Die Bilder von Tausenden Verzweifelten, die im Gazastreifen Nahrungsmittellager stürmen, zeigen Wirkung bei Politikern in Europa. Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) hat seine Kritik an der israelischen Kriegsführung im Gazastreifen verschärft und der Regierung in Jerusalem mit Konsequenzen gedroht. Deutsche Waffenlieferungen an Israel sollen überprüft werden. Die im Gazastreifen ankommenden Hilfslieferungen seien „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagte Wadephul der Süddeutschen Zeitung. „Dabei geht es um die Gewährung grundlegender Menschenrechte. Die Kranken und die Schwachen und die Kinder sterben als Erstes“, kritisierte er. „Als Konsequenz haben wir unsere Sprache verändert und werden im nächsten Schritt wahrscheinlich auch das politische Handeln ändern“, kündigte der Außenminister an.

Israel müsse sich zwar „auch mit deutschen Waffensystemen“ gegen Gefahren von außen etwa vonseiten der Huthi, der Hisbollah oder Irans verteidigen können, sagte der CDU-Politiker. „Eine andere Frage ist, ob das, was im Gazastreifen geschieht, mit dem humanitären Völkerrecht in Einklang zu bringen ist. Das prüfen wir, und an dieser Prüfung ausgerichtet werden wir gegebenenfalls weitere Waffenlieferungen genehmigen“, sagte Wadephul. Auf die Frage, ob dies zu einem teilweisen Lieferstopp führen könne, erklärte er: „Das sagt ja die Formulierung.“ Kommende Woche wird der israelische Außenminister Gideon Saar in Berlin erwartet.

Macron spricht von einer „moralischen Pflicht“

Eine Initiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron wird Deutschland allerdings wohl nicht unterstützen. Macron hatte sich bei einem öffentlichen Auftritt in Singapur, wo er am Freitag auf seiner Reise durch Südostasien haltmachte, dafür ausgesprochen, den palästinensischen Staat anzuerkennen. Die jüngste Dynamik im Nahostkonflikt, so findet Macron, mache es nicht nur zur „moralischen Pflicht“, den palästinensischen Staat anzuerkennen, sondern nachgerade zum „politischen Imperativ“. In diesem Zusammenhang verwies er auf eine internationale Konferenz zur Zweistaatenlösung am New Yorker Sitz der Vereinten Nationen vom 17. bis 20. Juni, der Frankreich zusammen mit Saudi-Arabien vorsitzen wird. Für den 18. Juni sei dort ein „wichtiger Moment“ geplant. „Ich werde dabei sein“, sagte Macron.

Europa müsse „kollektiv“ und „hart“ Stellung beziehen, sollte sich Israel „in den kommenden Stunden und Tagen“ nicht für einen Weg entscheiden, der auf der Höhe der humanitären Lage sei, die auf Gaza laste, sagte Macron weiter. Gemeint war ein Waffenstillstand. Er habe zwar noch Hoffnung, dass Israel Einsicht zeige, sagte er. Im anderen Fall aber müsse die EU ihre Regeln anwenden und Sanktionen verhängen.

Israels Verteidigungsminister Israel Katz dagegen sagte am Freitag bei einem Besuch im besetzten Westjordanland, dort einen „jüdischen israelischen Staat“ errichten zu wollen. Die israelische Regierung hatte zuvor den Bau von 22 neuen Siedlungen in dem Palästinensergebiet angekündigt – eine „klare Botschaft an Macron und seine Freunde“, sagte Katz.

Eine Anerkennung Palästinas durch Frankreich knüpft Emmanuel Macron an eine Reihe von Vorbedingungen. Die Hamas, sagte der Präsident, müsse vorab alle Geiseln freilassen, die sie noch in ihrer Gewalt habe. Die islamistische Bewegung müsse auch „demilitarisiert“ werden, und in einem zukünftigen palästinensischen Staat dürfe sie nicht mehr an der Regierung beteiligt sein. Und: Dieser neue Staat müsse seinerseits den israelischen Staat anerkennen und das Recht der Israelis, in Sicherheit zu leben. Die gesamte Region werde eine neue Sicherheitsstruktur erhalten, an die sich dann alle halten müssten.

Wie viele europäische Staaten sich Macrons Initiative zur Anerkennung eines palästinensischen Staates anschließen werden, ist noch unklar. Lediglich die konservativ geführte belgische Regierung hat sich öffentlich klar dazu bekannt – allerdings mit dem Ziel, die Meinungsunterschiede in der Fünf-Parteien-Koalition zu überbrücken. Denn der Macron-Plan ist an so viele Vorbedingungen geknüpft, dass eine sofortige Anerkennung Palästinas ausgeschlossen erscheint. Spanien, Irland und Slowenien haben den Schritt bereits im vergangenen Jahr vollzogen.

Zunächst einmal steht in Brüssel das Assoziierungsabkommen der EU mit Israel auf dem Prüfstand. Es ist seit dem Jahr 2000 die Basis für eine enge politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Als Voraussetzung dafür steht in Artikel 2 allerdings das Respektieren von demokratischen Prinzipien und Menschenrechten. Die EU-Kommission soll nun eine Einschätzung vorlegen, ob das Abkommen ausgesetzt werden sollte. Dafür votierte die Runde der 27 Außenministerinnen und Außenminister vergangene Woche mit deutlicher Mehrheit, allerdings gegen den Willen Deutschlands.

Wann die Kommission ihre Einschätzung vorlegt, ist noch unklar. Allerdings kam es überraschend, wie scharf Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen diese Woche das Vorgehen Israels kritisierte: „Die Ausweitung der israelischen Militäroperationen im Gazastreifen, die sich gegen zivile Infrastrukturen richten, darunter eine Schule, die als Zufluchtsort für vertriebene palästinensische Familien diente, und bei denen Zivilisten, darunter auch Kinder, getötet wurden, ist abscheulich.“ Von der Leyen verschärfte ihren Ton gegen Israel zur selben Zeit wie Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Berlin. Eine grundlegende Neuausrichtung der EU-Politik gegenüber Israel ist ohne Einverständnis der deutschen Regierung kaum vorstellbar.