Yoko Ono ist nicht nur die Witwe von John Lennon, sie kann auch Kunst. Und die braucht viel Platz. Gleich an drei Orten in Berlin bezaubert die noch immer neugierige 92-Jährige und überzeugt jene, die sie lediglich als lästiges Lennon-Anhängsel abgespeichert haben.

Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass Yoko Ono die Frau ist, die die Beatles auseinandergebracht hat. Außerdem schlage sie als Witwe Kapital aus dem Namen ihres 1980 ermordeten Mannes John Lennon. Dabei ist – und war Yoko Ono damals bereits – in erster Linie eine eigenständige Künstlerin, Performance-Pionierin, Komponistin, Feministin und Friedensaktivistin. Seit Mitte der 1950er Jahre, lange bevor sie Lennon traf, realisierte sie ihre künstlerischen Visionen.

Onos poetische Anleitungen, radikale Performances, raumfüllende Installationen, Zeichnungen, Foto- und Filmarbeiten sind hochaktuell. Davon kann man sich derzeit in Berlin in zwei Museen und auf einer riesigen Plakatwand überzeugen. „TOUCH“ – also „Berühre“ – fordert Yoko Ono auf diesem Billboard. Das Wort ist gut sichtbar an einer viel befahrenen Straßenkreuzung in einigen Metern Höhe plakatiert. Und wir fragen uns automatisch: Wann haben wir zuletzt bewusst etwas berührt? Wann waren wir zuletzt von etwas bewegt?

Macht Lust zu denken: "Berühren" fordert Ono in Berlins Mitte an der Kreuzung Friedrichstraße / Torstraße.

Macht Lust zu denken: „Berühren“ fordert Ono in Berlins Mitte an der Kreuzung Friedrichstraße / Torstraße.

(Foto: n.b.k. Jens Ziehe)

Mit dem Namen Yoko Ono und dem Titel „DREAM TOGETHER“ an der Glasfassade des Museums buhlt die Neue Nationalgalerie um Aufmerksamkeit. Auch hier laden einfache Worte ein, die Vorstellungskraft anzukurbeln. Welcher Traum könnte gemeinsam geträumt werden? Der vom Frieden gar? Dass er möglich ist, daran glaubt Yoko Ono. Dafür engagierte sie sich zusammen mit John Lennon.

Während ihrer Flitterwochen 1969 protestierten sie in Amsterdam mit ihrem berühmten „Bed-In“ für den Weltfrieden. Das Konzept von Yoko Ono war simpel: „Wir bleiben im Bett, sieben Tage, von zehn bis zehn Uhr, und wir sprechen über den Frieden.“ Später schalteten sie ganzseitige Anzeigen in Zeitungen wie der New York Times „WAR IS OVER! IF YOU WANT IT.“ Was für ein vielversprechender Slogan – der die Betrachtenden in dieser disruptiven Zeit jedoch eher ohnmächtig zurückließ. Wer könnte heute eine solche, dringend benötigte Botschaft senden?

Alle warteten auf den Skandal, aber über Händchenhalten ging das "Bed-In" nicht hinaus.

Alle warteten auf den Skandal, aber über Händchenhalten ging das „Bed-In“ nicht hinaus.

(Foto: Ruud Hoff)

Der Himmel

Der Gang in die eigenen Gedanken ist das eine. Zentral ist bei Yoko Onos Kunst, dass alle mitmachen können. „Ich wollte ein unvollendetes Werk präsentieren, das andere ergänzen können“, sagt sie und lädt Dinge mit einem neuen Wert auf. In der Neuen Nationalgalerie wird das Publikum in fast allen gezeigten Arbeiten zur Partizipation animiert: Zerbrochenes Porzellan kann zusammengesetzt oder Puzzleteile zu einem Himmelsstück zusammengefügt werden. Der Himmel ist für Ono immer wieder ein Hauptakteur, er ist für sie der Inbegriff von Freiheit und Grenzenlosigkeit. Als Kind erlebt Yoko Ono, 1933 in Tokio geboren, verheerende Bombenangriffe in einem Bunker. „Selbst als alles um mich herum zusammenbrach, war der Himmel immer für mich da“, erinnert sie sich.

Der verloren wirkende "Wish Tree" vor der Neuen Nationalgalerie ist der Anknüpfungspunkt zu den vielen Wunschbäumen im Gropius Bau.

Der verloren wirkende „Wish Tree“ vor der Neuen Nationalgalerie ist der Anknüpfungspunkt zu den vielen Wunschbäumen im Gropius Bau.

(Foto: David von Becker)

Das Telefon

Der vielfältige Kosmos Yoko Onos breitet sich am dritten Ausstellungsort, dem Gropius Bau, in sämtlichen kraftvollen Sphären aus. Die 200 Werke umfassende Schau „Yoko Ono: Music of the Mind“ war bereits in London und Düsseldorf zu Gast. Jetzt macht sie Station in Berlin. Welch ein Glück! Anders als in Düsseldorf, wo das Œuvre in wenigen Räumen sehr beengt gezeigt wurde, hat die Ausstellung jetzt im gesamten ersten Stock des Museums genügend Platz, sich zu entfalten.

In einem Saal läutet ein Telefon, Yoko Ono meldet sich. An den Wänden finden sich zarte Handschriften. Die behaupten unter anderem, dass der weiße Raum leuchtend blau sei. Sich mit allen Sinnen auf Onos subtilen Humor einzulassen, stimuliert das Kopfkino und schafft eine wundersame andere Wirklichkeit.

Die Schuld

Zu Yoko Onos Geschichte gehört auch, dass sie in London 1966 in einer ihrer Ausstellungen John Lennon kennenlernte. Zwei Jahre später wurde sie mit dem Gitarristen und Sänger der Beatles zum Liebespaar. Ono wurde zum Hassobjekt, galt als Hexe, als Frau, die Lügen verbreitet. Es gibt sogar den „Yoko-Ono-Effekt“. Darin wird Ono als Stereotyp für die ewig Schuld tragende Frau in die direkte Linie mit Eva und dem Sündenfall eingereiht.

Riesige Pobacken beim Gehen gefilmt, unterschiedlichste Reaktionen inklusive.

Riesige Pobacken beim Gehen gefilmt, unterschiedlichste Reaktionen inklusive.

(Foto: Filmstill Yoko Ono)

Die Schlussfolgerung: Als Eindringling habe sie die bestehende Harmonie der Beatles gestört und deren Trennung verursacht. Dass das alles Kokolores ist, hat Ex-Beatles Paul McCartney inzwischen mehrfach höchstpersönlich in Interviews klargestellt.

Es hilft nichts, die Konfusion bleibt. Das tut auch dem Gropius Bau bis zu einem gewissen Grad gut, selbst wochentags ist die Ausstellung angenehm besucht. Für Irritation sorgt die Kunst von Yoko Ono bei den Besuchenden immer wieder. Beispielsweise in Form von nackten Hinterteilen, die sie 1966 filmisch festgehalten hat. Die stumme Parade von groß projizierten Hinterteilen wurde damals zensiert. Ein tolles Stück – auch heute noch herrlich voyeuristisch, sinnlich intim und gleichzeitig rebellisch.

Die Frau Wer setzt wo die Schere an? Yoko Ono und ihre legendäre Performance "Cut Piece".

Wer setzt wo die Schere an? Yoko Ono und ihre legendäre Performance „Cut Piece“.

(Foto: Minoru Niizuma)

Als erste Frau wird Yoko Ono in Tokio an der Gakushuin-Universität zum Philosophiestudium zugelassen, kommt mit Existenzialismus, Marxismus und pazifistischen Ideen in Berührung. Das philosophische Denken und die pazifistische Grundhaltung sind für ihr Leben und Werk prägend. Im Hinblick auf Performance gilt sie als Wegbereiterin. Legendär ist ihr feministisches „Cut Piece“, ein Stück, in dem sie sich 1964 die Kleidung vom Körper schneiden lässt, während sie regungslos auf der Bühne sitzt. Fragen zu Verletzlichkeit, Entmenschlichung, aber auch Durchhaltevermögen und Widerstandskraft kommen auf. Im Gropius Bau ist das filmisch in gleich zwei Versionen erlebbar.

„Berlin ist der Ort, an dem die Menschen meine Kunst verstehen“, sagt Ono und führt die Besucher in Versuchung, kollektiv zu handeln. An neun „Wish Trees“ kann das Publikum eigene Hoffnungen, Träume und Wünsche heften. Alle Worte, die dort auf Kärtchen befestigt sind, kommen nach Ausstellungsende in Onos „Imagine Peace Tower“. Der befindet sich auf der isländischen Insel Viðey, erinnert an ihren Ehemann und ihre gemeinsame Arbeit für den Weltfrieden. Die Idee: „Gedanken sind ansteckend. Sende sie aus. Die Botschaft wird sich schneller verbreiten, als du denkst.“ Inzwischen sind über zwei Millionen Wünsche zusammengekommen; gelesen habe sie keinen, denn, so Ono, Wünsche mache man mit sich und dem Himmel aus.

Die Welt in Balance zu bringen, die Fragen des menschlichen Seins – das sind die Lebensthemen, denen sie unbeirrt folgt. Die Magie der Yoko Ono liegt darin, Menschen mit ihren klugen und eleganten Werken und Ideen zum Lächeln zu bringen. Gut gelaunt, mit einer Prise Nachdenklichkeit, verlassen die Besuchenden die verschiedenen Kunstorte in Berlin. Probieren Sie es mal aus.

„Yoko Ono, Music of the Mind“ bis zum 31. August, Gropius Bau, Berlin
„Yoko Ono, Dream Together“ bis zum 14. September, Neue Nationalgalerie, Berlin
Billboard, n.b.k. (Neuer Berliner Kunstverein e.V.) bis zum 31. August, Straßenkreuzung Friedrichstraße/ Torstraße