Die neue Bundesregierung betont die Bedeutung des Weltraums für die Verteidigung. Doch wie sieht der Ernstfall wirklich aus? Militärforscherin Juliana Süß erklärt militärische Tests – und die verheerenden Folgen einer Atomwaffen-Explosion im All.

Juliana Süß ist Wissenschaftlerin im Forschungscluster Cybersicherheit und Digitalpolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Ihre Forschungsgebiete sind Militärtechnologie, Rüstungskontrolle und Weltraumpolitik.

WELT: Laserschlachten im Weltraum, kollidierende Raumschiffe – so stellt man sich in Hollywood Krieg im All vor. Wie viel hat das mit der Realität zu tun?

Süß: In modernen Kriegen ist der Weltraum zumindest grundsätzlich impliziert. Im Fokus stehen dabei Satelliten. Bei der „Star Wars“-Vorstellung, dass die sich gegenseitig untereinander physisch angreifen, sind wir noch nicht – aber die Fähigkeiten werden bereits seit dem Kalten Krieg getestet! Technologisch wären kinetische Angriffe auf Satelliten wohl bereits möglich…

WELT: Aber?

Süß: Solche Angriffe gelten aktuell noch als rote Linie. Zudem ist es in der modernen Kriegsführung oft nicht so, dass einzelne Satelliten eine Bedrohung darstellen. Wir sprechen da von Konstellationen, die teilweise in die Hunderte gehen – einen von ihnen auszuschalten, wäre nicht effizient.

WELT: Können Sie uns einen Überblick geben, über die Verteilung von Satelliten unter den Weltraummächten geben? Von welchen Größenordnungen sprechen wir da?

Süß: Die USA sind quantitativ und qualitativ führend. Ein großer Teil stammt von Elon Musks „Starlink“-Netzwerk, das über 6000 der weltweit rund 11.000 Satelliten umfasst. Aber China hat in den letzten 20 Jahren stark aufgeholt und hat zum Beispiel eine enorme Anzahl von Erdbeobachtungssatelliten. Russland hingegen liegt zurück – sowohl bei der Anzahl als auch bei der Qualität, was an Geldmangel, Sanktionen und Korruption liegt.

WELT: Lassen Sie uns konkret werden – wie greift man denn nun Satelliten eines Gegners an?

Süß: Antisatellitenwaffen lassen sich grob in vier Gruppen einteilen. Es gibt erstens elektronische Maßnahmen, dazu gehört das Stören von Signalen. So kann man Empfängern auf der Erde zum Beispiel vorgaukeln, dass sich ein Flugzeug im Kreis dreht, obwohl es gerade auf ein Ziel zufliegt. Zweitens Cyberangriffe: 2007 und 2008 wurde in Norwegen eine Bodenstation amerikanischer Satelliten gehackt – die Angreifer hätten die US-Satelliten damals sogar steuern können. Die dritte Gruppe sind kinetische Waffen …

WELT: … also Waffen, die Satelliten durch direkten physischen Aufprall zerstören sollen. Da steckt gefühlt am meisten Science-Fiction drin.

Süß: Es wurde beobachtet, dass russische Satelliten Projektile im All abgefeuert haben – vermutlich als Waffentest. Bei den Geschwindigkeiten, mit denen sich alles im All bewegt, wird jeder Fitzel Plastik zu einer Waffe. Ein Stück Weltraummüll von einem Zentimeter Durchmesser hat dann die Einschlagskraft einer Handgranate.

Angriffe können auch aus nächster Nähe erfolgen – etwa indem ein Satellit mit Greifarmen erfasst und in eine andere Umlaufbahn versetzt wird. China hat mal einen ihrer eigenen Satelliten gepackt und in einer Art „Friedhofs-Orbit“ wieder abgesetzt. Das war sehr beeindruckend, aber hat international für Furore gesorgt, weil ein solcher Skill unter gegebenen Umständen auch militärisch eingesetzt werden könnte. Andererseits können solche Greifarme auch Weltraumschrott beseitigen. Wir reden im Weltraumkontext oft von „Dual Use“ – also Fähigkeiten, die sowohl zivil wie auch militärisch einsatzbar sind. Bestimmte Verhalten können, wenn sie nicht ausreichend kommuniziert werden, somit auch missverstanden werden.

WELT: Bisher gab es also nur Übungen, aber noch keine direkte Konfrontation zwischen Satelliten im Weltraum – zumindest, was über das Stören von Signalen hinausgeht?

Süß: Ja, das „Kidnapping“ von Satelliten gab es beispielsweise noch nicht. Aber natürlich muss man auch mit der Gefahr rechnen, dass ein anderer Satellit sich einem eigenen Satelliten nähert, um ihn abzuhören oder Fotos zu machen, um geheime militärische Fähigkeiten auszuforschen. Es gibt international immer wieder öffentliche Statements, wenn eine gewisse Distanz unterschritten wird.

WELT: Wie viel wissen denn die Weltraummächte übereinander?

Süß: Durch Radarstationen hat man grundsätzlich einen guten Überblick darüber, was sich alles im All befindet. Es gibt auch mit Kameras ausgestattete Satelliten, die ins All auf andere Satelliten anderer Mächte blicken: Sachen wie Kameras oder Solarzellen kann man von außen gut sehen, Bewegungen beobachten. Aber manche Leerstellen muss man selbst ausfüllen.

WELT: Russland arbeitet laut US-Regierung daran, einzelne Satelliten nuklear zu bestücken. Testweise soll bereits ein Dummy im Weltraum unterwegs sein. Ist das so ein Beispiel?

Süß: Genau. Da stellt sich die Frage: Sollte Russland tatsächlich eine Nuklearwaffe im All platzieren – wie würden wir davon erfahren? Manche Dinge lassen sich optisch nicht einfach verifizieren. Da muss man dann analysieren.

WELT: Wie muss man sich den Einsatz einer nuklearen Waffe im All vorstellen? Das gab es ja bisher nicht.

Süß: Das Platzieren gab es noch nicht, aber es gab bereits Tests: Mit „Starfish Prime“ führten die USA Anfang der 1960er-Jahre einen nuklearen Test im Weltraum durch – und mussten erkennen, welche verheerenden Folgen ein solcher Einsatz haben kann. Der Gammastrahlen-Blitz zerstört elektronische Systeme in unmittelbarer Nähe, und die Strahlenbelastung in der Erdumlaufbahn steigt drastisch an. Dadurch werden Satelliten schwer beschädigt oder unbrauchbar. Die Effekte lassen sich kaum kontrollieren. Sogar Hawaii, das zur Zeit der Explosion mehr als tausend Kilometer entfernt war, verzeichnete einen Ausfall des Strom- und Telefonnetz.

WELT: Das macht den Ernstfall also recht unwahrscheinlich?

Süß: Russland wäre dann die erste Macht, die eine komplette Erdumlaufbahn unbrauchbar macht. Aber ich sage mal so: Russland verlässt sich auch weniger stark auf seine Fähigkeiten im All und hätte weniger zu verlieren als die USA oder China. Trotzdem sehe ich das zunächst nicht als eine Waffe, die sie wirklich einsetzen würden – eher als ein letztes Mittel. Russland ist nach wie vor stark von China abhängig. Und China wiederum wäre über einen solchen Einsatz alles andere als erfreut.

WELT: Deutschland hat ja auch Satelliten. Könnten wir uns überhaupt gegen Angriffe wehren?

Süß: Wir können uns wegbewegen, wenn uns jemand zu nahe kommt, und unsere Resilienz ausbauen. Wenn es um physische Verteidigung geht, sprechen die Franzosen schon länger über „Bodyguard“-Satelliten und das deutsche Weltraumkommando spricht inzwischen über einen Wächtersatelliten, welcher andere Satelliten begleiten kann.

WELT: Im Koalitionsvertrag ist von Raumfahrt als „Schlüsseltechnologie für Sicherheit und militärische Fähigkeiten“ die Rede. Welche militärischen Fähigkeiten bringen wir denn Stand heute mit?

Süß: Insgesamt ist das sehr begrenzt – aber das gilt nicht nur für Deutschland, sondern im Grunde für ganz Europa. Im Nato-Kontext bieten wir nicht viel, vor allem Infrastruktur und Datenerhebung über das Weltraumzentrum in Ramstein und die Radarstation in Uedem.

WELT: Unsere Satelliten werden nicht gebraucht?

Süß: Die Nato ist ja sozusagen der Mittelmann, der von den Mitgliedstaaten die Fähigkeiten heranzieht, die gebraucht werden. Möglicherweise ist der Bereich Kommunikation bereits gut abgedeckt und die deutsche hoheitliche Konstellation bringt nichts Neues an den Tisch. Das könnte sich aber mit dem Aufbau und der Beschaffung von neuen Fähigkeiten ändern, wie etwa der geplanten eigenen Satelliten-Konstellation, die bis 2029 gebaut werden soll.

WELT: Es wird darauf gepocht, dass wir verteidigungspolitisch als Europäer unabhängiger von den USA werden. Nun kann man natürlich eigene Panzer bauen und Flugsysteme aufeinander abstimmen. Aber im Weltraum scheinen die US-Fähigkeiten doch kaum ersetzbar?

Süß: Kurz- bis mittelfristig: extrem schwierig. Der Weltraum wurde in Europa lange irgendwie als „Luxusprojekt“ betrachtet, um das man sich kümmern kann, wenn man Panzer und Munition hat – ein Fehlschluss! Er ist die Basis der Verteidigung überhaupt. Aber diese Denke ändert sich zum Glück gerade.

WELT: Das heißt, wir sind zumindest endlich auf dem richtigen Weg?

Süß: Etwas zu erkennen und wirklich durchzusetzen, sind zwei verschiedene Dinge. Ein zentrales Thema ist der Umgang mit der Industrie. Denn wenn wir für den Weltraum eine eigenständige industrielle Basis in Europa aufbauen wollen, dann braucht es vor allem Planungssicherheit. Für die Industrie sind kurzfristige Finanzierungen über zwei oder drei Jahre nicht ausreichend. Es braucht langfristige, verlässliche Verträge, damit Unternehmen auch wirklich investieren und wachsen können. Sonst besteht die Gefahr, dass das Ganze ein Strohfeuer bleibt.

Friedrich Steffes-lay schreibt bei WELT über Politik und Gesellschaft, darunter Verteidigung, Geopolitik und Social Media.