Stand: 01.06.2025 05:00 Uhr

Niedersachsens Landeshauptstadt erlebt ab dem 1. Juni 2000 die erste offizielle Weltausstellung in Deutschland. Rund 18 Millionen Menschen besuchen bis zum 31. Oktober das Messegelände und die benachbarte Freifläche auf dem Kronsberg.

von Johannes Freytag

Den Zuschlag vom Bureau International des Expositions (B.I.E.) in Paris erhält Hannover am 14. Juni 1990. Mit nur einer Stimme Mehrheit, darunter auch die der zu dem Zeitpunkt noch existierenden DDR, setzt sich Hannover gegen den Mitbewerber Toronto durch und wird damit der erste deutsche Gastgeber einer vom B.I.E. registrierten Weltausstellung.

„Mensch, Natur und Technik – Eine neue Welt entsteht“ – unter diesem Motto präsentieren sich 155 Nationen und 27 internationale Organisationen zehn Jahre später vom 1. Juni 2000 bis zum 31. Oktober 2000 auf einer Fläche von 160 Hektar den Besucherinnen und Besuchern.

Knappes Votum und hohe Kritik an den Kosten

Der Weg dahin ist geprägt von vielen Widerständen und viel Kritik. Vor allem in der linken Szene der Stadt gibt es Protest, sodass sich die rot-grüne Landeregierung zu einer Bürgerbefragung entschließt – mit 51,5 zu 48,5% der Stimmen fällt das Votum am 12. Juni 1992 knapp für die Ausrichtung der „Expo 2000“ aus.

„Alleine mit dem, was der deutsche Beitrag zum ebenso unsinnigen wie falschen Golfkrieg kostet, könnte man vier Weltausstellungen auf die Beine bringen.“
Gerhard Schröder, damaliger Ministerpräsident

Kritik gibt es vor allem an den immensen Kosten, die sich am Ende auf insgesamt 3,5 Milliarden D-Mark belaufen. So moniert der Bund der Steuerzahler beispielsweise die vielen Wechsel bei den leitenden Angestellten der Expo. „Die Personalpolitik war nicht erfolgreich, da wurden Gelder vergeben auch für Abfindungen, die man bei einer sorgfältigeren und professionelleren Personalpolitik hätte sparen können“, sagt Bernd Zentgraf vom Steuerzahlerbund in Niedersachsen und Bremen Ende Oktober 2000 rückblickend im Deutschlandfunk.

Expo-Vorbereitungen bleiben lange ohne breites Interesse

Expo-Generalkommissarin Birgit Breuel kritisiert ebenfalls im Deutschlandfunk Ende Oktober 2000, dass sich im Vorwege niemand so richtig für die Expo interessiert habe: Sie sei über zehn Jahre in ihrer ganzen Vorbereitungsphase in Deutschland „nicht der wirkliche Sympathieträger geworden“ und ein „Waisenkind“ gewesen: „Das ist völlig normal, weil es die erste Weltausstellung überhaupt war, nach 150 Jahren – und dagegen anzuarbeiten war so einfach nicht.“

Nachhaltigkeit und Umweltschutz im Fokus

Dabei geben sich die Macher alle Mühe: Um Befürchtungen wie Wohnungsnot und Beeinträchtigungen der Lebens- und Umweltqualität entgegenzutreten, entsteht am Kronsberg die unter ökologischen Gesichtspunkten errichtete „Expo-Siedlung“ – ein neues Stadtviertel mit rund 3.000 Wohneinheiten, Schulen, Kindergärten, Läden und einer Kirche.

Die vielfältige Architektur sowie die energiesparenden Effekte werden beim Weltstädtegipfel „World City Summit“ 2012 in Singapur als eines der 100 innovativsten Infrastrukturprojekte der Welt gewürdigt. Auch die Expo selbst hat ein umfassendes Umweltmanagement. So werden beispielsweise nur 30 Prozent des Expo-Geländes neu erschlossen und bebaut.

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Keine Kamele aus Mauretanien

Tatsächlich hat Hannover ein bestechendes, ein neues Konzept: Im Gegensatz zu den vorherigen Weltausstellungen gibt es auf der Expo 2000 Erlebnislandschaften, die sich mit der Zukunft der Arbeit, von Mobilität, Energie, Ernährung, Gesundheit oder Kommunikation im 21. Jahrhundert beschäftigen. Regisseure, Produzenten und Szenografen arbeiten jahrelang daran, ein tristes Messegelände in einen Ideenpark zu verwandeln.

Weltoffen will sich Hannover präsentieren – auch wenn die ausstellenden Nationen bald schon an die Grenzen deutscher Gesetzgebung stoßen. Die Delegation aus Sri Lanka, die zu ihrem Nationentag einen Elefanten mitbringen will, scheitert an der deutschen „Rüsseltierverordnung“, genauer: an der Binnenmarkt-Tierseuchenschutzverordnung (BmTierSSchV). Das Königreich Bhutan soll seine Tempelanlage der DIN-Norm anpassen, der Papierpavillon Japans ist nicht mit der deutschen Brandschutzverordnung in Einklang zu bringen. Und Mauretanien verzichtet wegen der Zollbestimmungen auf die Einfuhr heimischer Kamele und sattelt lieber auf Ersatztiere aus dem Schwarzwald um.

Pünktliche Eröffnung, gute Anfangsstimmung

Immerhin: Trotz aller Widrigkeiten startet die fünfmonatige Weltausstellung pünktlich. Die Stimmung am Eröffnungstag ist gut, rund 150.000 Besucherinnen und Besucher strömen auf das Gelände.

Doch es müssten eigentlich rund 240.000 pro Tag werden, um die angepeilte Gesamtzahl von rund 40 Millionen zu erreichen. Dass dieses Ziel verfehlt werden wird, ist den Verantwortlichen schon nach sechs Wochen klar. Am Ende werden es lediglich knapp 19 Millionen.

Fehlende Werbung, fehlende Besucher

Für den Kulturchef der Expo, Tom Stromberg, ist das mangelnde Marketing ein Grund dafür: „Wir alle haben sehr spät Bilder gehabt, die wir transportieren konnten, erst nach dem 1. Juni“, erklärt der spätere Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg.

„Wer nicht weiß, was sein Produkt ist, kann sein Produkt auch nicht bewerben, wenn ich ein Produkt nicht bewerben kann, kann ich es nicht verkaufen.“
Kommunikationexperte Klaus Klocks (VW) in einer Diskussionsrunde des Deutschlandfunks zur PR-Arbeit bei der Expo

Arno Brandt von der NORD/LB, der die Probleme der Expo untersucht hat, sagt im Jahr 2010 in der „Zeit“ rückblickend: „Es wurde völlig unterschätzt, dass ein Event dieses Typs in einem Land, in dem es zuvor noch nie eine Weltausstellung gegeben hatte, kein Selbstläufer ist. Die Expo war im Gegensatz zur Fußball-WM erklärungsbedürftig und emotional im breiten Publikum nicht verankert.“

Auch eine neue Werbekampagne mit Verona Feldbusch und Peter Ustinov ändert daran nichts. Erst in den letzten Wochen der Expo bilden sich Schlangen an den Kassenhäuschen.

Finanzielles Desaster oder „Investition in die Zukunft“?

Finanziell wird die Expo 2000 in Hannover ein Desaster. Die schwarze Null, die die Expo GmbH als Ziel vorgegeben hat, färbt sich schließlich tiefrot: In den 157 Tagen, in denen die Weltausstellung das Messegelände bespielt, fährt sie ein betriebswirtchaftliches Defizit von 2,4 Millarden Mark ein.

Expo-Sprecherin Wibke Bruhns erklärt, niemand hätte erwarten dürfen, mit der Ausstellung Gewinn machen zu können: „Es handelte sich um eine reine PR-Veranstaltung der Bundesrepubik Deutschland.“ Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) sieht trotz der Verluste einen „Riesenfortschritt für das Land. Das ist viel länger vorhanden als die Weltausstellung selbst, sodass ich überhaupt nicht von einem Defizit spreche, sondern für mich ist das, was wir jetzt beitragen müssen, auch als Land Niedersachsen, um das zu finanzieren, eine Investition in die Zukunft.“

Kein Eiffelturm, kein Atomium – aber Mousse T.

Paris hat seit der Weltausstellung 1889 den Eiffelturm, Brüssel seit 1958 das Atomium, in Seattle entstand 1962 die „Space Needle“ und in Lissabon 1998 das „Oceanarium – und in Hannover? Ein markantes Gebäude, ein Wahrzeichen oder eine touristische Attraktion ist in Niedersachsens Landeshauptstadt nicht übrig geblieben.

Heute beherbergt das ehemalige Expo-Ost-Gelände den Expo Park Hannover, einen IT- und Medienstandort. So ist zum Beispiel der Hannoveraner Musiker und Produzent Mousse T. („Sex Bomb“), der mit seinem Label Peppermint Jam im einstigen belgischen Pavillon auf der Expo-Plaza residiert und arbeitet, einer der Nachnutzer: „Es ist für mich eine Ehre, das Expo-Flair aufrechtzuerhalten.“

Expo-Gelände überbaut oder erfolgreich weitergenutzt

Das westliche Pavillongelände ist mit neuen Messehallen überbaut oder wird als Parkplatz genutzt. Hier fand unter anderem bis 2018 jährlich die größte Computermesse der Welt, die CeBIT, statt.

Während der „Spiegel“ 2014 das Nachnutzungskonzept als „völlig missglückt“ bezeichnet, zieht die Betreibergesellschaft ein positives Fazit: Demnach würden 85 Prozent der Fläche und Pavillons des Ost-Geländes weitergenutzt. Diese nachträgliche Auslastung sei die bislang größte aller Weltausstellungen.

Expo 2035 in Berlin?

In diesem Jahr ist die Expo am 13. April im japanischen Osaka eröffnet worden, das bereits 1970 schon einmal Ausrichter einer Weltausstellung war. Damals kamen mehr als 64 Millionen Besucher. Diesmal sollen es bis zum 13. Oktober nach jüngsten Angaben rund 28 Millionen werden. Doch das Interesse in Japans Bevölkerung ist bisher gering. Als einen Grund führen Kritiker an, dass das Expo-Thema vage und zu weit gefasst sei.

Die Expo 2030 wurde nach Saudi-Arabien (Riad) vergeben. Für 2035 will sich Berlin bewerben – mit einem dezentralen Konzept ohne großes Messegelände („Ganz Berlin ist eine Weltausstellung“).

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01.06.2025 | 19:30 Uhr

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