Eine wichtige Zutat beim deutlichen 51:20-Sieg von Rhein Fire im Finale der European League of Football (ELF) im vergangenen September war es, Druck auf den Quarterback auszuüben. In 19 von 36 Pass-Spielzügen der Vienna Vikings war das damals der Fall – und die Leistung von Quarterback Ben Holmes litt logischerweise merklich darunter: Ohne Druck brachte er 69 Prozent der Pässe an und warf zwei Touchdowns, mit Druck nur 47 Prozent bei einem Touchdown und einer Interception.
Genau das, also Druck auf den Quarterback, war auch wichtig für Rhein Fire beim Auftaktsieg bei den Paris Musketeers vor zwei Wochen (17:15). Sechs Sacks lieferte die Defense ab, die Druck-Rate betrug starke 45 Prozent. Es gibt acht ELF-Teams, die dieses Jahr schon zwei Spiele absolviert, aber noch keine sechs Sacks geschafft haben. Selbst zwei Sacks haben manche laut ELF-Statistik noch nicht hinbekommen – also so viele, wie Defensive Tackle Hugo Klages allein gelangen.
Defense erleichtert Arbeit der Offense
Auf ihn und seine Mitspieler in der Front Seven aus Defensive Line und Linebackern wird es auch am Sonntag (16.25 Uhr, hier im Livestream) bei der Neuauflage des Endspiels von 2024 gegen die Vikings ankommen. Macht Fire vorne Druck, entlastet das die (ohnehin auch starken) Defensive Backs gegen die gut aufgestellten Passempfänger der Wiener. Denen fehlt allerdings in Yannick Mayr einer ihrer besten Receiver. Und wenn die Vikings somit möglichst wenig Punkte erzielen, erleichtert das natürlich auch die Arbeit der Offensive.
Die hatte in Paris noch erkennbar Sand im Getriebe, was bei all den Veränderungen ja auch kein Wunder ist. Zwei Wochen waren nun Zeit, das erste Spiel aufzuarbeiten. Das hat Vor- und Nachteile: Die Vikings kommen mit zwei Siegen aus schon zwei absolvierten Partien gegen schwächere Gegner, einem gewissen Rhythmus und damit eingespielt nach Düsseldorf. Das ist ein Faktor, der nicht zu unterschätzen ist. Fire konnte sich dagegen intensiver und mit mehr Videomaterial auf den Gegner vorbereiten.
Donkor debütiert für die Vikings
Einer ist aber ohnehin noch nicht ganz eingespielt, denn ihn haben die Vikings erst unter der Woche verpflichtet: Aaron Donkor. Der bringt nicht nur Erfahrung aus der NFL von den Seattle Seahawks mit, sondern gewann 2024 noch mit Fire den Titel. 8,5 Sacks lieferte er und war damit der beste Defensivspieler der Rheinländer in dieser Kategorie. Im Endspiel gegen Wien erwischte Donkor den Vikings-Quarterback Ben Holmes zweimal. Nun geht er auf die Jagd nach Chad Jeffries, dem neuen Quarterback von Rhein Fire.
Jeffries‘ Fähigkeit, selbst zu laufen und damit Raumverlust zu vermeiden, könnte am Sonntag stark gefordert sein. Einerseits, weil unter anderem Donkor hinter ihm her ist, andererseits aber auch, weil die Improvisationskünste in einer noch nicht rund laufenden Offensive sehr hilfreich sein können. Kleinere Fehler müssen dann nicht direkt in einem negativen Spielzug münden. Es ist sogar noch eine Verbesserung zum bisherigen Quarterback-Spiel.
Was von Fires Angriff insgesamt zu erwarten ist, ist schwierig zu prognostizieren. Die Offensive Line ist nach wie vor etwas dünn aufgestellt, die Verletzung von Lukas Jakobi direkt im ersten Spielzug in Paris hat ganz und gar nicht geholfen. Der Center wanderte bisher nicht auf die Verletztenliste, was dafür spricht, dass er nicht länger ausfällt. Doch wer gegen Wien die Bälle an Jeffries übergibt, wird die Öffentlichkeit erst Sonntag erfahren. Und auch, ob dann wieder die Formationen mit einem sechsten Offensive Lineman auf dem Feld möglich sind. Die gehörten in der Vergangenheit zu Fires DNA, in Paris fehlte aber die Manpower dafür.
Breit aufgestellt ist die Offensive dagegen bei den Wide Receivern. Schon im ersten Saisonspiel war eine Tendenz zu Formationen mit vier oder sogar fünf Passempfängern zu erkennen. 41 Prozent der Spielzüge hatten entsprechendes Personal vorzuweisen, 2024 waren es 16 Prozent. Angesichts der vielen guten Receiver und auch der Running Backs, die sich ganz außen aufstellen und Pässe fangen können, dürfte es das auch gegen Wien oft zu sehen geben.
Wide Receiver breit aufgestellt
Das Passspiel war auch im Finale 2024 ein großer Faktor. In nur vier von 15 Partien hatte Fire im vergangenen Jahr mehr Pässe als Läufe vorzuweisen. Eines davon war das Championship Game: Da war das Laufspiel mit 25 Versuchen für 127 Yards zwar ebenfalls okay, doch durch die Luft gelangen bei 32 Pässen 399 Yards – Höchstwert der Saison. Sieben verschiedene Passempfänger für damals noch Jadrian Clark gab es, fünf davon fingen je einen Touchdown. Und auch vor 14 Tagen fingen sieben verschiedene Akteure je mindestens einen Pass beim Debüt von Jeffries.
Ein weiteres Mittel zum Sieg vom vergangenen September und von vor zwei Wochen: Turnover. Die Interception von Flamur Simon beendete das Spiel bei den Musketeers. Und sie waren auch im Finale 2024 wichtig: Fire eroberte drei Bälle, Wien nur einen. „Turnover verdrehen den Spielstand. Nimmt man sie weg, ist es ein komplett anderes Spiel“, sagte Head Coach Jim Tomsula damals. Turnover entscheiden eben Spiele. Es ist eine Binsenweisheit, aber das macht sie nicht weniger wahr.
Vor allem die Ballverluste von Karri Pajarinen in der ersten Hälfte schmerzten den Vikings damals. Der ansonsten so starke Finne (der übrigens auch 163 Yards auflegte) wird nun in Düsseldorf verletzt fehlen. Doch zumindest gegen die Fehervar Enthroners haben die Vikings dessen Ausfall bestens kompensieren können und sind mit 266 Rushing-Yards über die Ungarn hinweggetrampelt.
Womit sich der Kreis schließt hin zu Rhein Fires Front Seven in der Defensive. Den Lauf stoppen, Druck auf den Quarterback machen und bestenfalls noch ein paar Bälle erobern – das wird Fire von ihr brauchen. In etwa so wie vor acht Monaten. Und dann mal sehen, wie weit die eigene Offensive ist – für 51 Punkte wird es voraussichtlich noch nicht reichen.