Der Förderverein des Pina Bausch Zentrums hatte ins Schauspielhaus eingeladen. Helge Lindh begrüßte als Vorstandsvorsitzender des Vereins die zahlreich erschienenen Besucher und forderte: „Wir müssen Verschworene für das Pina Bausch Zentrum sein!“

An diesem Abend lag der Schwerpunkt jedoch auf dem 1966 eröffneten Schauspielhaus. Entstehung, architektonische und politische Bedeutung des Gebäudes standen im Mittelpunkt. Auf kurze einleitende Worte von Vorstandsmitglied Thilo Prokosch folgte ein hochinteressanter Vortrag von Marie-Charlott Schube, in dem die Theaterwissenschaftlerin deutlich machte, dass Wuppertal mit dem Schauspielhaus ein echtes architektonisches Kleinod besitze. Marie Schube ist Mitarbeiterin am Institut für Theaterwissenschaften der FU Berlin und arbeitete an dem dortigen Projekt Theaterbauwissen. Sie ist mit dem Werk des Architekten Gerhard Graubner bestens vertraut, denn sie schrieb ihre Doktorarbeit über Theaterbauten nach 1945 am Beispiel Graubner. „Ich werde Ihnen ein Haus vorstellen, dass Sie alle wahrscheinlich gut kennen“, begann Schube und zeigte als erstes ein Fotomotiv aus der Theaterbausammlung der TU Berlin, in deren Archiv sich auch der umfangreiche Nachlass des Architekten Graubner (1899-1970) befindet.

Sie beschrieb die rege Theaterbautätigkeit der Nachkriegszeit und die Aufbruchstimmung, in der unmittelbar nach dem Krieg Theater neu gebaut oder wiederaufgebaut wurden. Der Architekt Graubner schuf neun Theaterbauten, die er durchaus unterschiedlich gestaltete. Schube zeigte das an Beispielen wie dem Schauspielhaus Bochum mit den angeschlossenen Kammerspielen oder dem Schauspielhaus in Trier. Der Bau des Schauspielhauses in Wuppertal erfolgte vergleichsweise spät. Er war außerdem der letzte, dessen Vollendung Graubner miterlebte. Das Schauspiel in Wuppertal war nach dem zweiten Weltkrieg – mit Unterbrechungen – lange Zeit in einer Interimslösung an der Elberfelder Bergstraße untergebracht. Erst 1964 erfolgte der Ratsbeschluss für den Bau eines neuen Schauspielhauses in Elberfeld, kurz darauf begann man mit dem Bau.

Zuerst habe man das Haus am Robert-Daum-Platz geplant, sich dann aber für das ehemalige Industriegelände an der Kluse entschieden – eine Lage zwischen Schwebebahn, Eisenbahn und der gerade erst ausgebauten Bundesallee. Gerhard Graubner habe diese Lage an der Wupper damals schon als Inspiration gesehen, den Bau zu einem Kulturzentrum zu erweitern, erklärte die Referentin. Die Bauzeit wurde eingehalten, der Bau blieb im Rahmen der veranschlagten Kosten von knapp elf Millionen D-Mark.

Viel Platz für Begegnungen
bot das offene Foyer des Hauses

Klar strukturiert behandelte Marie-Charlott Schube das Schauspielhaus aus unterschiedlichen Perspektiven. Anschaulich ergänzt mit Fotos, stellte sie die äußeren Gestaltungselemente vor, die aus drei symmetrisch zueinander geordneten und in der Höhe gestaffelten Baukörpern bestehen. Der gegliederte Aufbau der Gebäudekörper lässt von außen deren innere Funktionen erahnen. Die Eingangshalle mit großem Atrium bildet das Erdgeschoss des Theaters. Das offene Foyer bot viel Platz für Begegnung und Kommunikation. Theaterbauten dieser Zeit sollten demokratisch sein und das in ihrer architektonischen Gestaltung und ihrer stadträumlichen Bedeutung repräsentieren. Sie sollten Offenheit, Transparenz und Demokratie symbolisieren.

In Wuppertal liegt der große Zuschauersaal – der schon lange nicht mehr betreten werden darf – zurückgesetzt frei schwebend über dem Erdgeschoss. „Ein Zuschauerraum wie aus dem Lehrbuch des demokratischen Theaterbaus“, erklärte Schube. Wie beim Theater der griechischen Antike gibt es ein großes Halbrund mit guter Sicht von jedem Platz. Die Transparenz des ursprünglich lichtdurchfluteten Theaterbaus zeige den demokratischen Anspruch der Zeit, sagte die Referentin. „Das Theater zeigt eine moderne Festlichkeit in reduzierter Ästhetik“, so Schube. Graubner waren auch Grünflächen sehr wichtig. Da es diese außen nicht gab, schuf er im Inneren zwei große Gartenhöfe, die von dem Gartenarchitekten Akira Satō in japanischem Stil gestaltet wurden. Von Foyer und Wandelgängen umschlossen, bieten sie einen Blick ins Grüne und sind auch für das Publikum begehbar. Alte Fotos zeigten Wasserbecken und -fontänen. Dass Graubner auch in der Farbgebung lokale Bezüge hergestellt habe, sei heute kaum noch erkennbar, erläuterte Marie Schube. Weiß, schwarz und – bei genauerem Hinschauen zu entdecken – grün habe der Architekt bewusst verwendet. So zeigen die 750 Sitze im Saal ein Petrolgrün, das sich in den kleinen Fliesen der Toilettenräume wiederfindet.

Schubes Vortrag machte den Zuhörern bewusst, dass das Wuppertaler Schauspielhaus ein einzigartiges architektonisches und zeitgeschichtliches Gesamtkunstwerk ist. Seit dem Jahr 2000 ist es als Baudenkmal anerkannt. Um es als Spielstätte erhalten zu können, hätte es saniert werden müssen, 2009 wurde es jedoch geschlossen. Peter Jung kündigte damals – kurz vor der Kommunalwahl – die baldige Sanierung an. Nur auf einer provisorischen Bühne im Foyer konnte vor etwa 130 Zuschauern noch gespielt werden. Im Jahr 2013 kam das endgültige Aus, weil die Stadt die Sanierung nicht finanzieren konnte. Seitdem rottet das ikonische Theatergebäude mehr oder weniger vor sich hin. Die Natur hat bereits Teile erobert, die Toiletten befinden sich in einem desolaten Zustand.

Aus der Perspektive der Denkmalpflege stellte Florian Schrader, Abteilungsleiter des Fachbereichs Denkmalschutz und Denkmalpflege bei der Stadt Wuppertal, Schwierigkeiten und Besonderheiten vor, die es beim Erhalt und der Sanierung des Gebäudes gibt. Er wies auf den großartigen früheren Originalzustand des Hauses hin und machte auf die puristisch wirkenden, aber hochwertigen Materialien aufmerksam, die beim Bau verwendet wurden. Diese gelte es zu erhalten, auch wenn die Zeit viele Spuren hinterlassen habe. „Die Risse in den Bodenplatten sind wie die Falten eines Menschen“, erklärte Schrader und räumte ein, dass der Erhaltungszustand des Gebäudes mehr Pflegemaßnahmen brauche. Auch seien von den Nutzern über die Jahre viele Veränderungen vorgenommen worden, vieles aus dem Originalbestand sei aber noch erhalten.

Im anschließenden Podiumsgespräch, moderiert durch den Bundestagsabgeordneten Helge Lindh (SPD), wurden die Fragen zu Vergangenheit und Erhalt des Gebäudes – das die Choreographin Pina Bausch als Spielstätte besonders liebte – wiederholt erörtert. Auch die Zukunft als Pina Bausch Zentrum und der geplante Anbau durch ein renommiertes New Yorker Architekturbüro wurden thematisiert. „Die Planungsaufträge sind vergeben, der Zeitplan steht“, erklärte Bettina Milz, Koordinatorin für das Pina Bausch Zentrum, nahezu euphorisch. „Wann geht’s denn endlich los?“, „Warum soll das Pina Bausch Zentrum erst 2032 eröffnen?“, lauteten Fragen der Besucher, für die nach mehr als pausenlosen zwei Stunden des Vortrags kaum noch Zeit blieb.