Die Spitzen von CDU, CSU und SPD haben am Mittwochabend ein Sofortprogramm vorgestellt, in dessen Fokus insbesondere die schnelle Stärkung der Wirtschaft steht. Der konkrete Zeitplan der meisten Vorhaben ist bisher aber noch unklar. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sagte nach dem Koalitionsausschuss: „Das Wichtigste für uns ist die Überwindung dieser strukturellen Wachstumsschwäche unseres Landes.“

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Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hat die Beschlüsse des Koalitionsgipfels teils scharf kritisiert. „Verschiedene Maßnahmen sind höchst fragwürdig, etwa die Senkung des Umsatzsteuersatzes in der Gastronomie, die Agrardiesel-Subvention und die Mütterrente“, sagte die Nürnberger Ökonomin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Das sind kostspielige Maßnahmen in einer Zeit, in der wir uns derartige Wahlgeschenke eigentlich nicht leisten können.“

Völlig unverständlich ist es, dass die Mietpreisbremse verlängert wird.

Veronika Grimm, Mitglied des Sachverständigenrats der Bundesregierung

Auch habe man sich offensichtlich nicht einigen können, das europäische Lieferkettengesetz zu hinterfragen – „gerade bei der Abschaffung von Regulierung von Vorschriften müsste man konsequenter vorgehen“, kritisierte Grimm. „Völlig unverständlich ist es, dass die Mietpreisbremse verlängert wird. Das senkt die Glaubwürdigkeit der Politik bei befristeten Maßnahmen und dürfte die Investitionstätigkeit bei privaten Wohnbauten dämpfen.“

Deutlich wichtiger als eine Kommission zur Reform der Schuldenbremse wäre eine Kommission zur Reform von Rente und Pflegeversicherung, betonte Grimm. „Hier ist keine Zeit zu verlieren.“ Konkret forderte die Ökonomin eine Kopplung des Renteneintrittsalters an die fernere Lebenserwartung, einen Anstieg der Bestandsrenten mit dem Preisniveau sowie die Wiedereinführung des Nachhaltigkeitsfaktors.

„Nur wenn man den Menschen ehrlich kommuniziert, was auf sie zukommt, können diejenigen zusätzlich fürs Alter vorsorgen, die es sich leisten können“, sagte das Mitglied des Sachverständigenrats der Bundesregierung.

Die beschlossene Senkung der Stromsteuer und der Belastung von Unternehmen begrüßte Grimm dagegen. „Das Land ist seit Jahren in einer schweren Strukturkrise. Es braucht Maßnahmen, die die Rahmenbedingungen strukturell verbessern. Es fehlt noch ein klares Bekenntnis zum Abbau von Regulierung, nur Bürokratieabbau wird nicht ausreichen“, so die Ökonomin.

Die Industriegewerkschaft Metall forderte von Schwarz-Rot Tempo bei der Umsetzung der Vorhaben. „Aus Sicht der IG Metall ist es entscheidend, dass diese richtigen Impulse jetzt schnell für alle im Land spürbar werden und zu mehr Zuversicht für Menschen und Unternehmen führen. Bis zum Sommer ist nicht mehr viel Zeit – und es muss noch viel passieren“, sagte IG-Metall-Chefin Christiane Benner den Zeitungen.

IG Metall spricht von „Startsignal“

Zugleich lobte sie das „Startsignal“ des Koalitionsausschusses, denn viele Maßnahmen, auf die die IG Metall lang gedrängt habe, seien enthalten: „Investitionen sollen schnell kommen, Planung und Genehmigung für Wasserstoff, Windkraft und Wärmetechnologien soll vereinfacht werden, die Stromsteuer soll gesenkt werden, Maßnahmen zur Reduzierung von Netzentgelten und zur Förderung der Elektromobilität sollen kommen“, zählte Benner auf.

Besonders hervor hob sie zudem das Tariftreuegesetz. Als „lang überfällig“ bezeichnete sie das Vorhaben, das die Tarifbindungen stärken soll. „So werden mehr Menschen fairer und verlässlicher bezahlt, ein guter und richtiger Schritt“, führte Benner aus.

Es müssen weitere Schritte, insbesondere auch im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik, folgen.

Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall

Auch der Präsident des Dachverbands der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie Gesamtmetall, Stefan Wolf, zeigte sich zufrieden. „Die Einigung im ersten Koalitionsausschuss auf konkrete Entlastungen für Bürger und Unternehmen ist ein gutes, wichtiges Zeichen“, sagte Wolf. Zugleich mahnte er ebenfalls Tempo bei der Umsetzung an: „Aber das Wichtigste ist jetzt Schnelligkeit. Jeder Tag früher, an dem die Entlastungen tatsächlich in Kraft treten, ist ein Gewinn für den Standort und für das Land.“

Die Probleme des Standortes würden nicht von „heute auf morgen gelöst sein“. Wolf weiter: „Es müssen weitere Schritte, insbesondere auch im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik, folgen. Aber es sind heute die ersten Schritte – und die sollte man nicht kleinreden.“ Hervor hob der Gesamtmetall-Präsident die angekündigte Senkung der Strompreise, die Sonderabschreibungen auf Investitionen und die geplanten Steuererleichterungen. Diese könnten eine „Aufwärtsspirale“ einleiten.

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Auch der Spitzenverband der mittelständischen Wirtschaft, BVMW, drängte auf eine schnelle Umsetzung der angekündigten Reformen. „Die Ergebnisse machen Hoffnung. Doch vielen Mittelständlern steht das Wasser längst bis zum Hals“, sagte BVMW-Bundesgeschäftsführer Christoph Ahlhaus den Blättern.

„Deshalb geht es jetzt nur noch darum, wann und in welchem Umfang die Ergebnisse des Koalitionsausschusses bei den Unternehmen ankommen. Die Welt und der Wettbewerb warten nicht auf uns“, appellierte Ahlhaus.

Lesermeinungen zum Artikel

„Man kann sich ja immer über Inhalte streiten, aber die Umsetzung von Wahlversprechen als ‚Wahlgeschenke‘ zu diskreditieren zeugt schon von einem merkwürdigen Demokratieverständnis. Wirtschaftspolitik kennt sie fast nur angebotsorientiert und Einschnitte treffen in erster Linie Schlechtverdienende, die so in die Armut befördert werden.“ Diskutieren Sie über folgenden Link mit stunner07