Ukrainischer Soldat mit Smartphone in der Nähe der Drohne. Krieg in der Ukraine

(Bild: Bumble Dee / Shutterstock.com)

Deutschland ändert seinen Kurs bei der Ukraine-Hilfe radikal. Statt Taurus-Raketen zu liefern, finanziert Berlin nun ukrainische Drohnen.

Wenn in der Nacht über russischem Territorium plötzlich Ölraffinerien in Flammen stehen, stammen die eingesetzten Waffen womöglich nicht aus westlichen Arsenalen – sondern aus ukrainischen Werkshallen.

Mit der Entscheidung, gezielt ukrainische Langstreckenwaffen zu finanzieren, ändert Deutschland seinen Kurs in der Militärhilfe für Kiew grundlegend. Statt weiter die risikoreiche Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern zu diskutieren, will Berlin nun die Produktion neuartiger Drohnensysteme in der Ukraine mitfinanzieren.

Das am 28. Mai 2025 zwischen Bundeskanzler Friedrich Merz und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vereinbarte Abkommen umfasst fünf Milliarden Euro, wovon 400 Millionen Euro gezielt in ukrainische Waffen fließen sollen.

BARS-Drohne: Hybrid zwischen Drohne und Marschflugkörper

Nach Angaben der Zeitung Die Welt konzentriert sich die deutsche Finanzierung auf zwei Hauptsysteme: die Langstreckendrohne BARS und die AN-196 Liutyi. Beide Systeme wurden von privaten ukrainischen Unternehmen entwickelt und stellen eine neue Generation kostengünstiger Langstreckenwaffen dar.

Die BARS-Drohne ist als Hybrid zwischen konventioneller Drohne und Marschflugkörper konzipiert. Technisch handelt es sich um eine Kamikaze-Drohne, die ähnlich wie ein Marschflugkörper programmiert werden kann, aber langsamer, kostengünstiger und flexibler einsetzbar ist – etwa für präzise Angriffe auf hochwertige Ziele hinter den Frontlinien.

Nach Angaben von Hartpunkt erreicht sie eine Reichweite von 700 bis 800 Kilometern und kann einen Sprengkopf von 50 bis 100 Kilogramm tragen, wie Kyiv Post berichtete. Das System kann demnach sowohl boden- als auch luftgestützt eingesetzt werden, was seine taktische Flexibilität erhöht.

Wie die iranische Shahed-136 soll die BARS präzise militärische Ziele bekämpfen können. Der ukrainische Minister für strategische Industrien, Herman Smetanin, erwähnte das System erstmals öffentlich im April 2025, Details zur Konstruktion bleiben jedoch geheim.

AN-196 Liutyi: Die „ukrainische Shahed“ mit erweiterter Reichweite

Die AN-196 Liutyi, auch als „ukrainische Shahed“ bezeichnet, wurde gezielt als Antwort auf die russischen Shahed-136-Angriffe entwickelt. Das System verfügt nach Angaben von United24Media über eine Reichweite von 600 Kilometern und einen kürzlich von 50 auf 75 Kilogramm verstärkten Sprengkopf.

Die technischen Spezifikationen: 6,7 Meter Spannweite, 4,4 Meter Länge und ein Startgewicht von 250 bis 300 Kilogramm. Die Drohne ist aus Glasfaser gefertigt, die mit Metallnetz verstärkt wird, und verfügt über ein Doppelleitwerksträger-Design mit einem Propellerantrieb am Heck. Das System verwendet konventionelle Flugzeug-Startverfahren mit festem Fahrwerk und kann von improvisierten Landebahnen wie Autobahnen starten.

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Die Reichweite soll auf 2.000 Kilometer erweitert werden können – was durch erhöhte Treibstoffkapazität oder leichtere Sprengköpfe erreicht werden soll. Details dazu bleiben unklar.

Beide Systeme wurden bereits im Kampfeinsatz getestet: Die AN-196 Liutyi soll erfolgreich die Saratov-Ölraffinerie über eine Entfernung von 600 Kilometern angegriffen haben.

Ukrainische Rüstungsproduktion steigt rasant

Die deutsche Finanzierung der beiden Waffensysteme folgt dem sogenannten „Dänischen Modell“, das bereits von anderen westlichen Ländern praktiziert wird. Dänemark finanzierte darüber etwa die Produktion der ukrainischen Bohdana-Haubitze.

Die Ukraine behauptet eine drastische Steigerung ihrer Waffenproduktion seit Kriegsbeginn. Nach Angaben des ukrainischen Ministers für strategische Industrien, Herman Smetanin, habe das Land die Produktion von Marschflugkörpern 2024 um das Achtfache gegenüber dem Vorjahr gesteigert, wie Kyiv Independent berichtete. Zudem sei die Produktion von Langstreckendrohnen 2024 mehr als verdoppelt worden – ein 22-facher Anstieg verglichen mit 2022.

Laut Smetanin wurden bis Ende 2024 insgesamt 324 neue Waffentypen in der Ukraine entwickelt. Der Produktionswert habe sich demnach von neun Milliarden Dollar im Jahr 2024 auf prognostizierte 35 Milliarden Dollar für 2025 gesteigert. Das Wall Street Journal bezifferte den Anstieg von einer Milliarde Dollar 2022 auf 35 Milliarden Dollar über drei Kriegsjahre.

Präsident Selenskyj gab nach eigenen Angaben das Ziel aus, in diesem Jahr 30.000 Langstreckendrohnen und 3.000 Raketen zu produzieren. Bis November 2024 seien die ersten 100 ukrainischen Raketen hergestellt worden, berichtete Kyiv Independent. Nach Angaben Selenskyjs stammten mittlerweile über 40 Prozent der an der Front verwendeten Waffen aus ukrainischer Produktion.

Diese Zahlen lassen sich jedoch nicht unabhängig verifizieren und stammen ausschließlich von ukrainischen Regierungsquellen.

Dabei steht die ukrainische Rüstungsproduktion vor erheblichen operativen Problemen. Das Beispiel der Bohdana-Haubitze illustriert die Schwierigkeiten: Zu Beginn des Ukrainekriegs im Februar 2022 erhielt der Hersteller nach Angaben des Wall Street Journals zunächst den Auftrag, den einzigen Prototyp zu demontieren, um eine Erbeutung zu verhindern. Die Produktionsstätte in der Ostukraine geriet unter russischen Beschuss, mehr als die Hälfte der Ausrüstung wurde zerstört.

Russlands Rüstungsproduktion: Reserven statt voller Einsatz in der Ukraine?

Um russischen Angriffen zu entgehen, verlagerte das Unternehmen die Produktion auf mehrere westukrainische Standorte. Diese Dezentralisierung soll nach Angaben des Herstellers sicherstellen, dass bei einem erfolgreichen Raketenangriff auf eine Anlage die anderen weiter produzieren können. Ersatzmaschinen musste die Firma selbst herstellen, da die Lieferzeiten zu lang waren. Die Produktion konnte durch diesen radikal-dezentralen Ansatz nicht nur abgesichert, sondern sogar erheblich auf jetzt 20 Einheiten pro Monat gesteigert werden.

Auch Russlands Rüstungsproduktion hat nach Einschätzung von Experten erheblich zugenommen. Der Raketenexperte Fabian Hoffmann vom Oslo Nuclear Project bezifferte in einem Artikel von Bulgarian Military etwa die jährliche russische Raketen-Produktion auf etwa 1.200 Marschflugkörper, 400 ballistische Raketen und 6.000 Shahed-Langstreckendrohnen. Hinzu kommen Pläne für 10.000 Täuschungsdrohnen pro Jahr. Die tatsächliche Shahed-Produktion liegt mittlerweile möglicherweise bei über 24.000 Einheiten jährlich.

Nach Hoffmanns Einschätzung setzt Russland nicht seine volle Arsenalkapazität in der Ukraine ein, sondern baut Reserven auf.

Und die Aufrüstungsspirale dreht sich weiter: Deutschland verfolgt parallel zur Ukraine-Finanzierung eine eigene Langstreckenstrategie. Wie der Fachblog Augen geradeaus berichtete, vereinbarten Deutschland und Großbritannien die Entwicklung von „Deep Precision Strike“- Systemen mit einer Reichweite von über 2.000 Kilometern. Diese Initiative ist Teil des „European Long Range Strike Approach“ (ELSA), an dem Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Großbritannien und Schweden beteiligt sind.

Das Projekt zielt darauf ab, die europäische Abhängigkeit von US-Waffensystemen zu verringern. Die geplanten Systeme sollen sowohl land- als auch seegestützt entwickelt werden und deutlich weiterreichen als der deutsche Taurus-Marschflugkörper mit seinen 500 bis 600 Kilometern Reichweite.

Fazit: Vermeidung direkter Kriegsbeteiligung – aber weitere Verstrickung

Die deutsche Finanzierung ukrainischer Langstreckenwaffen-Produktion bietet Berlin einen vermeintlichen Vorteil gegenüber der direkten Lieferung eigener Systeme wie dem Taurus: Deutschland vermeidet die Bereitstellung von Zielkoordinaten und anderen operativen Unterstützungsleistungen, die bei der Nutzung deutscher Waffen erforderlich wären. Damit bleibt formal eine gewisse Distanz zur direkten Kriegsbeteiligung gewahrt.

Gleichzeitig ermöglicht das „Dänische Modell“ eine kosteneffiziente Unterstützung: Für 400 Millionen Euro erhält die Ukraine deutlich mehr Langstreckenwaffen, als Deutschland aus eigenen Beständen liefern könnte. Die ukrainischen Systeme BARS und AN-196 Liutyi erreichen teilweise sogar größere Reichweiten als der deutsche Taurus.

Dennoch verstrickt sich Deutschland mit diesem Abkommen weiter in den Konflikt. Die direkte Finanzierung von Waffenproduktion für den Einsatz gegen russische Ziele stellt eine Eskalation der deutschen Beteiligung dar. Während Berlin bereits Kampfpanzer und andere Waffensysteme lieferte, investiert es nun gezielt in offensive Langstreckenkapazitäten.

Die deutsche Rüstungshilfe trägt zu einer sich beschleunigenden Rüstungsspirale bei: Geopolitische Spannungen zwischen einer osterweiterten NATO und Russland führen zu wechselseitiger Aufrüstung, die jeweils weitere Reaktionen der Gegenseite provoziert – ein Teufelskreis, der eine diplomatische Lösung des Konflikts in immer weitere Ferne rücken lässt.