Jeder kennt ihr Gesicht, doch niemand weiß, wo sie ist: Vor 18 Jahren verschwand die damals dreijährige Madeleine McCann aus der Ferienwohnung ihrer Eltern im portugiesischen Praia da Luz – spurlos. Keine der Ermittlungen, die es seit ihrem Verschwinden im Mai 2007 gab, waren erfolgreich.

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Ermittler im Vereinigten Königreich, in Deutschland und in Portugal suchten nach ihr. Interpol und internationale Behörden waren involviert und verfolgten Spuren aus vielen Ländern. Es gab etliche Aufrufe in internationalen Fernsehshows, insgesamt wurden seit 2011 mehr als 13,2 Millionen Pfund in die Ermittlungen investiert. Parallel tauchten im Fernsehen und im Internet immer neue Theorien über das Verschwinden von Maddie auf. Es war die Rede von einem Pädophilenring, von Politikern, die etwas zu vertuschen hätten oder dass das Mädchen längst bei einer anderen Familie lebe.

Doch egal, wie absurd die Theorien auch klangen, egal welchem Hinweis die Polizei auch folgte, von Maddie fehlt jede Spur. Bis jetzt?

Nun ermitteln deutsche Behörden erneut: Zusammen mit der portugiesischen Kriminalpolizei soll es im Bezirk Lagos im Süden des Landes eine neue Suche starten, um eines der rätselhaftesten Verbrechen Europas endlich aufzuklären. Aber jetzt, nach fast zwei Jahrzehnten, wird die Zeit knapp – und es gibt einen großen Haken.

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Die deutsche Justiz möchte verhindern, dass der Hauptverdächtige freikommt. Nach derzeitigem Stand ist Christian B. spätestens Anfang 2026 ein freier Mann. Bis September diesen Jahres verbüßt er noch in Kiel die Haftstrafe, weil er eine 72-jährigen US-Amerikanerin vergewaltigt hatte. Anschließend muss er laut Staatsanwaltschaft eine Ersatzfreiheitsstrafe bis zum 6. Januar 2026 absitzen, sollte er nicht 1446 Euro zahlen.

Seine Freilassung könnte fatale Folgen haben. Vergangenes Jahr hatte ihn nämlich ein psychiatrischer Gutachter in die „absolute Topliga der Gefährlichkeit“ eingestuft. Die Wahrscheinlichkeit, dass der verurteilte Sexualstraftäter erneut ins Gefängnis kommt, liege bei 30 bis 50 Prozent.

Im März wurde zudem bekannt, dass B. einen Antrag auf vorzeitige Entlassung aus der Haft gestellt hat. Zuvor war er im Oktober 2024 in einem Prozess um drei Vergewaltigungen und zwei Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch freigesprochen worden. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig.

Der Hauptverdächtige im Fall Maddie (hier neben seinem Anwalt) könnte bald freikommen.

© AFP/Moritz Frankenberg

Neu aufgetauchte Videos sollen Verdächtigen belasten

Die Aktion, an der auch deutsche Beamte beteiligt sind, hatte am Montag zunächst mit der Ankunft der Deutschen und der Sichtung des Suchgebiets begonnen, wie die portugiesische Zeitung „Correio da Manha“ berichtete. Die Suche im Bezirk Lagos im Süden des Landes, die mit Ermittlungen gegen Christian B. im Zusammenhang stünde, werde bis Freitag andauern. Auslöser seien neu aufgetauchte Videos und Bilder, die den Verdächtigen mit dem Verschwinden des Mädchens in Verbindung brächten, berichtete die Zeitung ohne Nennung weiterer Details.

Ziel dieser neuen Ermittlungsphase sei es laut CNN Portugal, mögliche Spuren der Leiche des Mädchens zu finden – und damit Beweise, die den Verdacht erhärten, dass Christian B. für ihren Tod verantwortlich ist.

Schon 2023 hatten deutsche Behörden erneut eine Suchaktion in Auftrag gegeben, die ohne Erfolg blieb. Dabei durchkämmten Ermittler mit Unterstützung von Spürhunden das Ufer des Arade-Stausees bei Silves. Der erhoffte Durchbruch bei den Ermittlungen blieb jedoch aus. Jetzt scheint es neue Hinweise zu Maddies Verschwinden zu geben, die derzeit aber noch unklar sind.

Als die damals dreijährige Madeleine im Mai 2007 spurlos aus dem Bett in der Ferienwohnung in Praia da Luz verschwand, saßen ihre Eltern nur etwa hundert Meter entfernt in einem Restaurant mit Freunden zum Abendessen. Jede halbe Stunde kontrollierte einer von ihnen das Apartment, in dem auch Madeleines Geschwister schliefen – doch um etwa 22 Uhr findet sich keine Spur mehr von ihr. Die Ermittler vermuten, dass sie entführt und ermordet wurde. Ihre Leiche konnte allerdings nie gefunden werden.

Madeleine McCann vor ihrem Verschwinden 2007.

© picture alliance / epa efe Real Madrid Tv / Ho/REAL_MADRID_TV_FILE/dpa/epa efe Real Madrid Tv / Ho

Der verzweifelte Appell der Eltern

Hunderte Polizisten durchsuchen daraufhin die Anlage, ohne Erfolg, Flughäfen werden alarmiert. Aber weiterhin gibt es keine Spur. Der verzweifelte Appell von Maddies Eltern im britischen Fernsehen an die mutmaßlichen Entführer, das Mädchen freizulassen, sowie ihr Hilferuf an die Bevölkerung, die Suche nach ihrer Tochter zu unterstützen, gingen damals um die ganze Welt.

Ich habe keine Zweifel, dass eine Entführung nur simuliert wurde.

Goncala Amaral, 2007 Chefermittler der portugiesischen Polizei

Nachdem sich ein Verdächtiger als unschuldig herausstellt, gibt es einen plötzlichen Wendepunkt im August 2007. Portugiesische Ermittler verdächtigten Maddies Eltern Kate und Gerry McCann eine Entführung inszeniert zu haben und ihre Tochter in ihrem Zimmer in der Ferienanlage ermordet und anschließend ihre Leiche versteckt zu haben. Die Familie wurde in portugiesischen und britischen Medien verunglimpft.

Der damalige Chef-Ermittler und portugiesische Polizist Goncala Amaral wurde daraufhin von den Ermittlungen abgezogen. Die portugiesisiche Polizei entschuldigte sich 2008 bei Maddies Eltern Kate und Gerry McCann und ließ den Verdacht fallen. Britische Boulevardzeitungen entschuldigten sich ebenfalls und zahlen den McCanns Entschädigungen. Amaral hält bis heute an seiner Theorie fest. 2021 sagte er in einem Interview mit der Bild: „Ich habe keine Zweifel, dass eine Entführung nur simuliert wurde“.

Dann werden die Ermittlungen eingestellt, die McCanns engagieren eigenständig ein Team von Scotland-Yard-Ermittlern, immer wieder gibt es vermeintliche neue Hinweise, weitere Fernsehauftritte und sogar ein Buch von Kate McCann. Dann nehmen 2013 die britische und auch portugiesische Polizei wieder die Ermittlungen auf.

Wenig Hoffnung auf eine Klärung des Falls

Christian B. hielt sich über Jahre hinweg immer wieder an der Algarve in Portugal auf. Im Juni 2020 geriet er ins Visier der deutschen Ermittlungsbehörden, als er wegen einer Vergewaltigung einer 72-jährigen US-Amerikanerin am selben Ort, wo zuvor Maddie verschwand, vom Landgericht in Braunschweig verurteilt wird. Die Behörden gehen im Juni 2020 von einer heißen Spur auch im Fall Maddie aus. Alle Hinweise deuten auf ihn – doch es wird weder eine Leiche gefunden, noch gesteht er. Bis heute nicht.

Nach einem Bericht des Fernsehsenders RTL besuchte ein Reporter den 48-Jährigen kürzlich im Gefängnis im niedersächsischen Sehnde. Im Gespräch habe Christian B. sehr gut vorbereitet gewirkt: „Er wusste genau, was er sagen wollte und vor allem, was nicht“, sagt der Reporter in dem Beitrag. Zum Fall McCann habe sich der Verdächtige nach Absprache mit seinen Verteidigern nicht äußern wollen.

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Die Chancen, dass der Fall noch geklärt wird, sind nicht sehr groß – es sei denn, die Ermittler in Deutschland haben neue handfeste Hinweise, über die sie schweigen. Bereits vor der letzten Suche hatten sich die meisten von Medien befragten Experten auf der iberischen Halbinsel sehr skeptisch geäußert.

Der portugiesische Kripo-Inspektor André Inácio sagte etwa im Interview von CNN Portugal, es sei nicht sehr wahrscheinlich, dass nach über einem Jahrzehnt etwas Nützliches gefunden werden könne. Bis heute hält das Ehepaar McCann an der Hoffnung fest, endlich Gewissheit über das Schicksal ihrer Tochter zu erhalten. „Unsere Entschlossenheit, jeden Stein umzudrehen, hat nicht nachgelassen“, schrieben sie am 3. Mai zum 18. Jahrestag von Maddies Verschwinden auf ihrer Website. (mit dpa)