Das Schweizer Radio und Fernsehen SRF berichtet über aktuelle Drohnenbilder, wonach das angestaute Wasser des Flusses Lonza nach dem Gletscherabbruch abfließt. Es bahne sich einen Weg durch die 2,5 Kilometer langen Schuttmassen.

Die regionalen Behörden befürchteten daher derzeit kein Überschwappen. Der Schweizerische Versicherungsverband SVV geht allerdings von Schäden in Höhe von mehreren hundert Millionen Franken aus, wie das SRF weiter berichtet.

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Zuvor schwoll der gestaute Fluss Lonza im Lötschental so bedrohlich an, dass die Behörden weitere Gemeinden auf eine Räumung vorbereiten. „Wir fordern die Bewohner auf, persönliche Vorbereitungen zu treffen, um innert möglichst kurzer Zeit die Wohnungen verlassen zu können“, teilen die Gemeinden Steg-Hohtenn und Gampel-Bratsch mit. 

Betroffen waren die Gemeinden Gampel und Steg rund 20 Kilometer unterhalb des verschütteten Dorfes Blatten, das auf 1500 Metern Höhe liegt. Insgesamt wohnen in dem Gebiet mehr als 2000 Menschen, aber der Aufruf galt nur für die Ortsteile am Talgrund, wie die Gemeinden mitteilen. Bisher wurden rund 400 Bewohner, die unterhalb des bisher betroffenen Ortes Blatten im Tal leben, evakuiert.

Sollte es wirklich zu einem plötzlichen Wasser- und Geröllabsturz kommen, droht in dem Tal die Zerstörung von bisher verschont gebliebenen Ortschaften.

Fluss staute sich weiter an

Der Fluss staute sich auch am Freitag weiter an. Der Pegel des entstandenen Sees sei so hoch, dass er fast die Spitze des Geröllfeldes erreicht habe, erklärten die Schweizer Behörden am Freitagmittag. Das Gesamtvolumen von Eis und Fels am Talboden betrage inzwischen zehn Millionen Kubikmeter.

Dass sich die Wassermassen des Stausees einen Weg ins Tal bahnen müssen, steht fest – die Frage ist, ob das geordnet oder chaotisch abläuft. Die Behörden hoffen darauf, dass sich das Wasser nach und nach einen Weg sucht und im Laufe des Freitags gemächlich über den Schutt abfließt. 

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Der Schweizer Chefgeologe des Kantons Valais Raphaël Mayoraz erklärt in einem Interview mit dem Sender „RTS“, dass die Situation derzeit „günstig“ aussehe. „Das Wasser beginnt sich seinen Weg durch die 2,5 Kilometer lange Ablage zu suchen. Jede weitere Stunde, in der das passiert, verringert das Risiko eines Katastrophenszenarios.“

Für eine Entwarnung sei es aber zu früh. Das Szenario einer möglichen Evakuierung werde noch Wochen bestehen bleiben. So lange werde es dauern, bis es dem Wasser gelinge, sich eine stabile Rinne durch den Schutt zu graben.

Die Armee hält sich mit Baggern bereit

Am Freitagmorgen hatte ein Sprecher des Einsatzführungsstabes gegenüber dem Schweizer Rundfunk „SFR“ erklärt: Die Gefahr einer Flutwelle und vor allem möglicher Erosionen sei noch immer hoch, weil weiterhin unklar sei, wie das Wasser aus dem See abfließe.

Völlig auszuschließen war nach Angaben der Behörden nicht, dass das Wasser noch über den Schuttkegel schwappt und eine Flutwelle oder eine Gerölllawine ins Tal rauscht, wenn das Wasser Teile des instabilen Schuttkegels mitreißt. 

Deshalb hielt sich die Armee mit Wasserpumpen, Baggern und anderen schweren Räumungsmitteln sowie Beleuchtungsmaterial für einen Einsatz bereit. Der Zivilschutz wurde mobilisiert.

Im Satellitenbild oben ist das Dorf Blatten vor der Katastrophe zu sehen. Das Bild unten zeigt das Dorf nach der Katastrophe.

© REUTERS/MAXAR TECHNOLOGIES

Laut Experten stieg das gestaute Wasser der Lonza bei Blatten am Donnerstag um etwa 80 Zentimeter pro Stunde. Die Häuser, die den Erdrutsch überstanden hatten, wurden überschwemmt.

Vom Berg drohen weitere Rutschungen

„Unternehmen können wir leider wenig, weil die Sicherheitslage vor Ort es nicht zulässt, dass wir mit schweren Maschinen eingreifen können“, sagte Christian Studer von der Dienststelle Naturgefahren am Donnerstag im Schweizer Fernsehen. Es gebe mehrere Gefahrenquellen: Der Schuttberg sei instabil, weil er aus Felsbrocken, losem Schutt und Gletschereis bestehe, das teils geschmolzen sein dürfte. Weder Menschen noch Maschinen wären darauf sicher. Dem Wasser einen Weg in Richtung Tal zu fräsen, sei deshalb keine Option.

Blick in das Lötschental mit dem Geröllfeld

© AFP/FABRICE COFFRINI

Das Geröllfeld liegt direkt hinter dem Dorf Kippel.

© AFP/FABRICE COFFRINI

Gleichzeitig drohen von beiden Seiten des Tals weitere Rutschungen: An der ursprünglichen Abbruchstelle am Kleinen Nesthorn können immer noch mehrere hunderttausend Kubikmeter Gestein abstürzen.

Zudem wurden bei dem Gletscherabbruch Geröll und Schuttmassen über den Talboden hinweg und auf der gegenüberliegenden Hangseite hochgeschoben. Auch sie könnten als Gerölllawine wieder abrutschen. 

Die Behörden können sich zurzeit nur mit der Gefahrenbeurteilung und organisatorischen Maßnahmen befassen, sagte Studer. „Wir können sicherstellen, dass sich möglichst keine Personen in einem gefährdeten Gebiet aufhalten.“ Zudem wurde ein weiter unten bei Ferden an der Lonza gelegener Stausee vorsichtshalber geleert, um als Auffangbecken zu dienen. 

Vom Geröll verschonte Häuser wurden überflutet

Studer sprach aber auch das Schreckensszenario an, das zwar unwahrscheinlich, aber möglich sei: „Das „worst case“-Szenario ist, dass plötzlich entgegen den aktuell als eher realistisch eingeschätzten Szenarien viel mehr Wasser und Geschiebe kommt, das das Staubecken Ferden nicht mehr zu schlucken vermag“, sagte er.

Das Foto zeigt die verschütteten und überfluteten Häuser in Blatten.

© AFP/FABRICE COFFRINI

Blick auf das Dorf von weiter oben am Berg.

© AFP/ALEXANDRE AGRUSTI

Satellitenaufnahme des teilüberfluteten Ortes.

© AFP/Handout/Satellite image ©2025 Maxar Technologies

Hier der See im Größenvergleich mit dem Geröllfeld. Der Fluss Lonza lässt den See immer größer werden.

© AFP/HANDOUT

Zuvor hatte der Geologe Flavio Anselmetti von der Universität Bern bereits das Worst-Case-Szenario beschrieben. „Das Schlimmste wäre, dass sich Wasser aufstaut bis zur Krone des Bergsturzdammes“, sagte Anselmetti dem Schweizer Radiosender SRF. Der Fluss könne sich dann in das Gestein-Eis-Gemisch einschneiden.

Wir haben das Dorf verloren, aber nicht das Herz.

Matthias Bellwald, Gemeindepräsident von Blatten

„Was drohen könnte, wäre, dass der Damm durch dieses Einschneiden instabil wird, dass Teile dieses Dammes mitgerissen werden, dass er kollabiert und dann könnten sehr starke Flutwellen oder Murgänge von diesem Seeausbruch für die Gemeinden, die im unteren Tal liegen, drohen.“

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Die Behörden haben vorsichtshalber bereits Einwohner der Gemeinden Wilder und Kippel sowie von der Fafleralp in Sicherheit gebracht. Es handelt sich um 16 Personen, wie der regionale Führungsstab Lötschental mitteilte. Das Gestein- und Eisgemisch liegt meterhoch auf einer Länge von zwei Kilometern und einer Breite von 200 Metern.

Am Freitagmorgen bereiteten sich die Bewohner auch der Orte Steg und Gampel am Talanfang auf die Evakuierung vor.

Das Dorf Blatten war angesichts des drohenden Felsabbruchs schon vergangene Woche geräumt worden. 90 Prozent der Häuser wurden nach dem gewaltigen Naturereignis am Mittwoch von einer meterhohen Schuttschicht bedeckt. Die anderen stehen inzwischen im Wasser, weil der Schuttkegel das Flussbett der Lonza versperrt hat und das Wasser sich dahinter staut.

Lötschental

Das Lötschental ist auch ein Urlauberparadies, im Sommer mit Wander- und Kletterrouten sowie Bergseen und viel unberührter Natur und mit Blick teils auf 40 Viertausendergipfel, im Winter mit kilometerlangen Skipisten. Es war bis zur Eröffnung des Lötschbergtunnels 1913 und dem Bau einer Straße in den 1950er Jahren nur schwer erreichbar. (dpa)

Ein 64 Jahre alter Mann, der sich trotz der Warnungen in der Gegend aufhielt, wird noch vermisst. Die Suche musste vorübergehend eingestellt werden, wie die Polizei mitteilte. Die Entscheidung fiel „aufgrund der anhaltenden Instabilität des Absturzmaterials aus Eis, Fels und Wasser und der damit verbundenen Gefährdung der Einsatzkräfte“.

Der Gletscherabbruch hat die schlimmsten Erwartungen der Behörden noch übertroffen. „Das Unvorstellbare ist heute eingetroffen“, sagte der Blattener Gemeindepräsident Matthias Bellwald in einer Pressekonferenz im Nachbarort Ferden.

Blatten liege unter einem sehr großen Schuttkegel. Obwohl die Katastrophe erst wenige Stunden zurücklag, zeigte sich Bellwald optimistisch. „Wir haben das Dorf verloren, aber nicht das Herz“, sagte er und rief zum Wiederaufbau auf.

Bewohner von Blatten wurden schon in Sicherheit gebracht

Die Schweizer Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter drückte den Bewohnern von Blatten ihr Mitgefühl aus. „Es ist schlimm, wenn man seine Heimat verliert“, schrieb sie auf der Plattform X. 

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Der öffentlich-rechtliche SRF zeigte Aufnahmen von einer riesigen Staubwolke, die sich mit den Schuttmassen den Berg hinabwälzte. Laut dem Schweizerischen Erdbebendienst wurde die Erde mit einer Stärke von 3,1 erschüttert. Zuvor waren bereits in der Nacht zum Dienstag größere Mengen an Eis, Fels, Schnee und Wasser talwärts gestürzt.

Die rund 300 Einwohner des Dorfes Blatten haben alles verloren. 90 Prozent des Dorfes, rund 130 Häuser sowie die Kirche, sind unter einer Schuttschicht begraben. Sie sei zwischen 50 und 200 Metern dick, sagte Naturgefahrenchef Raphaël Mayoraz bei einer Medienkonferenz. Der Kegel ist zwei Kilometer lang und rund 200 Meter breit. Insgesamt donnerten nach Schätzungen drei Millionen Kubikmeter Fels, Geröll und Eis des Birchgletschers ins Tal. 

Seit die Eis- und Gerölllawine am Mittwochnachmittag mit gigantischem Getöse und einer Staubwolke wie nach einer Explosion ins Tal donnerte und Blatten unter sich vergrub, werden die Bewohner abgeschirmt und betreut.

Blatten ist das letzte Dorf im 27 Kilometer langen Lötschental. Es liegt auf rund 1500 Metern.

Auslöser dieser Ereignisse war ein relativ langsam verlaufender Bergsturz am rund 3.800 Meter hohen Kleinen Nesthorn, oberhalb des nun abgestürzten Birchgletschers. Durch das Abbröckeln des Kleinen Nesthorns lagerten sich in den vergangenen Tagen rund neun Millionen Tonnen Schuttmaterial auf dem Gletscher ab und übten Druck auf die Eismassen aus.

Schweizer Gletscher schmolzen wegen der Klimaerwärmung zwischen 2022 und 2023 so stark wie im gesamten Zeitraum von 1960 und 1990 und verloren zehn Prozent ihres Volumens. 

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Die Naturkatastrophe sei historisch „beispiellos“, sagte Raphaël Mayoraz, ein Naturgefahren-Experte des Kantons Wallis.

Der Abgeordnete Beat Rieder aus dem Nachbarweiler Wiler sprach im Fernsehen von einer Jahrhundertkatastrophe. „Es ist ein Ereignis, das das Tal seit Beginn der Geschichtsschreibung nie erlebt hat“, sagte er im Schweizer Fernsehen. „Die Leute haben alles verloren, was man sein ganzes Leben aufgebaut hat“, sagte er. „Man blickt auf den Bildschirm und kann nichts machen, das ist ein schwerer Schock.“ (Mit Agenturen)