Auf grüner Wiese räkelt sich ein rosig nackter Frauenkörper, von schwingenden Pinselspuren vehement umfasst. Ein klassisches Thema, allzu oft schon gemalt? Die österreichische Malerin Maria Lassnig nimmt es ironisch. Sie pinselt der sexgesteuerten Männergestalt daneben eine Vagina ins Gesicht und zieht dem Kerl einen militärischen Camouflage-Dress an.
Die Speere in seinen Händen könnten auch Pinsel sein. Das zielt ganz klar auf den berühmtesten Maler des 20. Jahrhunderts: Picassos Machoattitüde wird nach Strich und Faden demontiert und der Lächerlichkeit preisgegeben.
Ganz bewusst legt das kuratorische Team der Neuen Nationalgalerie diese Interpretation nahe. Denn direkt neben Lassnigs kapitaler Leinwand prangt, ebenso groß und hochberühmt, ein lässiger weiblicher Akt des Spaniers aus seiner reifen Phase. Nur wenige Jahre liegen zwischen beiden Werken.
Hämischer Kommentar auf Picasso
Der Blick auf die Kunst im 20. Jahrhundert ändert sich. Endlich gerät in den Blick, was lange marginalisiert wurde: Auf ganze 25 Prozent Künstlerinnen-Werke bringt es die derzeit laufende Sammlungspräsentation „Zerreißprobe“ im Mies van der Rohe-Bau mit Kunst zwischen 1945 und 2000. Der weibliche Anteil klingt bescheiden. Aber als Kuratorin Maike Steinkamp anfing und den Bestand ihres Hauses durchzählte, lag der Anteil bei 11 Prozent. Überall im Museums- und Ausstellungsbetrieb ist das ähnlich, wie die von Kulturschaffenden angekurbelte Initiative „Fair Share!“ für Sichtbarkeit von Künstlerinnen seit 2020 aufzeigt.
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Maria Lassnig: Selbstporträt als Indianergirl (Self-Portrait as Native American Girl).
© Maria Lassnig Stiftung / VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Aber was heißt hier Sammlungspräsentation! Ein ganz erheblicher Teil der ausgestellten Arbeiten gehört der Nationalgalerie überhaupt nicht. Es sind Leihgaben: ob von Stars der Gegenwartskunst wie Candice Breitz oder Angela Bullock, oder Klassikerinnen wie Charlotte Posenenske oder Yoko Ono. Das soll sich ändern. Die Lücken in der eigenen Sammlung sind der Leitung schmerzlich bewusst. Doch wie aufholen in Sachen Gendergerechtigkeit, wenn der Erwerbungsetat praktisch nicht vorhanden ist?
Der Privatsammler und Medienunternehmer Thomas Rabe wollte es bei einer Führung mit Kuratorin Maike Steinkamp gar nicht glauben, dass dies so ist. Man kam ins Gespräch, wie sie erzählt. Und das hatte Folgen. Jetzt kann Lassnigs „Patriotische Familie“ von 1963 dauerhaft bleiben. Das frisch aus dem Nachlass erworbene Schlüsselwerk passt perfekt in die Sammlung und wird noch durch die großzügige Dauerleihgabe eines Selbstporträts verstärkt.
Sammlerpaar Thomas und Birgit Rabe
Als nacktes „Indianergirl“ hockt die Dargestellte da auf klapprigem Pferd, eine Kämpferin mit Selbstironie und besonderem Gespür für eigene Körperempfindungen. „Lassnig ist eine der bedeutendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts“, so Steinkamp. Ihr Team hat nun für mindestens drei Jahre erst einmal Planungssicherheit, um solche Werke für die Sammlung zu sichern. Jedes Jahr stellen die Neurologin Birgit Rabe und ihr Mann Thomas jeweils eine Million Euro zur Verfügung.
Neben Lassnig konnten dieses Frühjahr zunächst Fotoserien und Videoarbeiten von Cornelia Schleime und Ewa Partum erworben werden, insgesamt zehn Exponate. Bei Schleime fiel die Wahl auf frühe Stücke aus ihrer DDR-Zeit. Mit der wichtigen feministischen Künstlerin Partum aus Polen wird gezielt der Fokus auf Osteuropa gestärkt. Sie provozierte mit radikalen Körperkunst-Performances in den 1980er Jahren. „Wir sind aufgrund unserer speziellen Geschichte eine Sammlung mit starkem Ost-West-Bezug. Hier wollen wir mehr diversifizieren.“
Maria Lassnigs Ölgemälde „Patriotische Familie“ von 1963.
© Maria Lassnig Stiftung / VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Was jeweils angeschafft wird, überlassen die Rabes komplett den Fachleuten. Aber, so das Sammlerpaar: „Wir sind Freunde der SW-Fotografie und auch der figurativen Malerei – wir freuen uns über die erworbenen Werke und besichtigen sie regelmäßig.“ Einig ist man sich, dass schwerpunktmäßig weibliche Positionen auf der Wunschliste stehen. Für kommendes Jahr hat Steinkamp Foto- und Videoarbeiten im Visier, etwa von Nancy Holt, einer frühen Aktivistin der Land Art mit ökologischem Bewusstsein; 2027 ist dann ein Werk der klassischen Moderne dran.
Für solch eine Erwerbung braucht es einen noch längeren Planungsvorlauf. Dieser Neuzugang wird dann zu sehen sein, wenn nach Ende der laufenden Schau turnusmäßig wieder die Kunst vor 1945 aus den Depots in die Schauräume kommt.
Die Ausstellung
Bis auf Weiteres zu sehen: „Zerreißprobe. Die Sammlung der Nationalgalerie 1945 – 2000“, Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, Di-So 10-18 Uhr, Do bis 20 Uhr, Mo geschlossen.
Schule gemacht hat das Engagement des Sammlerpaares Rabe bislang noch nicht. Maike Steinkamp hofft, dass sich Nachahmer finden. Tolle, maßgebliche Werke, die einer Nationalgalerie würdig sind und in ihrer Qualität gut anstehen würden, hängen in der „Zerreißprobe“. Darunter sind so prominente Namen wie Cindy Sherman, Yoko Ono, Rebecca Horn oder Katharina Sieverding.
Alle Werke dieser Wunschkandidaten kommen direkt aus dem Besitz der Künstlerinnen oder ihrem Nachlass. Besonders markant und relevant ist Hannah Wilkes „Süße Sechzehn“ von 1977. Die US-Amerikanerin formte aus Keramik vaginale Formen, um sie als positives Symbol aufzuwerten. Hier sind es sechzehn Stück, seriell aufgereiht und knallrosa.
Mehr zum Thema bei Tagesspiegel Plus: Ausstellung im Potsdamer Kunsthaus Wie das Minsk DDR-Vergangenheit ins Gespräch bringen will Kunstsammler Axel Haubrok im Interview „Wer Geld hat, ist privilegiert und muss etwas tun“ Yoko Ono in Gropius Bau und Nationalgalerie Zündeln für den Frieden
Natürlich hat nicht jeder eine Million Euro in petto. Es geht ja auch anders. Schon fast, wenn auch noch nicht ganz beisammen, ist die Summe für ein knallbuntes Pop Art-Gemälde. Es hängt gleich neben Lassnigs „Indianergirl“ und stammt von der österreichischen Malerin Kiki Kogelnik. Die Freunde der Nationalgalerie legen dafür zusammen. „Pop Art ist in unserem Haus schon lange hervorragend vertreten“, erklärt Maike Steinkamp. Aber die weiblichen Stimmen fehlen eben noch.