Sie haben noch keine weißen Schwanzfedern wie ihre Eltern. Fliegen können sie auch noch nicht oder selbstständig jagen. Dafür haben sie bereits einen ordentlichen Appetit – auf junge Gänse zum Beispiel, Fische, Hasen oder sogar Nutrias. In dem Naturschutzgebiet Rheinaue Duisburg-Walsum hat sich ein Seeadler-Paar zum Brüten niedergelassen und drei Junge bekommen. Die Adlerküken sorgen in der Politik und im Naturschutz für Begeisterung – laut Angaben von Kerstin Ciesla, Sprecherin des BUND, sind die Eltern das erste Brutpaar überhaupt mit Nachwuchs im Ruhrgebiet. Was Anwohner und Naturliebhaber jetzt wissen sollten.
Warum hat sich das Paar in dem Naturschutzgebiet in Duisburg niedergelassen?
Bereits in den letzten Jahren sind immer mal wieder Seeadler in der Rheinaue Duisburg-Walsum gesichtet worden. Das jetzige Paar ist aber das erste, das zum Brüten geblieben ist. Michael Jöbges zufolge, der selbst 35 Jahre beim Landesamt für Natur, Umwelt- und Verbraucherschutz gearbeitet hat und sich nun ehrenamtlich im Vogelschutz engagiert, handelt es sich bei der Rheinaue Walsum um eine Auenlandschaft, die vor allem durch Bergsenkungen geprägt ist. Es dürfen nur bestimmte Wege betreten werden. Große Teile der Aue haben sich außerdem abgesenkt, wodurch viele Bäume abgestorben und durch Wasserfläche unbegehbar geworden sind. Die Adler können dort also weitestgehend ungestört brüten.
Die Nähe zur Rheinaue ist Jöbges zufolge hingegen eher ein „nettes Plus“. Anders als der Fischadler, der sich überwiegend von Fischen ernährt, kann der Seeadler auch kleine Säugetiere und Wasservögel jagen. Es gebe, so Jöbges, deswegen auch immer wieder Seeadler-Paare, die weit entfernt von Gewässern brüten.
Wie geht es für die Jungvögel weiter?
Dem Bundesamt für Naturschutz zufolge legen die meisten Seeadler in der Zeit von Februar bis Mitte März ihre Eier – gebrütet wird dann für etwa 38 bis 42 Tage.
Die Jungtiere in Duisburg sind im Moment etwa sechs Wochen alt. Seeadler werden nach etwa drei Monaten flügge, „bis Ende Juni brauchen sie also noch“, sagt Jöbges. Ab dann sei es ein schleichender Prozess. Die Vögel fliegen weg, kehren aber immer wieder zum Horst zurück und werden von den Eltern auch weiterhin mit Nahrung versorgt. Manche jungen Adler sind sehr schnell selbstständig und kommen nicht mehr wieder. Andere würden hingegen bis zum Dezember brauchen. „Dann werden sie von ihren Eltern höflich gebeten, doch endlich auszuziehen“, so Jöbges.
Was ist in den nächsten Wochen entscheidend?
„Natürlich können Jungvögel durch Krankheit sterben“, sagt Jöbges. Im Moment sehe es aber sehr gut aus. Das Wetter spiele mit, und auch die Abstimmung zwischen den Adler-Eltern stimme: Beide Tiere sorgen für genug Nahrung für die Jungvögel. Außerdem: „Junge Paare, die zum ersten Mal brüten, haben häufig keinen Bruterfolg“, sagt Jöbges. Dass es direkt mit drei Jungen geklappt habe, sei schon etwas Besonderes.
„Am Wichtigsten ist, dass die Seeadler auch in nächster Zeit nicht durch Hobbyfotografen oder Schaulustige gestört werden“, sagt Jöbges. Von der Straße oder dem Rheindeich aus könne man den Horst gut beobachten und den Tieren beim Fliegen zuschauen. „Aber das Schutzgebiet darf im Horstbereich nicht betreten werden.“ Schilder vor Ort weisen darauf hin.
Warum ist das Brutpaar in Duisburg so besonders?
Der Seeadler wurde über Jahrhunderte in Deutschland gezielt gejagt. Der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft und eine hohe Wasserverschmutzung sorgten außerdem dafür, dass der Vogel in Westdeutschland einst als beinahe ausgestorben galt. Der Stoff DDT, der in der Vergangenheit oft in der Landwirtschaft benutzt wurde um Insekten zu bekämpfen, ließ außerdem die Eierschalen der Tiere brüchig werden. Der Nachwuchs blieb aus.
Verschiedene Naturschutzmaßnahmen sorgten dafür, dass sich der Seeadler in Deutschland wieder ausbreiten konnte. So wurde 1972 in der BRD der Einsatz von DDT verboten. Die Gewässer wurden sauberer. Und: Brütende Paare werden heutzutage häufig eng von Naturschutzbehörden und Organisationen überwacht, um Störungen zu vermeiden. Aktuell leben in Deutschland laut Angaben des WWF wieder um die 970 Brutpaare. Die meisten davon im Norden und Osten, so Jöbges.
Was bedeutet der Nachwuchs für die Seeadler-Population in Nordrhein-Westfalen?
Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Annahme, war Nordrhein-Westfalen kein Brutgebiet für Seeadler. Dass sie sie nun auch hier vorkommen, ist eine Neuandsiedlung im Zuge der Arealausweitung der Vögel. Der Schwerpunkt der Besiedelung durch Seeadler liegt immer noch im Norden und Osten von Deutschland. Alleine in Mecklenburg-Vorpommern gibt es um die 500, 600 Revierpaare. Zum Vergleich: Vor zwanzig Jahren waren es nur etwa 200.
Seeadler nutzen über Jahre hinweg den selben Brutort. Manchmal bauen sie zwar einen neuen Horst in der Nähe oder verbessern den alten. Michael Jöbges zufolge stehen die Chancen aber gut, dass – wenn die Adlerfamilie nicht gestört wird – das Paar auch in Zukunft in dem Naturschutzgebiet in Duisburg brüten wird.