Frau Senatorin, was waren Ihre ersten Termine im Amt?
Nach der Vereidigung im Parlament habe ich mich gleich mit den kulturpolitischen Sprechern der Koalitionsparteien ausgetauscht, weil wir in den nächsten Monaten bei der Haushaltsaufstellung sehr eng zusammenarbeiten müssen. Am nächsten Morgen hatte ich eine Videokonferenz mit Vertreterinnen und Vertretern des Bündnisses #BerlinIstKultur. Das ist meine Aufgabe: Kommunikation in alle Richtungen. Das hat absolute Priorität.

Sie holen nach, was in den letzten zwei Jahren nicht stattgefunden hat und eigentlich selbstverständlich ist.
Ich fange jetzt einfach an.

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Als Staatssekretärin haben Sie in den vergangenen Jahren die Kulturverwaltung faktisch als Behördenchefin geführt und die Einsparungen des Senats mitgetragen. Gegenüber dem „Spiegel“ haben Sie gesagt, dass die Zusammenarbeit mit Herrn Chialo zu wünschen übrig ließ und es unterschiedliche Auffassungen gab, sowohl was die Arbeit in der Senatsverwaltung betrifft als auch die Arbeit mit der Kulturszene. Inwiefern? 
Der ehemalige Senator Chialo und ich hatten unterschiedliche Auffassungen von Zusammenarbeit und der Bedeutung von Kommunikation für unsere Arbeit. Dabei will ich es bewenden lassen.

„Eine Zusammenarbeit hat es nie gegeben“ Berlins neue Kultursenatorin distanziert sich von Chialos Kurs

Wie stark hat die Kultur gelitten in den letzten Jahren?
Man muss sich bei diesen Einsparquoten und bei dem, was passiert ist, immer wieder vor Augen führen, dass wir einen der größten Kulturhaushalte weltweit haben, also eines der größten Budgets für Kultur in einer Stadt. Das ist nach wie vor der Fall. Dafür wurde in Berlin in den letzten 35 Jahren hart gearbeitet. Wir sind eine der großartigsten Kulturstädte Europas. Das Dilemma ist nur: Wir wollen mit dem Geld, das zur Verfügung steht, viel mehr machen als möglich ist. Jetzt müssen wir schauen, wie ein Kahlschlag verhindert wird, die Kultur in dieser Stadt auf einem hohen Niveau weiter existieren kann und die Strahlkraft der Stadt erhalten bleibt. Das ist eine große Herausforderung.

Und haben Sie eine Idee, wie Sie das schaffen wollen?
Kommunikation ist das A und O. Wir sprechen mit jeder einzelnen Einrichtung, mit den großen Häusern wie mit der Freien Szene. Wir wollen klären: Was ist zwingend notwendig, was muss erhalten werden und wie können wir mit weniger Geld das machen, was bisher gemacht worden ist. Was wir leider nicht machen können in den nächsten zwei Jahren ist weiter auszubauen.

Zur Person

Sarah Wedl-Wilson wurde 1969 in England geboren und erlernte als Kind Violine, Klavier und Orgel. Nach dem Sprachwissenschaftsstudium in Cambridge begann sie ihre Karriere bei einer Londoner Kulturmanagement-Firma, bevor sie ins Team des Kammerorchesters „Camerata Salzburg“ wechselte.

Über Stationen in Köln und Elmau kam sie 2000 zurück nach Österreich – als Geschäftsführerin der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. Ab 2012 arbeitete sie dann wieder in Salzburg, zuletzt als Vizedirektorin des berühmten Mozarteums. 2019 wurde sie als Rektorin an die Berliner Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ berufen.

2023 trat sie in Berlin das Amt der Staatssekretärin für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt an. Nach dem Rücktritt ihres Chefs Joe Chialo (CDU) wurde sie im Mai zu seiner Nachfolgerin ernannt.

Reden wir von den 130 Millionen Euro Kürzung für 2025 oder reden wir schon von weiteren Einsparungen, deren Größe wir alle noch nicht kennen?
Es geht um die Zeit danach. Der Senat hat Anfang des Jahres im Februar sogenannte Eckwerte beschlossen, und der Regierende Bürgermeister Kai Wegner hat uns im Rahmen des Kulturdialogs mit Kulturschaffenden signalisiert, dass darüber noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Das Eine sind die Erwartungen des Finanzsenators, das Andere ist, dass wir ebendiese Summen nicht erbringen können, das haben wir klar gesagt. Was das laufende Jahr angeht, haben wir die Sparvorgaben geschafft, aber nur mit vielen Einmaleffekten. Wir hatten Rücklagen aus Coronazeiten gebunkert, die wir zum Teil abgeschmolzen haben. Das lässt sich nicht wiederholen.

Ihre Ressortkollegen werden bei der nächsten Haushaltsrunde ähnlich argumentieren. Keiner will harte Einschnitte. Was dann?
Wenn wir den Status Quo erhalten können, haben wir schon viel geschafft. Die Schere geht auseinander: Auf der einen Seite sehen wir die sinkenden staatlichen Einnahmen und auf der anderen Seite Tarifsteigerungen und steigende Energiekosten. Da kommen wir mit Insellösungen nicht weiter. Wir suchen nach Möglichkeiten, mehr im Verbund zu machen, Effizienz zu steigern, Synergien zu schaffen. Das betrifft viele Dinge, die sich hinter den Kulissen abspielen.

Arbeiten im Verbund, das heißt, die Opernstiftung ist auch für andere Bühnen ein Vorbild?
Die Opernstiftung wurde in der Finanznot der Nullerjahre gegründet, und wir haben zwanzig Jahre später in Berlin immer noch drei künstlerisch hochprofilierte Opernhäuser und das Staatsballett. Da wird nicht nur im Verbund gearbeitet, sondern es gibt auch ein starkes und effizientes Controlling.

Künstlerisch aber ist dann umso wichtiger, dass die einzelnen Einheiten selbstständig sind, sonst hat man eine Soße.
Das gewährleistet bei der Opernstiftung bereits die Satzung.

Wir holen für die Leitung unserer Kultureinrichtungen die besten Köpfe nach Berlin, und ich vertraue diesen Top-Managern, dass sie effizient wirtschaften mit unser aller Steuergeld.

Sarah Wedl-Wilson, Kultursenatorin

Ist das jetzt ein Modell für die Sprechbühnen, das Sie anstreben?
Wir kommen immer wieder in den Gesprächen auf die Frage: Wie kann man besser zusammenarbeiten? Zum Beispiel beim Ticketverkauf. Ich wollte neulich mal wissen, was an einem Montagabend in Berlin los ist, und ich musste mich durch 25 Webseiten durcharbeiten. Das ist kein Zustand für eine Weltstadt. Ein anderes Beispiel sind die Lagermöglichkeiten für Museen und Bühnen. Aktuell ist es so, dass Requisiten, Bühnenbilder, Kostüme und Kunstwerke teils in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern gelagert werden. Die damit verbundene Logistik und der Verwaltungsaufwand kosten Geld, das ist unnötig. Das Stichwort für solche Lösungen ist Shared Services. Das soll dafür sorgen, dass maximale Mittel für die Kunst übrigbleiben.  

Was Sie beschreiben, kann nur über einen längeren Zeitraum geschaffen werden. Das ist nichts Kurzfristiges.
Man sagt immer, Not macht erfinderisch! In dieser Situation befinden wir uns nach dem gewaltigen Schock der Sparmaßnahmen. Wir müssen nun gemeinsam klären, wie kurz- und mittelfristige Maßnahmen gepaart zu Verbesserungen führen können. Wir holen für die Leitung unserer Kultureinrichtungen die besten Köpfe nach Berlin, und ich vertraue diesen Top-Managern, dass sie effizient wirtschaften mit unser aller Steuergeld. Natürlich brauchen sie jetzt in dieser Extremsituation die Kulturverwaltung und die Politik, darum hat der Regierende Bürgermeister den Kulturdialog ins Leben gerufen.

Was wir darüber hinaus brauchen, ist eine Agenda 2035 für Berlin. Unter dieser Überschrift beginnen wir in der Kulturverwaltung derzeit an Ideen zu arbeiten, die legislatur- und parteiübergreifend zum Tragen kommen sollen.

Die besten Köpfe kommen nicht mehr so gern, wenn sie das Gefühl haben, dass Berlin sich gerade ins Knie schießt.
Wenn Sie sich in anderen Städten umsehen, geht es jetzt nicht allein um eine Krise der Kultur in Berlin, sondern um eine wirtschaftlich extrem herausfordernde Situation in Deutschland und in Europa.

Um das klarzustellen: Das Gespenst der Privatisierung staatlicher Bühnen wäre damit von Tisch?
Privatisierung ist Fake News. Ich habe auch den Beschäftigten der Berliner Bühnen erklärt, dass von Privatisierung nicht die Rede ist. Wir müssen aber sehen: Die landeseigenen Betriebe haben nicht die Wirtschaftlichkeit und Wendigkeit, die sie jetzt brauchen. Öffentliche Stiftungen bieten das, sind jedoch nicht insolvenzfähig. Es gibt Bestandsschutz für die Verträge, sie sind Rechtsnachfolger.

Vergessen wir nicht: Die Kultur ist ein ganz großer Wirtschaftsfaktor in der Stadt. Mindestens 60 Prozent der Touristen kommen wegen der Kultur – von über 30 Millionen Nächtigungen im vergangenen Jahr. Das macht jährlich Milliarden Einnahmen aus, die wir in der Kultur generieren.

Die Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson (parteilos) am Tag ihrer Ernennung im Berliner Abgeordnetenhaus.

© Tagesspiegel/Lydia Hesse

Dann sollte Berlin eigentlich mehr in die Kultur investieren und nicht kürzen, wo Geld reinkommt.
Ja! Da sind wir außerdem bei der ZLB. Die Zentral- und Landesbibliothek in die Friedrichstraße zu holen und die ehemalige Prachteinkaufsstraße des Ostens wieder zu beleben, das halte ich für eine ausgezeichnete Idee. Wenn man die Friedrichstraße hinuntergeht, sieht man, in was für einem desolaten Zustand dieser Abschnitt der Straße sich befindet, seit die Galeries Lafayette geschlossen haben. Es ist wirklich wie ein schwarzes Loch, das Energie einsaugt. Die ZLB dort in Mitte: Ich finde die Vision großartig. Aber sie ist momentan nicht finanziert.

Unter Ihrem Vorgänger Joe Chialo gab es angeblich Gespräche mit möglichen Investoren. Werden diese fortgesetzt?
Es kommt jetzt ein Wechsel an der Spitze der ZLB. Volker Heller übergibt an Jonas Fansa, der sehr sicher alles daransetzen wird, dass das Thema vorangetrieben wird. Wir haben schließlich auch ein großes Problem mit den beiden bestehenden Standorten von Platzmangel bis zu Wassereinbrüchen. Diese Bibliothek ist immerhin die meistbesuchte Kultureinrichtung unserer Stadt!

Ihr Amtsvorgänger wurde kritisiert, weil er das Projekt ZLB von Beginn an falsch angepackt habe. Wie sehr haben Sie darunter gelitten?
Ich war nicht involviert in die Gespräche und daher eine Beobachterin wie jeder andere auch.

Zuletzt gab es eine Debatte darüber, wer sich Kultur leisten können muss und wer nicht. Wie stehen Sie dazu?
Kultur muss für alle da und leistbar sein! Sie wird aus unseren Steuergeldern finanziert. Eine Sache ist jedoch sehr wichtig: Dass wir uns nicht unter Wert verkaufen. Wenn die Staatsoper einen Ring macht mit Christian Thielemann und dafür Gäste aus aller Welt anreisen, müssen die Preise dem entsprechen, was angemessen ist für ein Kulturereignis dieser Art. Aber das ist natürlich das obere Ende der Skala.

Richtig ist, dass die Häuser vor dem Hintergrund der Konsolidierung in diesem Jahr und wohl auch in den kommenden Jahren ihre Einnahmepolitik noch einmal anschauen werden. Es bleibt der Druck, die Eigenwirtschaftlichkeit zu steigern. Gleichzeitig ist völlig klar, dass etwa Familien mit geringeren finanziellen Mitteln die Möglichkeit haben müssen, Kultur zu konsumieren.

Muss sich die berühmte Supermarktkassiererin den Besuch einer Oper leisten können?
Wir finanzieren alle mit unseren Steuergeldern die Breite in der Stadt. Etwa das Fußballstadion, das man womöglich nicht betritt oder die Schulen, auch wenn man keine Kinder hat. So funktioniert eine Gesellschaft. Gleichzeitig ist klar, dass, wenn ich in ein Fußballstadion gehe, ich den Eintritt bezahle. Das gilt für die Kultur genauso. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass für jedes Portemonnaie in der Stadt ein gutes Angebot da ist. Dazu gehört im Übrigen auch, dass sehr viel im öffentlichen Raum stattfindet. Das haben wir aus der Zeit der Coronapandemie gelernt.

Der jüngsten Sparrunde ist auch der eintrittsfreie Museumssonntag zum Opfer gefallen. Bleibt es dabei?
Für mich ist der Museumssonntag ganz wichtig, und wir haben sehr um ihn gekämpft. Es ist nicht das letzte Lied gesungen. Geben Sie mir Zeit, vielleicht gelingt uns eine Lösung. Zusammen mit den Museen, für die der Museumssonntag auch eine ganz wichtige Werbetrommel war. Wir haben damit sichtbar gemacht, was wir für Museen in der Stadt haben. Diese Werbung fehlt jetzt.

Auch Kunst im Grenzbereich muss möglich sein.

Sarah Wedl-Wilson

Alles in allem betrachtet: Wie steht es um die Berliner Kultur?
Die Kulturschaffenden in dieser Stadt werden selbst dafür sorgen, dass die Ausstrahlung genauso stark bleibt wie immer – da bin ich mir sicher! Wir unterstützen sie dabei, die Mittel und die Tools an die Hand zu bekommen, dass das auch so sein kann bei den gesunkenen Mitteln. Das ist die Herkulesaufgabe, die ich mit meinem Amtseid übernommen habe.

Angesichts der komplizierten Haushaltssituation: Haben Sie Sorge, sich zu übernehmen?
Als Kulturmanagerin über so viele Dekaden weiß ich, wie die Szene funktioniert. Wenn man über die Strukturen, Lösungen und Möglichkeiten spricht, dann müssen mir die Kulturschaffenden nicht erst erklären, was sie machen und warum sie es machen und wie es funktioniert. Das hilft ungemein.

Mehr Kulturpolitik im Tagesspiegel Protest gegen mögliche Privatisierungen Vertreter der großen Theater demonstrieren vor der Volksbühne 260 Euro Subvention pro Sitzplatz Macht euch ehrlich! Wie viel teure Kultur will sich Berlin noch leisten? Reaktionen auf den Kulturkahlschlag Wieso wehren sich Berlins Intendanten nicht?

Dennoch: Sie haben wahnsinnig wenig Zeit zu gestalten. Im nächsten Jahr wird gewählt.
Was ich sehr intensiv spüre, ist diese starke Gemeinschaft in der Kultur, die da sagt: Wir müssen es schaffen. Wir müssen sehr, sehr eng und sehr straff zusammenbleiben, um das zu sichern, was unser Herzensanliegen ist.

Neben der Kultur verantworten Sie auch noch den Bereich Gesellschaftlicher Zusammenhalt. Einen Bereich, der in Bezug auf Antisemitismus zuletzt immer wieder mit der Kunstfreiheit in Konflikt geriet. Wo ziehen Sie rote Linien?
Wichtig ist, dass Kulturschaffende die Möglichkeit haben, den Grundsatz der Freiheit der Kunst auszuleben und Grenzen auszuloten. Das ist grundgesetzlich zugesichert. Auch Kunst im Grenzbereich muss möglich sein, aber sie sollte nicht die Arbeit anderer überlagern und verdrängen. Das aber, was über diese Grenzen geht, regelt ebenso die Verfassung, regeln unsere Gesetze. Ich habe Vertrauen in die Kulturakteure unserer Stadt, dass sie ihre Arbeit so ausgestalten, dass diese Grenzen nicht überschritten werden. Und ich vertraue den Leitungen der Häuser, dass sie die nötige Sensibilität und Verantwortung in ihre Einrichtungen hineintragen.

Joe Chialo ist vorgeworfen worden, nicht genug gekämpft zu haben. Wie kampfbereit sind Sie?
24 Stunden, sieben Tage die Woche. Weil ich weiß, was hier auf dem Spiel steht.