Stand: 06.06.2025 12:19 Uhr
Der Body-Horror-Film „The Ugly Stepsister“ erzählt die Aschenputtel-Geschichte als Satire. Äußere Schönheit geht über alles – dafür riskiert eine junge Frau viel. Die Norwegerin Emilie Blichfeldt bricht aber mit dem märchentypischen Gut-und-Böse-Schema.
Mit Hammer und Meißel geht Doktor Esthétique zu Werke. Er modelliert eine neue Nase in Elviras Gesicht. Ihre Mutter hat sie im Katalog ausgesucht. In ihren Träumen ist Elvira schon oft mit dem Prinzen davongeritten. Jetzt hat ihre Mutter unwissentlich einen Pleitier geheiratet.
Der stirbt am Hochzeitstag und hinterlässt ihr nichts als Schulden. Und seine schöne Tochter Agnes, die zur Dienstmagd, zum Aschenputtel, degradiert wird. Wenn Elvira den Prinzen auf dem Brautschauball für sich gewinnen könnte, wäre auch die Mutter saniert. Mit Zahnspange, Speckröllchen am Bauch und knolliger Nase wird das wohl nichts, fürchtet die gnadenlos ehrgeizige Mutter. Der Schönheitschirurg hat noch so einiges im Angebot:
„Außerdem empfehle ich Ihnen unsere exklusiven, handgenähten Wimpernverlängerungen. Nachdem Sie ein Leben lang mit dieser Knolle herumgelaufen sind, verdienen Ihre schönen Augen ein wenig zusätzliche Aufmerksamkeit.“
Filmszene
Video ab 22:00 Uhr – nicht geeignet für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren
VORSCHAU: Trailer zum Film: „The Ugly Stepsister“ (2 Min)
„The Ugly Stepsister“ beleuchtet modernen Schönheitswahn
In Großaufnahme sehen wir die Nadel ins Augenlied einstechen, die langen Wimpern durchziehen. Und es gibt noch mehr schaurige Beispiele für den „Beauty Horror“, dem sich Elvira unterziehen wird. Ruckedigu, Blut ist natürlich auch irgendwann im Schuh. Nicht aus purer Lust an Grausamkeiten inszeniert Regisseurin Emilie Blichfeldt solche Szenen. Sie formuliert das Schönheitsdiktat, dem Frauen damals wie heute unterworfen sind, einfach mal deutlich aus.
Beim Prinzessinnentraining lernen die Mädchen anmutige Ballettschritte, kerzengerade gehen, mit dem Fächer wedeln, einen Knicks machen. Elvira trägt dabei ein metallenes Nasengestell im Gesicht – von der OP. Ihr kleines Gewichtsproblem löst sie auf diese Weise:
„Das ist ein Bandwurmei. Ich verschluck‘ es und kann immer alles essen, was ich will, und dabei noch Gewicht verlieren, denn der Wurm frisst alles, was ich esse.“
Filmszene
Nicht die Geschichte von Agnes, dem Aschenputtel, wird hier erzählt. Die will sich den Prinzen übrigens nur aus Kalkül angeln und vergnügt sich lieber mit dem Stallburschen. Es geht um die Stiefschwester Elvira.
Die ist nicht „garstig“ und „schwarz von Herzen“ wie im Märchen der Gebrüder Grimm, sondern ein Opfer der Schönheitstyrannei. Man fühlt mit ihr und ihrem Schicksal. Emilie Blichfeldt bricht mit dem märchentypischen Gut-und-Böse-Schema – der edle Prinz, dem die Mädchen vorgeführt werden wie Hunde bei einer Hundeschau, ist nebenbei auch ein übler Sexist.
Atmosphärischer Body-Horror mit Stil
Angesiedelt ist „The Ugly Stepsister“ in einer unbestimmten „Es-war-einmal-Zeit“, führt thematisch aber direkt in die heutigen TikTok-, Instagram- und Modelshow-Welten, die mit ihren propagierten Körperidealen bei vielen Teenagern Minderwertigkeitskomplexe auslösen.
Das Konzept Heirat und Hausfrauendasein in ökonomischer Abhängigkeit vom Ehemann lässt außerdem an den aktuellen Tradwife-Trend denken. Derzeit reagieren auffällig viele Regisseurinnen im Kino mit feministischem Body-Horror auf Genderklischees und eingefahrene Geschlechterrollen.
„The Substance“, „Toxic“, „Titane“, „Alpha“: Filme zeigen überholte Genderklischees
In Filmen wie „The Substance„, „Toxic“, „Titane“ oder – gerade im Cannes-Wettbewerb zu sehen – „Alpha“. Was konsequent ist – die Filmbranche hat schließlich auch ihren Anteil am körperlichen Optimierungszwang, besonders von Frauen.
Die Formel aus dem Märchenbuch „Wer schön sein will, muss leiden“, mit der viele Mädchen aufwachsen, gestaltet Emilie Blichfeldt drastisch, aber auch satirisch aus. Untermalt von einem passend anachronistischen Musikmix aus Klassik und Elektrosound, mal lieblich, mal düster. Diese eigenwillige Filmversion der Märchenvorlage geht nicht in allen Momenten schlüssig auf, ist aber hervorragend besetzt, gespielt und ausgestattet. Dazu noch sehr atmosphärisch und stilvoll inszeniert. Ein ganz erstaunliches Filmdebüt ist der Norwegerin da gelungen.
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The Ugly Stepsister
- Genre:
- Komödie, Horror
- Produktionsjahr:
- 2025
- Produktionsland:
- Norwegen
- Zusatzinfo:
- mit Lea Myren, Thea Sofie Loch Næss, Ane Dahl Torp und anderen
- Regie:
- Emilie Blichfeldt
- Länge:
- 109 Minuten
- FSK:
- ab 16 Jahren
- Kinostart:
- 5. Juni 2025
Dieses Thema im Programm:
NDR Info |
Kultur |
04.06.2025 | 06:20 Uhr