Geht Hamburgs rot-grüner Senat ausreichend agil ans Werk – in einer Stadt, in der die Wirtschaft schwächelt, der Wohlstand bröckelt und das Elend sichtbarer wird? Kritiker bezweifeln das, und Erinnerungen an eine wehmütige Mahnung von Helmut Schmidt werden wach. Eine Annäherung.

Er liebte sie mit Wehmut, „denn sie schläft, meine Schöne, sie träumt“. So beschrieb der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt (1918-2015) einmal jene Stadt, in der er geboren wurde, in der er starb: Hamburg. Sie sei eitel mit ihren Tugenden, ohne sie recht zu nutzen, sie sonne sich ein wenig zu selbstgefällig, rüttelte der Ehrenbürger einst an der Elbmetropole. Zugegeben, es sind Zeilen aus einem Brief, den Schmidt bereits vor mehr als sechs Jahrzehnten verfasste – und der erstmals 1962 im Hamburg-Teil der WELT erschien. Doch sind es Worte, die für manche seiner Erben das Hamburg im Jahr 2025 zutreffender kaum skizzieren könnten.

Denn der Glanz der Hansestadt verblasst, urteilen Kritiker von heute in Gesprächen mit WELT AM SONNTAG. Abgesehen von der Etablierung als exzellenter Wissenschaftsstandort sind wegweisende Großprojekte in den Bereichen Verkehr, Infrastruktur und Innovation wie die Köhlbrandquerung und A26-Ost, das Haus der Erde und der Elbtower ins Stocken geraten, die Wirtschaft schwächelt, der Wohlstand bröckelt. Zudem wird die Gemengelage aus Drogenelend, Kriminalität, Armut und Flüchtlingsmisere rund um den Hauptbahnhof und den Vorzeigeboulevard Jungfernstieg sichtbarer für Bewohner und Touristen. Zwar haben sich die Wählerinnen und Wähler bei der Bürgerschaftswahl im März deutlich für eine Fortsetzung von Rot-Grün entschieden. Allerdings werden die Stimmen aus der Gesellschaft lauter, wonach SPD und Grüne nach zehn Jahren in trauter Eintracht das Erreichte lediglich verwalten, statt einen Aufbruch zu initiieren. 

„Schneller, härter, unübersichtlicher“

Dabei hat Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) in seiner Regierungserklärung kürzlich erkannt, dass die Welt in Bewegung ist, „schneller, härter, unübersichtlicher“. Sein Senat stehe für Stabilität und Verlässlichkeit. Doch was bedeutet das für die Menschen konkret – in ihrem Alltag, an ihrem Arbeitsplatz, in ihrer Freizeit? Woran merken sie, dass es vorangeht, wie es Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bereits für den Sommer verspricht

In seinem Brief an die „schlafende Schöne“ rief Helmut Schmidt vor 60 Jahren, damals als Bundestagsabgeordneter, den Bürgerinnen und Bürgern seiner Heimat zu: „Lasst euren Senat mehr sein als treu sorgendes Stadtregiment. (…) Begreift, dass Hamburgs diskreter Wohlstand, seine reservierte Anständigkeit und seine faire soziale Ordnung allein nicht ausreichen, um dem Maßstab gerecht zu werden, den die Geschichte (…) an alle Deutschen anlegen wird.“ An die Politik gerichtet, formulierte er: „Die Aufgaben der Zeit innerhalb eurer Stadt für eure eigenen Bürger zu lösen, ist nicht leicht. Ihr zeigt täglich, dass ihr es könnt. Aber ihr könntet mehr.“

In das Handeln der Gegenwart übertragen, lässt Bürgermeister Tschentscher über seinen Sprecher Christopher Harms mitteilen: „Hamburg hatte zuletzt das stärkste Wirtschaftswachstum aller Bundesländer. Der Umschlag im Hafen zieht an.“ Weitere Beispiele seien der Bau der U5 und S4, die Erweiterung der Glasfaser- und Energienetze, die Einweihung moderner Wohnquartiere mit Schulen und Kitas, der Ausbau der Hochschulen, die Stärkung von Kultureinrichtungen und Museen. „Das alles passiert schon jetzt und steht für den erfolgreichen Kurs Hamburgs, der im Gegensatz zum bundesdeutschen Trend in die richtige Richtung weist“, sagt Harms.

In den nächsten Monaten wolle der Senat etwa alle Schritte des Moratoriums für den Parkplatzabbau prüfen und entscheiden, ob eine Maßnahme fortgeführt oder neu bewertet werde. Ferner kündigt Rot-Grün die „Strategie Tiefbau“ an, mit der Baustellenzeiten verkürzt und die Koordination von Behörden und Unternehmen verbessert werden soll. Überdies ändert Hamburg laut Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) vor der Sommerpause „als erstes Bundesland seine Verfassung, damit wir rechtssicher die neuen finanziellen Möglichkeiten des Bundes nutzen können“. Und noch im Juni startet ein erster großer Flagship-Store für die Verwaltung. „Am Adolphsplatz eröffnet ein Mega-Kundenzentrum für alle Dienstleistungen des HamburgService vor Ort für alle Bürgerinnen und Bürger“, so Dressel.

Die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank ergänzt, dass sich Hamburg für die Olympischen Spiele bewirbt. Ebenso wolle sie als neue Umweltsenatorin den „Klimaschutz zur Chefinnensache machen – und zwar sozial gerecht und bezahlbar für alle“. Die Grünen-Politikerin betont: „Klimaschutz wurde zuletzt von vielen Menschen als Gängelung empfunden – das ist ein großes Problem, denn wir werden die Ziele nur gemeinsam erreichen. Wichtig ist: Klimaschutz bedeutet, Menschen zu schützen.“ Insbesondere im Energiebereich wolle der Senat „die enormen wirtschaftlichen Chancen nutzen, die in einem konsequenten und durchdachten Umstieg auf die erneuerbaren Energien liegen“. Hier könne Hamburg „eine echte Vorreiterrolle in Deutschland einnehmen und unseren zukünftigen Wohlstand sichern“. 

„Hamburg braucht mutige Weichenstellungen“

Aus Sicht der Opposition genügen Pläne wie die genannten erwartungsgemäß nicht, stünden für ein Weiter-So, gepaart mit Selbstgewissheit. „Hamburg braucht mutige Weichenstellungen und eine echte Zukunftsstrategie – jetzt“, fordert CDU-Fraktions- und Landeschef Dennis Thering. Dazu zählt der Oppositionsführer „endlich eine spürbare Entschärfung“ der Verkehrsprobleme. „Die Hamburgerinnen und Hamburger brauchen eine deutliche Entlastung bei Parkplatzproblemen und Staus“, so Thering. Dafür müssten bestehende Parkflächen effizienter genutzt, intelligente Verkehrsleitsysteme eingeführt und eine Baustellenkoordination mit Durchgriffsrechten sichergestellt werden.

Der Christdemokrat fügt hinzu: „Hamburgs wirtschaftliche Entwicklung hängt maßgeblich von einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur ab. Der Neubau der Köhlbrandbrücke und die A26-Ost sind strategisch bedeutend.“ Dabei sollten alle Möglichkeiten der Planungsbeschleunigung ausgeschöpft werden. Ebenso fordert die CDU eine Wissenschaftsstiftung, um Innovationen langfristig zu fördern – sowie eine sichere Stadt. „Die täglichen Meldungen über Massenschlägereien, Messerattacken und Schusswaffengebrauch auf offener Straße zeigen eine besorgniserregende Entwicklung“, sagt Thering.

Mehr Sicherheit an Kriminalitätsschwerpunkten wie in St. Georg und dem Phoenix-Viertel in Harburg müsse Priorität im Senat haben. Eine stadtweite Waffenverbotszone und eine verstärkte Polizeipräsenz könnten Gewaltkriminalität eindämmen. Die Menschen sollten „die Verbesserungen im Alltag spüren – sei es durch flüssigeren Verkehr und eine intakte Infrastruktur, eine gestärkte Innovations- und Wissenschaftslandschaft oder ein sicheres Stadtbild.“

Eine ähnliche Schwerpunktsetzung erwartet die AfD vom Senat. Demnach brauche Hamburg in erster Linie eine Sicherheitsoffensive. „Es darf keine No-go-Areas und Kriminalitätshotspots mehr geben – die Bürger sollen sich überall und zu jederzeit in Hamburg sicher fühlen“, betont Fraktions- und Landeschef Dirk Nockemann. Die Gewalteskalation am Beispiel Phoenix-Viertel in Form von zuletzt mehreren Schlägereien zeige, dass Rot-Grün „die Lage längst nicht mehr im Griff“ habe. Das Thema Sicherheit umfasst laut AfD zunehmend auch den Hafen, der zur kritischen Infrastruktur gehöre. Folglich benötige Hamburg eine Sicherheitsarchitektur, „die den Bedrohungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird“.

Nockemann: „Die Risiken sind real – von russischen GPS-Störsignalen bis hin zu Spionagedrohnen über Tanklagern.“ Weder bei Cyberangriffen noch bei der Drohnenabwehr oder dem Schutz vor hybriden Sabotageakten habe der Senat eine erkennbare Strategie. Daneben kreise beim Thema Wirtschaft – wie im Koalitionsvertrag – alles um die Frage, wie wir leben wollen, anstatt zu beantworten, wovon wir künftig leben sollen. So moniert die AfD, dass bei Hafenstrategie, Innovationsfinanzierung, Flächenbereitstellung und einer Entlastung der Unternehmen etwa bei den Energiepreisen konkrete Ideen, verbindliche Zeitpläne und die nötigen Mittel fehlten. „Damit riskiert Rot-Grün, dass Hamburg im globalen Wettbewerb nur noch Zuschauer der eigenen Rezession ist.“

„Die Sozialpolitik gerät unter die Räder“

Nach Einschätzung der Linken ist es unterdessen fataler für die Stadt, dass „die Sozialpolitik – wie so oft bei Rot-Grün – unter die Räder gerät“. Das sei im Koalitionsvertrag zu unkonkret, reiche hinten und vorn nicht, schimpft die Fraktionsvorsitzende Heike Sudmann. Es gebe eine Vielzahl von Initiativen, die der Senat rasch anpacken könnte, um die Lage nachhaltig zu verbessern: „Eine gute ‚Investition‘ in Kinder und Jugendliche ist die KiJu-Karte, die noch im Sommer eingeführt werden könnte und einen kostenlosen Zugang zu Kultur-, Sport- und Freizeitangeboten bietet.“

Beim Thema Gesundheit könnte den Linken zufolge die Frage, wo es einen Arzt gibt, schnell überflüssig werden, wenn städtische Gesundheitszentren in den unterversorgten Stadtteilen aufgebaut werden. „Die Poliklinik auf der Veddel zeigt, wie so was gehen kann“, sagt Sudmann. Nicht zuletzt belege ein Gutachten des Senats, was ihre Partei seit Langem kritisiere: „Die Mieten in Hamburg sind vielerorts außer Kontrolle – Fälle von Mietwucher nehmen weiter zu.“ Wenn der Senat hier den Kampf ernsthaft aufnehme, könnten die ersten Hamburger Mieter bereits im Sommer zu niedrigeren Mieten wohnen.

Bürgermeister Tschentscher kennt die Vorschläge aus der Opposition, auf die Kritik reagiert der Sozialdemokrat oft mit Unverständnis. So erklärte er jüngst in der Bürgerschaft: „Wer jedes Jahr die Richtung wechselt, kommt nicht ans Ziel. Wer aber klare Schritte geht – mit Ruhe, mit Richtung, mit Offenheit – der kann vieles erreichen.“ Das tue sein Senat, „nicht mit markigen Worten, sondern mit konkretem Handeln.“

Wie sinnvoll jedoch eine gesunde Selbstreflexion ist, das wusste schon Helmut Schmidt, als er seinen Brief an Hamburg seinerzeit mit den Worten schloss: „Ich will euch nicht schmeicheln und euch auch keinen Grund zur Eitelkeit geben. Ihr seid ohnehin ein wenig zu stolz.“ Er möchte die Menschen „nur bitten nüchternen Sinnes, das Spiegelbild zu prüfen“, das er ihnen vorhalte. Sollte nur ein weniges darin für richtig befunden werden; es wäre wohl noch nicht zu spät.