Zentrale Sommerferien für ganz Deutschland sind illusorisch. Das sagt Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne).

Das Schuljahr 2024/2025 geht in die Zielgerade ein. Welche Hausaufgaben muss die Kultusministerin noch erledigen?

Wir haben immer viele Hausaufgaben zu erledigen. Das Drängendste ist weiterhin der Fachkräftemangel. Wir versuchen erneut, viele Lehrkräfte fürs kommende Schuljahr zu gewinnen. Ab Sommer 2026 greift dann der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter in Niedersachsen.

Wie sind die Abiturprüfungen gelaufen? Kennen Sie schon Ergebnisse?

Die Abitur-Prüfungen sind weitgehend reibungslos verlaufen. Es gibt da stets viel Aufregung, weil jedes noch so kleine Thema vor Ort sofort hochploppt. Zudem haben die Schülerinnen und Schüler das Petitionswesen entdeckt. Das halte ich für legitim. Überraschend ist aber, wenn man schon einen Monat vor der eigentlichen Klausur weiß, dass die Aufgaben zu schwer sind.

Es gab Kritik, dass die Prüfungen in den Hauptfächern in einem engen Zeitraum erfolgten. Werden Sie kommendes Jahr stärker auf die Taktung achten?

In diesem Jahr war die Flexibilität aufgrund der frühen Sommerferien begrenzt – das gilt leider auch für 2026. Das ist ein sehr komplexes System. Trotzdem setzen wir uns nach wie vor bei den Absprachen mit den anderen Ländern für eine bestmögliche Verteilung ein.

Und wir haben für die beiden kommenden Jahre bereits die Termine angepasst. Vor allem für das Abitur 2027 bringt der spätere Sommerferienbeginn etwas mehr Entspannung. Die Termine für die Naturwissenschaften werden dann deutlich entzerrt.

Mehrere Bildungsverbände haben zentrale Sommerferien gefordert. Was halten Sie denn davon?

Das halte ich für illusorisch. Was wäre auf den Autobahnen und in den Zügen los, wenn alle Menschen am gleichen Tag in den Urlaub fahren? Das Verkehrschaos wäre noch größer als es ohnehin schon ist. Es ergibt Sinn, dass die Länder sich verabredet haben, wechselseitig zu rollieren und die Ferien nacheinander zu machen. Noch solidarischer wäre es, wenn sich alle Länder daran halten würden.

Im Frühsommer werden die neuen Ergebnisse der PISA-Studie vorgestellt. Muss sich Niedersachsen auf das Schlimmste gefasst machen?

Wir kennen noch keine Ergebnisse. Aber klar ist: Um gegenzusteuern braucht man ein paar Jahre. Wir haben in den letzten Jahren diverse Maßnahmen ergriffen. Und ich gehe davon aus, dass die sich perspektivisch bemerkbar machen.

Kanzler Merz möchte, dass die Deutschen mehr arbeiten. Die Schüler auch?

Wir haben mit der Ganztagsschule wirklich schon sehr, sehr lange Tage für unsere Schülerinnen und Schüler. Insofern glaube ich, dass wir gut daran tun, hier nicht noch mehr draufzupacken.

Es gibt einen neuen Erlass zur beruflichen Orientierung an Schulen. Viele fragen sich, ob ausreichend Praktikumsplätze angeboten werden.

Wir erhöhen die Praxistage zur Berufsorientierung von 25 auf 35. Das Budget verteilt jede Schule je nach Bedarf. Es werden Praktika angeboten, aber auch Berufsorientierungsmessen in der Schule, Besuche bei der Arbeitsagentur und vieles mehr. Unsere Erfahrung ist, dass die Unternehmen gern Praktikumsplätze bereitstellen. Angesichts des Fachkräftemangels tut es Not, hier noch mehr Zeit zu investieren.

Wird den Lehrern ein größeres Zeitkontingent für die berufliche Orientierung angerechnet?

Um das Modell zu implementieren, haben wir sechs Jahre lang den Lehrkräften eine zusätzliche Stunde gegeben. Nun müssen die Schulen ihre Konzepte anpassen. Es gibt 500 Anrechnungsstunden für die Beratung und Begleitung. Darüber hinaus bieten wir Fortbildungen für die Lehrkräfte an und Materialien über die Homepage.

Es heißt, der Prozess solle individuell kontinuierlich dokumentiert werden. Rollt da eine neue Bürokratiewelle auf die Schulen zu?

Nein, wir haben eine App entwickelt. Dort können Schülerinnen und Schüler ihre Berufserfahrungen dokumentieren. Auch für die Lehrkräfte gibt es eine entsprechende App. Insofern ist der Aufwand eher gering.

Bremen führt zum Sommer 2026 die Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte ein. Wann zieht Niedersachsen nach?

Bremen bereitet ein Modellprojekt vor, damit sie ab August 2026 erproben können, wie Arbeitszeiten von Lehrkräften dauerhaft erfasst werden können. Wir sind im Kanon mit den anderen Ländern und warten auf eine Vorgabe der Bundesregierung.

Sie muss auf Basis des Urteils des Europäischen Gerichtshofes entscheiden, wie Lehrkräfte zu behandeln sind. Richter oder Hochschullehrer beispielsweise haben eine sogenannte Vertrauensarbeitszeit. Da drängt sich die Frage auf, ob Lehrkräfte auch in diese Kategorie einzuordnen sind.

Niedersachsen schafft 2.460 zusätzliche Lehrerstellen. Wie viele davon stellen Sie im Sommer denn tatsächlich ein?

Wir haben in den letzten Einstellungsdurchgängen schon rund 800 Stellen besetzt. Ich gehe davon aus, dass die anderen Stellen in diesem Jahr besetzt werden. Grundsätzlich registrieren wir in Niedersachsen bereits seit geraumer Zeit eine relativ gute Bewerberlage auf Einstellungsmöglichkeiten für Lehrkräfte.

Das ist erfreulich und zeigt, dass die bisherigen Anstrengungen der Landesregierung Wirkung entfalten: So konnten wir in den zurückliegenden Jahren trotz aller Schwierigkeiten regelmäßig mehr Lehrkräfte einstellen als zeitgleich ausgeschieden sind. Nie zuvor waren so viele Lehrkräfte an Niedersachsens Schulen beschäftigt wie heute.

Werden die Lehrer dann aufs Land verteilt?

Wir haben in der Tat Schwierigkeiten, Stellen in den ländlichen Räumen zu besetzen und mussten darum etliche Maßnahmen ergreifen. So schreiben wir immer zuerst die Stellen im ländlichen Raum für Schulen mit besonderem Bedarf aus. Sollten noch Stellen unbesetzt bleiben, schichten wir in der letzten Ausschreibungsrunde noch einmal um.

Wer zum Beispiel an einer besonders beliebten Schule in Hannover arbeiten will, muss sich vorher für eine gewisse Zeit an eine Schule im ländlichen Raum abordnen lassen. Die Betroffenen wissen, dass sie später an ihre Wunschschule zurückkehren können. Dieses Modell ist durchaus erfolgreich. Und im besten Fall verlieben sich die Betroffenen in die Schule und bleiben auf dem Land.

Die Gewerkschaften wünschen sich, dass auch die Kommunen mehr tun, um Lehrkräfte aufs Land zu holen. Sehen Sie das auch so?

Das ist ein berechtigter Punkt. Wenn die Kommune sich engagiert – etwa mit Kita-Plätzen oder einer guten Infrastruktur – wollen die Menschen eher dort wohnen. Insofern ist Regionalentwicklung ganz entscheidend – nicht nur für Lehrkräfte, sondern auch für Ärzte und andere Mangelberufe.

Sind alle Schulen im Land inzwischen digital gut aufgestellt?

Wir haben einen Großteil der Schulen ans Breitbandnetz angeschlossen. Es gibt aber noch viele Schulen, die der digitalen Entwicklung hinterherlaufen. Allein aus dem Digitalpakt I sind etwa 3000 Anträge offengeblieben. Daher muss der Bund den Digitalpakt II mit einem Volumen von jährlich eine Milliarde Euro für Niedersachsen schnell auf den Weg bringen.

Die Gewerkschaft GEW fordert, dass sich die Verteilung von Ressourcen auf die Schulen an sozialen Kriterien orientiert. Bislang wird das nur bei den Schulen im sogenannten „Start-Chancen-Programm“ gemacht. Wann kommt es für alle?

Derzeit werten wir die Erfahrungen mit dem Sozialindex aus. Ich finde es richtig, wenn für zusätzliches Personal oder zusätzliche Ressourcen soziale Kriterien zugrunde gelegt werden. Schon heute erhalten Schulen mit besonderem Bedarf mehr Ressourcen – zum Beispiel bei Sprachförderstunden oder Stunden für Kinder mit einem besonderen Förderbedarf. Wir sind mit allen Beteiligten in guten Gesprächen und rechnen fleißig. Wir wollen noch in dieser Legislaturperiode eine Lösung finden.

Um jüdisches Leben besser zu schützen, soll die Landesverfassung geändert werden. Wird sich das Thema im Schulalltag widerspiegeln?

Gesellschaftliche Konflikte spiegeln sich auch im Schulalltag. Darum bieten wir regelmäßig Fortbildungen für Lehrkräfte und für Multiplikatoren zum Thema Antisemitismus an. Zudem haben wir im Bildungsportal eine umfangreiche Materialsammlung zu Themen wie Nahostkonflikt und Antisemitismus.

Gibt es auch symbolische Akte, etwa die Umbenennung einer Schule nach Holocaust-Opfern?

Die Evangelische Kirche verleiht ein Schulsiegel gegen Antisemitismus. Wir reden gerade mit der Kirche darüber, ob wir die Auszeichnung gemeinsam vergeben könnten. Die Benennung von Schulen oder Straßen wird vor Ort entschieden. Da mische ich mich nicht ein. Aber in der Tat wäre da eine „Margot-Friedländer-Schule“ ein schönes Symbol.

Niedersachsen hat einen neuen Ministerpräsidenten. Interessiert sich Olaf Lies eigentlich für Bildungspolitik?

Absolut. Die Bildungspolitik hat in seiner Regierungserklärung einen breiten Raum eingenommen. Wir haben dort gemeinsam ambitionierte Ziele.

Im Sommer 2026 tritt der Rechtsanspruch auf die Ganztagsgrundschule in Kraft. Werden dann im Kultusministerium die Telefone heiß klingeln?

Warum sollten sie? Wir sind gut aufgestellt. 72 Prozent der Grundschulen sind bereits Ganztagsschulen. Die anderen müssen nächstes Jahr erst einmal nur mit Klasse eins starten. Übrigens: Schon heute hat die Mehrzahl der Schulen vorbildliche Konzepte entwickelt.

Die müssen sie nicht ändern, sondern auf fünf Tage ausweiten. Die Finanzierung durch das Land ist mit 280 Mio. Euro in der Endausbaustufe jährlich beträchtlich. Und im Ländervergleich steht Niedersachsen beim Ausbau zur Ganztagsgrundschule im oberen Drittel.