichender Waffensysteme unterstützen. Dabei werde es „keine Reichweitenbeschränkungen geben“ und „die Ukraine kann sich damit vollumfänglich verteidigen auch gegen militärische Ziele außerhalb des eigenen Staatsgebiets“, betont der Kanzler und fährt fort, die „Weigerung der russischen Seite, einen Waffenstillstand einzugehen“, werde jetzt „wirklich Konsequenzen“ haben.
Es handele sich um den „Einstieg in eine neue Form der militärisch industriellen Zusammenarbeit“, betont Merz. „Wir wollen auch gemeinsame Produktionen ermöglichen.“ Über weitere Details werde er nicht sprechen. Das Verteidigungsministerium teilt später mit, dass es sich um ein rund fünf Milliarden Euro großes Unterstützungspaket handle, das durch Mittel erfolge, die der Bundestag bereits bewilligt habe.
Selenskyj, der insgesamt sehr erschöpft wirkt, begrüßt die Absprachen zu „neuen gemeinsamen Projekten“ zur Produktion von Waffen, betont aber auch, sein Land setze in der Diskussion über eine deutsche Unterstützung bei weitreichenden Waffen auch weiterhin auf den Marschflugkörper Taurus.
In Deutschland läuft seit langem eine Debatte über eine mögliche Lieferung von jenen Taurus-Marschflugkörpern mit einer Reichweite von 500 Kilometern. Scholz hatte die Lieferung immer abgelehnt und das auch mit Sicherheitsbedenken begründet. Moskau hatte Berlin vor einem solchen Schritt gewarnt.
Merz hatte zuletzt angekündigt, sich zu einzelnen Waffenlieferungen nicht mehr öffentlich zu positionieren, um Russland über die deutschen Überlegungen im Unklaren zu lassen. Mit seiner Äußerung vom Montag, es gebe „keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen“, hatte Merz die Diskussion um Taurus jedoch neu entfacht.
In den mehr als drei Jahren Krieg fehlen der Ukraine bislang Waffen mit großer Reichweite und hoher Sprengkraft, um auch weit hinter der Front russische Militärziele und Versorgungswege anzugreifen. Zwar lieferten Großbritannien und Frankreich ihre Marschflugkörper Storm Shadow/Scalp, später steuerten die USA auch Artillerieraketen vom Typ ATACMS bei. Doch die Stückzahlen waren gering und es gab Beschränkungen für ihren Einsatz, die später gelockert wurden. Inzwischen baut die Ukraine notgedrungen ihre eigenen Raketenkapazitäten aus und erhält dabei nun eben stärkere Hilfe aus Deutschland.
Merz hat seit Amtsantritt deutlich gemacht, wie wichtig ihm die Unterstützung der Ukraine ist. Als Oppositionsführer hatte er sich immer für die Lieferung des Taurus ausgesprochen. Eine Journalistin aus der Ukraine spricht ihn darauf im Kanzleramt an. In Kiew kann man sich noch sehr gut an die Aussagen aus dem Wahlkampf erinnern. Eine klare Antwort gibt es von Merz dazu jedoch nicht, er verweist auf die jetzt getroffenen Vereinbarungen.
Doch in Moskau wird der deutsche Kanzler sehr wohl gehört. Der Kreml reagiert schnell auf die Pressekonferenz in Berlin. Dies sei „sehr unverantwortlich“ und stelle eine weitere Provokation dar, heißt es. Und dann folgt noch der Hinweis, eine nächste Verhandlungsrunde zwischen Russland und der Ukraine könnte erneut in Istanbul stattfinden. Von Selenskyj gibt es am Vormittag eher beunruhigende Neuigkeiten: Russland habe nach seinen Informationen 50.000 Soldaten für einen möglichen Vorstoß in die Region Sumy im Nordosten der Ukraine zusammengezogen. Ein Ende des Krieges erscheint in weiter Ferne.