Werther. Wer die Ratssitzung am Dienstagabend verfolgt hat, mit ihren gegensätzlichen Positionen, den Zwischenrufen, den Anschuldigungen und schließlich noch einer Sitzungsunterbrechung, hätte ein solches Ergebnis nicht für möglich gehalten: Nach hitzigen 45 Minuten hebt die klare Mehrheit von 20 Stimmen im zweiten Anlauf die Hand für eine Veränderungssperre auf dem H.-W.-Meyer-Gelände. Die Supermarkt-Pläne sind damit zumindest erst einmal verschoben.

Wie berichtet steht die ganze Planung auf dem Gelände an der Engerstraße unter keinem guten Stern. Der Ukraine-Krieg, die daraufhin folgenden Unsicherheiten auf dem Bausektor und eklatante Baukostensteigerungen machten zunichte, was 2021 eigentlich schon in trockenen Tüchern galt – ein Gebäudeensemble mit 55 Wohnungen und kleinteiligem Gewerbe an einer der prominentesten Stellen der Stadt. Vermutlich wäre ein Teil der Gebäude heute bereits fertig, die ersten Wohnungen vielleicht sogar schon bezogen. Um die 20 Millionen Euro wollte der Lemgoer Immobilienunternehmer Karl-Otto Cord hier investieren. Doch mit jedem Monat, den der Krieg andauerte, stiegen die Kosten in die Höhe. Der Investor zog die Reißleine.

Und jetzt ist wieder Thema, was die Politik schon vor 2021 unbedingt verhindern wollte: Einen Supermarkt auf dem Gelände mit allen Problemen, die dies mit sich bringen würde. Im März lehnte der Bauausschuss daher erwartungsgemäß die Bauvoranfrage des Investors ab.

Stadt Werther will für das Gebiet Zeit gewinnen

Mit Spannung wurde am Dienstag im Rat die Abstimmung über ein Für oder Wider zu einer Veränderungssperre auf dem früheren H.-W.-Meyer-Gelände erwartet. - © Anja Hanneforth

Mit Spannung wurde am Dienstag im Rat die Abstimmung über ein Für oder Wider zu einer Veränderungssperre auf dem früheren H.-W.-Meyer-Gelände erwartet.
(© Anja Hanneforth)

Danach war die Idee, eine Veränderungssperre auf den Weg zu bringen. Ein in Werther häufig angewandtes planungsrechtliches Mittel, mit dem sich zwei Jahre Zeit gewinnen lässt, für das Areal einen Bebauungsplan aufzustellen – den es bislang nicht gibt. In einem solchen könnte die Stadt dann Vorgaben zu einer künftigen Bebauung machen. In der Ratssitzung im April wurde die Entscheidung über die Veränderungssperre allerdings zur größten Verwunderung vieler erst einmal vertagt – und an diesem Dienstag nun erneut aufgerufen.

Wie Bürgermeister Veith Lemmen eingangs der Sitzung andeutet, seien in den vergangenen Wochen viele Gespräche in der Sache geführt worden. Zu einer Einstimmigkeit führt dies allerdings nicht, wie der Verlauf der Sitzung zeigt.

Uwe Gehring (UWG) macht in der Aussprache den Anfang – und klar, dass eine Veränderungssperre keine Blockade, sondern ein probates Mittel sei. „So eine Kiste wie einen Supermarkt, den ein fünfjähriges Kind zeichnen kann, will hier niemand“, wird er deutlich. Vielmehr müsse man versuchen, mit dem Investor einen Kompromiss zu finden. Auch wenn er verstehe, dass Kritiker bemängeln, wie viele Brachen es inzwischen in Werther gibt. „Und natürlich müssen wir jetzt mal in die Gänge kommen.“

Investor dürfe in Werther nicht einfach schalten und walten

Den letzten Satz kann sein Parteikollege Reinhard Kreft unterschreiben. Ansonsten lehnt er eine Veränderungssperre allerdings ab. „In ganz Deutschland heißt es, wir müssen investieren und Bürokratie abbauen. Und hier in Werther passiert nichts!“, beklagt er.

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Was weitere Fürsprecher einer Veränderungssperre so nicht stehen lassen wollen. „Wir haben auch eine Verpflichtung gegenüber unserer Bevölkerung“, sagt Thorsten Schmolke (Grüne). Ein Investor dürfe nicht einfach schalten und walten, wie es ihm gefällt. Und Parteikollegin Anne-Kathrin Warzecha unterstreicht: „Ohne Veränderungssperre kann es uns passieren, dass hier ein einstöckiger Supermarkt hinkommt und Leerstände in der Innenstadt provoziert.“

Georg Hartl (SPD) bekräftigt, dass eine Veränderungssperre nicht in Stein gemeißelt sei. „Wenn sich eine gute Lösung für das Gelände abzeichnet, können wir sie jederzeit aufheben. Aber wir können doch unsere Planungshoheit nicht aus der Hand geben.“ Auch Andreas Honsel (Freie) hält es für unbedingt gegeben, das „Heft des Handelns in den Händen zu behalten“.

Kritik an Bürokratie in Werther, die den Handel hemme

Birgit Ernst (CDU) hält eine Veränderungssperre hingegen für eine falsche Maßnahme. „Mit einem offenen Gespräch sind wir besser unterwegs als mit der Bürokratie, in die wir uns jetzt flüchten.“ Sie verwehrt sie sich gegen Andeutungen vergangener Sitzungen, der Investor habe von Anfang an mehr rausholen wollen. „Hier geht es nicht darum, Herrn Cord die Taschen zu füllen. Das ist ein sehr großes Projekt, und wir müssen uns an die geänderten Rahmenbedingungen anpassen.“

Birgit Ernst betont, dass es ohnehin nur gemeinsam mit dem Investor ginge. Sie jedenfalls zeige sich offen auch für andere Planungen, die es vor fünf Jahren noch nicht gab. „Mit einer Veränderungssperre gewinnen wir nichts. Damit signalisieren wir nur: Halt, Stopp, jetzt haben wir hier das Sagen. Und die Sache zieht sich weitere zwei oder drei Jahre, während das Gelände verrottet. Das haben wir schon an anderer Stelle in Werther.“

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Bürgermeister Veith Lemmen weist noch einmal auf den „bedauerlichen Umstand“ hin, dass es für das Areal keinen Bebauungsplan gibt. „Natürlich können wir dem Investor nur bedingt vorschreiben, was er zu bauen hat. Aber wenn wir mitgestalten wollen, ist eine Veränderungssperre ein notwendiges Mittel. Unser Ziel muss es doch sein, etwas sowohl zum Wohl der Stadt als auch des Investors zu erreichen.“ Er jedenfalls glaube fest daran, dass hier etwas gelingen kann, das für beide Seiten funktioniert.

Klare Mehrheit will Supermarkt zunächst verhindern

Und dann stimmt der Rat im zweiten Anlauf über die Veränderungssperre ab. 20 Ratsvertreter sind dafür (SPD, Grüne, WDGA und ein Vertreter der Freien), sechs dagegen (fünf von der CDU und ein Vertreter der UWG), zwei enthalten sich (je ein Vertreter der Freien und der UWG).

Die weiteren Diskussionen über das H.-W.-Meyer-Gelände und ein Für oder Wider eines Supermarkts sind also eröffnet.

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