Konzipiert in den 1950er-Jahren und im Dienst seit 1964, gehörte der Deltaflügler Dassault Mirage IV bis 1996 zur französischen Nuklearstreitmacht. Dem Dienst als Teil der Abschreckung schlossen sich noch weitere neun Jahre als Aufklärer an. Erst 2005 ging das Modell in den Ruhestand.
Die Häme war groß. Das Hamburger Magazin „Der Spiegel“ konnte die Schadenfreude kaum zurückhalten: „Allerdings hat die Mirage IV (…) einen kleinen Schönheitsfehler“, berichtete das Blatt Ende November 1960: „Der Bomber hat nur eine Reichweite von 1200 Kilometern, könnte also im Ernstfall nicht zu seinem Heimathafen zurückkehren.“
In Wirklichkeit handelte es sich um eine bewusste Entscheidung: Tankkapazität war beim Entwurf des ersten französischen Atombombers geopfert worden, um eine höhere Geschwindigkeit über längere Zeit zu erreichen – und um die Dienstreife mit Jettriebwerken aus französischer Produktion zu erreichen, statt auf US-Technik angewiesen zu sein.
Es gab auch eine Konzeptstudie für eine mehr als doppelt so große Maschine, die mehr Treibstoff tanken können sollte als die ganze Dassault Mirage IV startbereit wog. Doch weil das Auftanken in der Luft zu den bereits erprobten Techniken gehörte, entschied sich die französische Luftwaffe für einen deutlich kleineren Entwurf als die amerikanische B-58 „Hustler“, die tatsächlich eine hohe Höchstgeschwindigkeit von mehr als Mach 2 erreichte und bis zu 5000 Kilometer weit fliegen konnte, aber doppelt so groß und fast dreimal so schwer war.
Dabei war auch die Mirage IV alles andere als klein. Im Kern handelte es sich um eine deutlich „gewachsene“ Mirage III – mit zwei Triebwerken statt einem, zwei Besatzungsmitgliedern statt einem Piloten, 78 Quadratmetern Flügelfläche statt 35 und einem maximalen Startgewicht von 33,5 statt zwölf Tonnen. Beide Maschinen aber waren Deltaflügler, hatten also das Höhenruder integriert in die Tragflächen.
Der erste Prototyp Mirage IV-01 absolvierte seinen Jungfernflug am 17. Juni 1959, und drei Tage später präsentierte der Hersteller diese Maschine auf der Pariser Luftfahrtschau Präsident Charles de Gaulle. Im September 1960 erreichte sie 1822 Kilometer pro Stunde und stellte dann während ihres 138. Fluges einen Rekord über 500 Kilometer auf einem geschlossenen Rundkurs mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 1972 Kilometern pro Stunde auf; dabei flog die Mirage IV erstmals mehr als Mach 2: doppelt so schnell wie der Schall.
Um die künftige Flotte von Mirage IV in der Luft zu betanken, erwarb Frankreich 14 Tankflugzeuge des amerikanischen Typs Boeing C-135. Um im Falle eines Falles nicht von US-Technik abhängig zu sein, konnte die Mirage IV jedoch auch paarweise eingesetzt werden – eine mit der Nuklearbombe von Typ AN-11 (später AN-22), die andere mit zusätzlichem Treibstoff, sodass sie ihre Partnermaschine auf dem Weg zum Ziel aufzutanken vermochte.
Zunächst sollten 53 Bomber-Tanker-Versionen bestellt werden und 27 Hochgeschwindigkeitsaufklärer, doch dann reduzierte die Regierung in Paris auf zunächst 50 Bomber, zu denen später noch zwölf für beide Aufgaben geeignete Exemplare kamen. Die erste Staffel mit Mirage IV meldet sich 1964 einsatzbereit.
Die vorgesehenen Ziele lagen im europäischen Teil der UdSSR. Die sowjetische Luftverteidigung bestand vorwiegend aus Boden-Luft-Raketen des Typs SA-2 und Jagdmaschinen der Modelle Su-9 , Su-15 , MiG-19 und MiG-21. Deren Leistung hinsichtlich Geschwindigkeit und Flughöhe hätte nicht ausgereicht, um die schnell und hoch einfliegende Mirage IV abzufangen. Alternativ wären auch sehr niedrige Angriffshöhen ebenfalls bei sehr hoher Geschwindigkeit möglich gewesen.
1968 erreichten die Bombergeschwader mit Mirage IV ihre maximale Stärke: Von insgesamt 62 Jets befanden sich neun jederzeit in Einsatzbereitschaft und konnten innerhalb von fünf Minuten mit Kernwaffen an Bord starten, der Rest innerhalb von einer Stunde. Der große Deltaflügler war nun der Kern der Force de frappe, der Abschreckungskapazität Frankreichs.
Angesichts der Fortschritte der sowjetischen Luftabwehr, vor allem der neuen Raketen SA-3 und SA-6, musterten die USA ihre B-58 schon nach wenigen Dienstjahren 1970 aus. Die vom Einsatzprofil her ähnlichen, wenngleich nur halb so großen Mirage IV hätten eigentlich 1976 folgen sollen. Doch der vorgesehene Nachfolger, eine zweisitzige Variante des Jagdbombers Mirage 2000, stand erst frühestens 1983 zur Verfügung. Also wurde die Mirage IV umgerüstet für die neue Hauptwaffe, einen Marschflugkörper mit Nuklearsprengkopf. Schließlich kam die Mirage 2000 ab 1988 in den Dienst und löste die etwa dreimal so große Mirage IV schrittweise bis 1996 ab. Als Aufklärer allerdings blieben mehrere der Jets bis 2005 aktiv.
Von den insgesamt 62 gebauten Exemplaren gingen im Verlauf von insgesamt 41 Jahren Dienstzeit zwölf verloren: Acht stürzten aufgrund technischer Probleme oder Pilotenfehler ab, wobei zehn Besatzungsmitglieder umkamen; vier weitere wurden so schwer beschädigt, dass sich eine Reparatur nicht lohnte. Andererseits absolvierte die gesamte Flotte aus Mirage IV geschätzt 337.000 Flugstunden.
Damit kamen, eine allerdings ziemlich zynische Rechnung, auf ein getötetes Besatzungsmitglied 33.700 Flugstunden des Typs Mirage IV. Zum Vergleich: Beim als „Witwenmacher“ berüchtigten Starfighter der Bundeswehr starb alle etwa 13.500 Flugstunden ein Pilot oder ein Zivilist am Boden. Beim Hawker SeaHawk, einem Marinejäger, lag dieselbe Quote sogar bei 2546 Stunden – eine desaströse Bilanz.