Mehrere Femizide allein in diesem Jahr in Berlin haben ein Schlaglicht auf die Gewalt gegen Frauen geworfen. Nun zeigen neue Daten, wie anhaltend und schwerwiegend das Problem ist. So sind allein seit 2023 in der Hauptstadt 20 Frauen von Männern im Zuge partnerschaftlicher oder häuslicher Gewalt getötet worden. Das geht aus der Antwort der Senatsinnenverwaltung auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus hervor, die dem Tagesspiegel vorab vorliegt.

Insgesamt wurden seit 2023 demnach 50 Frauen in Berlin von Männern getötet. Lässt man die 15 Fälle unberücksichtigt, die einem Palliativmediziner zugerechnet werden, bleiben noch 35 Taten, zu denen auch die Fälle mit Bezug zu partnerschaftlicher Gewalt zählen.

Wie viele Femizide es in Berlin gibt, ist noch unklar

Wie viele davon als Femizid eingestuft werden, können Senat und Polizei bislang jedoch nicht beantworten. Mittlerweile existiert innerhalb des Landeskriminalamts für den Tatbestand eine Begriffsdefinition, von der Polizei unter Verschluss gehalten. Auf deren Grundlage wurden auch alle Tötungsdelikte von männlichen Tätern an Frauen seit dem vergangenen Jahr eingestuft. Eine abschließende Bewertung stehe jedoch noch aus, schreibt die Innenverwaltung in der Antwort.

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„Aktuell findet eine Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft Berlin dahingehend statt, welche der vom Landeskriminalamt vorab ausgewählten Taten auch nach Verfahrensabschluss als Femizid bewertet werden können.“ Zudem stimme man sich parallel mit dem Bundeskriminalamt über ein bundesweit einheitliches Vorgehen ab. „Aus diesem Grund können zurzeit noch keine Zahlen für die Jahre 2024 und 2025 veröffentlicht werden.“

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Auch andere Zahlen verdeutlichen das Problem: In knapp zehntausend Fällen wurden Frauen im vergangenen Jahr Opfer von Delikten mit Gewaltcharakter in ihrer Beziehung wie Körperverletzung, Nötigung, Stalking oder sexueller Missbrauch.

Mehr als 5800 Mal ging es dabei um Körperverletzung, in über 700 Fällen davon um schwere. 2674 Mal waren aber auch Männer die Opfer von Taten in der Partnerschaft.

Mehr als 170 Mal im Monat bekommen Partner ein Betretungsverbot ausgesprochen

Zum Schutz vor weiteren Straftaten innerhalb einer Beziehung hat die Berliner Polizei im vergangenen Jahr insgesamt 2088 Wegweisungen durchgeführt. Dabei wird Tätern der Hausschlüssel abgenommen. Sie dürfen die partnerschaftliche Wohnung anschließend für maximal 14 Tage nicht mehr betreten.

Zugleich registrierte die Polizei im vergangenen Jahr knapp 1700 Verstöße gegen das im Gewaltschutzgesetz enthaltene Näherungs- und Betretungsverbot der gemeinsamen Wohnung. Eine Aufschlüsselung nach dem Geschlecht der Täter enthalten die Daten nicht.

Frausein ist in Deutschland ein Sicherheitsrisiko.

Bahar Haghanipour, frauenpolitische Sprecherin der Berliner Grüne-Fraktion

Angesichts dieser Zahlen reichen aus Sicht der frauenpolitischen Sprecherin der Grünen-Fraktion, Bahar Haghanipour, die bisherigen Maßnahmen zum Schutz von Frauen nicht aus. „Frausein ist in Deutschland ein Sicherheitsrisiko. Wir Grüne fordern deshalb besseren Gewaltschutz. Denn dieser rettet Leben.“

So sei die bislang geltende Dauer von maximal 14 Tagen bei Wegweisungen zu kurz. „Wegweisungen sind ein wichtiges Instrument, aber 14 Tage reichen nicht. Gewaltbetroffene Frauen brauchen mehr Zeit, um sich in der belastenden Situation zu sortieren und Schutzmaßnahmen zu ergreifen.“ Die Grünen forderten daher eine Verlängerung der Wegweisung auf vier Wochen.

Haghanipour stört sich auch an der noch fehlenden Statistik zu Femiziden. „Jeden Monat wird in Berlin mindestens eine Frau von einem Mann getötet. Wie viele der Taten eindeutige Femizide sind, ist nicht bekannt“, konstatiert sie und fragt: „Wie lange will der Senat noch prüfen?“ Berlin müsse Femizide endlich benennen und als solche erfassen.

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Zwar erkennt der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion Vasili Franco an, dass bei der Berliner Polizei die Sensibilität für die Sicherheit von Frauen in den vergangenen Jahren gestiegen sei. Dennoch bleibe noch viel zu tun.

„Hochrisikofälle müssen nicht nur erkannt werden, sondern in effektivem Schutz der Betroffenen münden“, sagte Franco. Nicht selten gebe es Anzeichen lange vor einer Tat, sei es durch Hinweise bei Beratungsstellen, Schulen, Jugendämtern oder bei der Polizei. Niedrigschwellige Fallkonferenzen seien daher der Schlüssel, um Risikofälle früh zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, erklärte der Grüne.