Plötzlich steigt er aus dem berühmten Haußmann-Porträt: der Großmeister der barocken Musik Johann Sebastian Bach. Süffisant plaudert er mit seinem Publikum, dann setzt er sich ans Cembalo und gibt einige seiner bekanntesten Werke zum Besten.

Premiere für den Bach-Avatar

Den Komponisten fast wie live bei einem Gesprächskonzert zu erleben – das ermöglicht ein neuer Augmented-Reality-Film, entwickelt vom Bachfest Leipzig und dem Leipziger Softwareunternehmen OVRLAB. Setzt man ein AR-Headset auf, erscheint ein lebensgroßer Bach-Avatar im Raum. Er erzählt Anekdoten aus seinem Leben, spielt Musik – und gönnt sich ab und zu eine Prise Schnupftabak.

Die Weltpremiere von „J.S. Bach live in Concert“ findet im Sommersaal des Bosehauses statt. Durchaus passend, schließlich dürfte Bach als Thomaskantor den Saal selbst besucht haben.

Haußmann-Portrait von Bach erwacht zum Leben

Begonnen habe alles mit einem Tagtraum, erzählt Bachfest-Intendant Michael Maul. Wie wohl viele Bach-Liebhaber habe er sich schon oft vorgestellt, wie das berühmte Haußmann-Porträt lebendig wird. Zwei Jahre dauerte die technische Umsetzung. Mit dem Ergebnis ist Maul mehr als zufrieden: „Für mich ist es das spektakulärste Comeback der Musikgeschichte.“

Für die Illusion wurde großer Aufwand betrieben. Bewegungen und Mimik des Bach-Avatars basieren auf dem Schauspiel von Nils Niemann, einem Spezialisten für barocke Theaterpraxis. Schauspieler Martin Seifert vom Berliner Ensemble leiht Bach seine Stimme – in einem warmen Thüringer Dialekt, wie Bach ihn wohl selbst gesprochen hat. Den musikalischen Part übernimmt Alexander von Heißen, einer der führenden deutschen Cembalisten.

Es war schon mein Ehrgeiz, ein so realistisch wie mögliches Bild von Bach liefern.

Michael Maul
Intendant des Leipziger Bachfests

Für das Drehbuch zeichnet sich wiederum Bachfest-Intendant Michael Maul verantwortlich. Die Texte sind durchaus historisch fundiert, so Maul: „Es war mein Ehrgeiz, ein Drehbuch zu schreiben, wo er Dinge sagt, die irgendwie durch Quellen belegt sind, und tatsächlich ein so realistisches Bild wie möglich von Bach zu liefern.“ Dabei war ihm wichtig, zu zeigen, dass Bach ein Mensch mit Ecken und Kanten war: „ein Besessener, der auf seinem Instrument alles erreichen konnte.“

Illusion mit kleinen Makeln

Die Rechnung scheint aufzugehen: Mit bissigen Bemerkungen sorgt der virtuelle Bach beim Publikum für manchen Lacher. Auch die Technik beeindruckt. Fast könnte man vergessen, dass nur ein Hologramm den Raum durchwandert. Instinktiv zieht man die Füße ein, damit Bach nicht auf sie tritt. Manchmal, so meint man, schaut er einem direkt in die Augen – Gänsehaut!

Aber: Die Illusion ist nicht perfekt. In der Bewegung wirkt der Avatar stellenweise ruckartig, beim Singen bewegt sich der Mund hölzern – fast marionettenhaft. Doch gemessen an der technischen Pionierleistung ist das verzeihlich. Denn ein Konzert mit einer historischen Figur in Augmented Reality – das gab es bislang nicht.

Das war ein Mensch mit Ecken und Kanten, ein Besessener, der auf seinem Instrument alles erreichen konnte.

Michael Maul

Virtueller Bach bald weltweit erlebbar

Mit gut 50 Minuten Laufzeit kann das Erlebnis unter dem Gewicht der AR-Brille etwas lang erscheinen. Doch es sollen auch kürzere Fassungen folgen, verspricht Initiator Michael Maul.

Ab dem 13. Juni ist das Bach-Konzert im Rahmen des Leipziger Bachfests zu sehen, sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch. Die 24 Vorstellungen sind schon alle ausverkauft. Ab 24. Juni wird das Projekt regelmäßig im Bach-Archiv Leipzig gezeigt. Danach soll es auf Reisen gehen. Denn erleben kann man die „Wiederbelebung“ des Johann Sebastian Bach theoretisch in jedem Raum der Welt.

Redaktionelle Bearbeitung: lm