Aus dem Leonhardsviertel ist er „schockverliebt“ zurückgekehrt: Yusuf Oksaz, der seinen Bars stets Frauennamen gibt, hatte sich die Räume des früheren Schwulenlokals Goldener Heinrich angeschaut, bei denen sich der Hauseigentümer schwer tat, einen neuen Pächter zu finden. Etliche Wirtekollegen hatten abgewunken – die Sanierung erschien ihnen zu teuer und zu aufwendig. Der gebürtige Türke aber verliebte sich auf der Stelle. Und spürte, dass sich was Originelles daraus machen lässt.

Die massiven Holztische sind in der Bar Jackie Brown geblieben, die Wände wurden befreit vom Nippes vergangener Tage und durch orange-braune Malereien ersetzt, die an die 1970er erinnern. Der alte Charakter dieses museumsähnlichen Ortes ist geblieben, wird aber mit neuen Farben aufgepeppt. Aus den Boxen dröhnt „Dancing Queen“ von Abba – Jackie aus dem Thriller von Quentin Tarantino  soll zur neuen Queen der Altstadt werden. Der Durchgang an der Theke wird immer enger, je später die Nacht.

An der Theke herrscht Hochbetrieb bei der Eröffnung der Bar Jackie Brown Foto: ubo Warum Yusuf Oksaz mit 55 Jahren noch mal „einen neuen Laden“ macht

Weil es drinnen so voll ist, ballt sich draußen die Masse Mensch, die nicht mehr reinkommt. So viele sind neugierig darauf, womit Gastro-Urgestein Yusuf Oksaz in seinem „neuen Laden“ begeistern will. Der erste Eindruck ist angesichts der geschwungenen Schrift an der Fassade schon mal positiv. 1200 Leute habe er eingeladen, sagt der bezopfte Wirt in seiner Rede, ganz so viele seien zwar nicht gekommen, aber für einen Mittwochabend, an dem Deutschland spielt, „können wir uns glücklich schätzen“. Es gibt kaum noch ein Durchkommen auf der Straße.

Warum er mit 55 Jahren noch mal einen neuen „Laden“ macht? Yusuf Oksaz beantwortet die Frage selbst: „Weil ich Bock darauf habe!“ So einfach ist das! Mit Leidenschaft wird alles immer besser.

„Wenn es einer schafft, dann Yusuf“, ist so oder mit ähnlichen Worten bei der Opening-Party immer wieder zu hören. Die Zielgruppe ist nicht ganz so jung, was Sinne mache. „Die Jungen daten über Tinder, gehen kaum noch in Bars oder Clubs“, sagt DJ Jens Herzberg, „aber die Älteren freuen sich über einen Ort, an dem sich ganz unkompliziert treffen können.“

Das Ambiente, das an die 70er Jahre erinnert, begeistert

Musikproduzent Felix Gauder, der gerade neue Songs mit Andrea Berg aufnimmt, ist begeistert vom Ambiente. „Wenn ich ein Musikvideo über die 70er mache, komm’ ich hierher“, beschließt er. Das Opening bei Jackie Brown wird zu einem Treffen von Stuttgarts Gastronomie – so viele sind gekommen, vom Dehoga-Geschäftsführer Jochen Alber über Schwabenbräu/Dinkelacker-Prokurist Til Odenwald bis zum früheren Cavos-Betreiber Hiki Shikano Ohlenmacher.

Wirt Yusuf Oksaz begrüßt seine Gäste. Foto: ubo

Yusuf Oksaz wird zum Nachnachnachfolger einer Legende: Anni Heinrich, die man die „Königin der Altstadt“ und die „Mutter der Schwulen“ nannte, arbeitete in dem nach ihr benannten Lokal von den 1960er Jahren bis zu ihrem 92. Geburtstag in den späten 1980er Jahren. Die „Anni“ sei die einzige Frau gewesen, erzählt man sich noch heute, die mit einer Tasche voller Geld durch die Altstadt laufen konnte, ohne dass sie überfallen wurde. Der Respekt, den sie genoss, war in einer damals von Männern dominierten Welt ungewöhnlich groß.

Anni Heinrich bot Homosexuellen einen sicheren Ort und wimmelte Polizeibeamte ab, wenn diese zu Kontrollen in Sachen Paragraf 175 kamen. Die Zeiten haben sich geändert. Yusuf Oksaz, der aus dem Goldenen Heinrich eine Jackie Brown gemacht hat (war’s gar eine Geschlechtsumwandlung?) will mit seiner Bar offen für alle sein – ein reines Gaylokal gilt nicht mehr als zeitgemäß, aber die queere Community is welcome.

Oksaz will als Neuzugang im Leonhardsviertel an der Aufwertung der Altstadt mitwirken. Ein urbanes Quartier soll entstehen, aus dem das Sexgewerbe nach dem Willen des Gemeinderats ganz verschwindet. Längst gibt es hier mehr Szenebars als Bordelle – und es werden immer mehr. Der frische Wind wird mit Jackie Brown noch stärker.