Der am Mittwoch angeordnete Rückbau des Pop-up-Radwegs an der Kantstraße in Berlin-Charlottenburg stößt bei Verbänden und Politikern auf Kritik. Fahrgastvertreter und die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) reagieren dagegen positiv. Per Pressemitteilung hatte Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) den Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf angewiesen, den 2020 zu Corona-Zeiten am rechten Fahrbahnrand markierten Fahrradstreifen wieder zu entfernen.
Durch den Umbau Platz für die Feuerwehr geschaffen werden. Am Fahrbahnrand sollen künftig wieder Autos parken. Bonde schrieb an das Bezirksamt: „Es wird um eine zügige und kooperative Umsetzung gebeten, um das schon zu lange andauernde Provisorium wieder in geordnete Zustände zu überführen.“
Mit Bondes Entscheidung ist der seit Jahren andauernde Streit um den Radweg nun eskaliert. Fahrradaktivist Heinrich Strößenreuther, der den neuen Radweg vor fünf Jahren mit einer Sekttaufe feierte, schrieb am Donnerstag: „Die Weisung von Senatorin Bonde zur Umgestaltung der Kantstraße ist ein Rückschritt ins letzte Jahrhundert – und ein Bruch mit dem Mobilitätsgesetz und mit jeder Vorstellung von einem Miteinander in einer sicheren, gerechten Stadt.“ Strößenreuthers Fazit: „Schäbig. Riskant. Lebensgefährlich. Und illegal.“
Fahrradclub ADFC ruft zu Demonstration auf
Der Verein Changing Cities schrieb einen offenen Brief an Bonde: „Sie haben nahezu alle Radwegeprojekte gestoppt, Sie haben die Planung von acht der neun Radschnellverbindungen eingefroren, Sie wollen vier von sechs Fahrradparkhäusern nicht bauen lassen, Sie haben das Fahrradleihsystem abgeschafft. Gestern sind Sie noch einen Schritt weitergegangen und haben den Radwegerückbau in der Kantstraße angeordnet.“
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Der Fahrradclub ADFC reagierte entsetzt. „Wir brauchen Sicherheit für alle und nicht noch mehr Rückschritte“, sagte Sprecherin Lisa Feitsch. Statt des Radweges sollte auf die Parkspur verzichtet werden. Für den 16. Juni ruft der Club ab 17.30 Uhr zu einer Demonstration am Savignyplatz auf.
Dort war im Februar 2020 ein Radfahrer von einem Raser getötet worden. Der Unfall war ein Grund, den Pop-up-Radweg zu markieren. Ragnhild Soerensen von Changing Cities sagte: „55 Verkehrstote im Jahr 2024 sind keine zufälligen Unfälle, sondern die Folge fataler verkehrspolitischer Entscheidungen.“
Feuerwehr braucht Platz für Drehleitern
Die Bundestagsabgeordnete Lisa Paus (Grüne) sagte: „Der geplante Umbau der Kantstraße gefährdet Menschenleben.“ Paus, die den Bezirk im Bundestag vertritt, warf Bonde vor, „sich über kluge Vorschläge vom Bezirk, den Verbänden und auch der Feuerwehr hinwegzusetzen“.
Der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, ebenfalls Grünen-Mitglied, schrieb bei X: „Der CDU-SPD-Senat arbeitet hart daran, dass Berlin zur fahrradfeindlichsten Metropole Europas wird.“
Bonde begründet ihre Anordnung mit der Sicherheit: Weil die Feuerwehr mit Drehleitern nicht Menschen aus den oberen Stockwerken der Häuser retten kann, muss die Kantstraße umgebaut werden. Diese Drehleitern reichen nicht über Parkspur und Radweg hinweg. Der Bezirk hatte vorgeschlagen, den Mittelstreifen etwas schmaler zu machen, damit die Feuerwehr mehr Aufstellfläche bekommt. Dies lehnt der Senat als zu teuer ab.
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Unter anderem der ADFC schlägt vor, auf die wenigen Autoparkplätze zu verzichten, dann wäre das Problem gelöst. Beim Bau der Pop-up-Radwege war der Parkstreifen im östlichen Teil der Kantstraße zwischen Fahrbahn und Radweg verlagert worden. Fahrende Autos hatten nur noch eine Spur, die Busse der BVG standen deshalb im Stau.
Fahrgastverband Igeb fordert scharfe Kontrollen
Deshalb begrüßte der Fahrgastverband Igeb die Entscheidung von Bonde. Die Igeb hatte sich schon immer für einen Bussonderstreifen in der Kantstraße ausgesprochen. Es sei zwar keine ideale Lösung, wenn dieser auch von Radfahrern genutzt werde, sagte Sprecher Christian Linow. Eine ideale Lösung könne es in der Kantstraße nicht geben, da diese zu eng sei.
Entscheidend sei, dass die Busspur nicht zugeparkt werde. Das Ordnungsamt müsse dies vor allem in den ersten Wochen scharf kontrollieren, sagte Linow. Für Radfahrer sollte in einer Parallelstraße möglichst schnell eine alternative Route entstehen.
Die BVG teilte mit: „Wir befürworten grundsätzlich alle Maßnahmen, die unseren Busverkehr schneller, verlässlicher und damit pünktlicher machen. Busspuren, die auch für den Radverkehr freigegeben sind, sind in Berlin an vielen Stellen die Regel und eine Lösung, wenn eine getrennte Führung nicht möglich ist und das Radverkehrsaufkommen nicht zu hoch ist.“
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Bezirks-FDP, Johannes Heyne, erinnerte an den Vorschlag seiner Partei, den Mittelstreifen komplett zu beseitigen. Dann wäre genügend Platz vorhanden für Autos, Fahrräder und Feuerwehr. Heyne kritisierte Bezirksstadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne), weil dieser die Probleme mit dem Brandschutz jahrelang ignoriert habe. Heyne lobte die Senatsverkehrsverwaltung, dass sie der „Pflicht nachkommt, dieses Drama zu beenden“.
Die SPD-Fraktion des Bezirks kritisierte Verkehrssenatorin Bonde und das Bezirksamt gleichermaßen: Dieses habe „zögerlich und unkoordiniert“ agiert. „Mir fehlt für das Verhalten des Bezirksamtes jedes Verständnis. Zum einen stellt es eine unmittelbare Gefahrensituation für die Bewohner in der Kantstraße fest, zum anderen verhindert es eine schnelle Beseitigung der Gefahren“, sagte Wolfgang Tillinger von der SPD-Fraktion. Dem Senat gehe es „eher um eine Machtdemonstration als um eine langfristige Lösung, die alle Seiten miteinschließt“.
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Stadtrat Schruoffeneger hatte schon am Mittwoch kritisiert, dass die Verkehrsverwaltung zu ihrer Anweisung „keinerlei Pläne, Skizzen, Daten oder Zahlen und auch keine Begründung“ mitgeliefert habe. „Ich bedauere, dass die Verkehrssenatorin nicht über die Kraft verfügt, sich der vom Bezirk vorgeschlagenen Lösung anzuschließen, sondern stattdessen ein verkehrspolitisches Exempel statuieren möchte“, sagte Schruoffeneger. Als zuständiger Stadtrat vertritt der Grünen-Politiker die offizielle Position des Bezirksamtes.
Heinrich Strößenreuther appellierte an Schruoffeneger: „Tun Sie alles, was rechtlich möglich ist, um diese Weisung zu verzögern, untergraben, ins Lächerliche zu ziehen oder zurückzuweisen.“