Stand: 04.06.2025 20:48 Uhr

Loïs Boisson ist die jüngste Französin im Halbfinale der French Open seit Amelie Mauresmo im Jahr 1999. Auf dem Weg dahin geholfen hat ihr das Publikum, ein furchtloses Spiel und die Konzentration auf das Wesentliche.

Auch ein mit 15.000 Menschen besetzter Raum kann ein verflixt einsamer Ort sein, besonders, wenn dieser Raum der Court Philippe Chatrier ist, der größte Platz bei den French Open. Das musste nun der nächste große Name erfahren. Denn die als Übertalent geltende und als ganz klare Favoritin ins Match gestartete Mirra Andreeva musste sich am Mittwoch im Viertelfinale der bis zu diesem Turnier völlig unbekannten Französin Loïs Boisson beugen. Loïs mit zwei Punkten über dem i: Lo-is.

Das Publikum, in Paris sowieso nie der Neutralität verdächtig, gerade wenn es darum geht, einen Landsmann oder eine Landsfrau anzufeuern, zeigte sich dann an diesem nasskalten Nachmittag, unter dem geschlossenen Dach des Stadions, auch völlig enthemmt. Es machte aus einem der größten Tennisplätze der Welt den einsamst möglichen Ort für Andreeva.

Die verlor im Laufe der zwei Stunden immer mehr die Nerven. Am Ende drosch Andreeva mit Tränen in den Augen einen Ball auf die Tribüne, komplimentierte zwischendrin Teile ihres Anhangs aus der Box und schien letztlich fast froh zu sein, dass das Match vorbei war. Währenddessen brachte die an Nummer 361 der Weltrangliste notierte Boisson die Partie mit stoischer Miene und beeindruckendem Tennis zu Ende.

Historischer Halbfinal-Einzug

So stand Boisson wenige Minuten nach dem lebensverändernden Triumph vor einem Mikrofon mitten auf dem Court. Im Siegerinterview mit dem derzeit verletzten Kollegen und Interviewer Lucas Pouille sprach sie leise. Verlegen wischte Boisson den Sand unter ihren Füßen hin und her. So als wollte sie die Spuren ihres größten Triumphes unauffällig beseitigen. Dabei hatten genau diese Füße sie zu einem Stück Tennisgeschichte getragen. Denn Loïs Boisson, 22 Jahre alt, ist erst die dritte Spielerin, die bei ihrem Grand-Slam-Debüt ins Halbfinale vorrückte.

Loïs Boisson sinkt nach dem sensationellen Einzug ins Halbfinale auf dem Boden

Die anderen beiden Spielerinnen? Monica Seles im Jahr 1989 und Jennifer Capriati im Jahr 1990. Seles und Capriati waren zu diesem Zeitpunkt jeweils große Versprechen für die Zukunft. Alle wussten: Seles und Capriati haben das Zeug, die Nummer 1 zu werden, Grand Slams zu gewinnen. Auch Boisson war einst als Talent gesehen worden. Doch ein Grand-Slam-Halbfinale? Wünschen kann man sich vieles, doch mit so einem Debüt hatte wohl niemand gerechnet.

„Ich schaue nicht in die Sozialen Medien“

Auch bei der Pressekonferenz im Untergeschoss des Court Chatrier, zwei Stunden nach dem Match, sprach Boisson immer noch sehr leise. Immer wieder fiel das Wort Fokus. Fast beschwörend sagte sie: „Ich bleibe in meiner Zone. Ich fokussiere mich auf das Turnier und denke gar nicht darüber nach, was um mich herum passiert. Ich schaue auch nicht in die sozialen Medien. Das mache ich dann nach dem Turnier.“

Die Ziele sind aber, obwohl leise ausgesprochen, die höchsten, so viel stellte Boisson klar: „Jedes Kind träumt davon, einmal ein Grand Slam Turnier zu gewinnen, wenn es mit dem Tennis startet. Und wir Franzosen träumen davon, Roland Garros zu gewinnen. Auch ich habe davon geträumt, ein Grand Slam zu gewinnen.“

Boisson ging mit Deo-Eklat viral

Eigentlich sollte die 22-jährige schon im letzten Jahr eine Wild Card für ihren Heim-Grand-Slam bekommen. Doch kurz vor Turnierstart riss ihr das Kreuzband, der zu dem Zeitpunkt offensichtliche Aufstieg in der Weltrangliste wurde von jetzt auf gleich unterbrochen. Noch kurz zuvor hatte Boisson mit einer Siegesserie von 18 Matches, alle bei kleineren Turnieren auf der ITF-Tour errungen, für ein gewisses Level an Aufmerksamkeit gesorgt. Doch nicht so, dass die Öffentlichkeit wirklich etwas davon mitbekam.

Die gab es erst im April dieses Jahres, ohne jedoch, dass Boisson etwas dafür konnte. In ihrem allerersten Match auf WTA-Ebene trat sie in Rouen gegen die Britin Harriet Dart an. Bei einem Seitenwechsel bat Dart die Schiedsrichterin darum, Boisson auszurichten, dass diese bitte ein Deo auftrage. Sie rieche nicht gut. Der Clip dieser Szene ging viral, Boisson konterte die viel kritisierte Unverschämtheit ihrer Gegnerin später schlagfertig, in dem sie auf Instagram einem Deohersteller eine Zusammenarbeit vorschlug.

Aus dem Nichts auf die Welt-Bühne

Die olfaktorischen Schlagzeilen sind nun endgültig den sportlichen gewichen. An diesem Mittwoch sahen alle, was Boisson kann: Sie ist enorm athletisch, baut ihr Spiel um einen sehr guten Aufschlag und eine mächtige Vorhand auf. Auf dem langsamen Untergrund bei den French Open ist dieser wuchtige Schlag so effektiv, dass viele Gegnerinnen in ungewohnter Position weit hinter der Grundlinie spielen müssen. Ihre Rückhand nutzt Boisson hingegen nur im Notfall, zu sehr vertraut sie der eigenen Stärke auf der Vorhand.

Am Donnerstag geht es für Boisson nun gegen Coco Gauff. Die ist zwar auch erst 21 Jahre halt, hat jedoch trotzdem schon viele Matches in hitziger Atmosphäre gespielt und dabei stets die Nerven behalten. Die wird sie allerdings am Donnerstag auch gebrauchen können. Die Zuschauerinnen und Zuschauer werden sicherlich dafür sorgen, dass der Court Philippe Chatrier auch für ihre Halbfinal-Gegnerin ein sehr einsamer Ort sein wird.