Israel will die Hamas um jeden Preis zerschlagen – und nutzt dafür auch fragwürdige Methoden, mit Segen von ganz oben: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat am Donnerstagabend bestätigt, dass militante Islamisten im Gazastreifen mit Waffen ausgerüstet werden.
Ziel sei es, die nach wie vor im in Teilen des Küstenstreifens herrschende Hamas zu bekämpfen. Dafür habe man auf Anraten ranghoher Sicherheitsbeamter lokale Kräfte „aktiviert“.
In einer auf dem Kurznachrichtendienst X veröffentlichen Videobotschaft sagte Netanjahu: „Was ist daran schlecht? Das ist nur gut. Das rettet das Leben israelischer Soldaten.“
Kalaschnikows für Clan-Kämpfer
Zuvor hatte Oppositionspolitiker Avigdor Lieberman das Vorgehen publik gemacht und scharf kritisiert. Netanjahu habe dies eigenmächtig, ohne Beteiligung des Sicherheitskabinetts genehmigt. So würden „Kriminelle und Schwerverbrecher“ aus- und aufgerüstet, die mit dem „Islamischen Staat“ sympathisierten.
Konkret geht es um eine Miliz mit schätzungsweise 300 Mitgliedern, die von einem Mann namens Jassir Abu Schabab angeführt wird. Die Gruppe soll vor allem im Süden Gazas operieren.
Vermummte Hamas-Kämpfer. Israels Premier Netanjahu will die Terrororganisation „total“ vernichten, auch mithilfe palästinensischer Clans.
© Imago/Zuma Wire/Ashraf Amra
Der „Times of Israel“ zufolge hat das israelische Militär die Kämpfer mit Kalaschnikows ausgerüstet, die zuvor bei Gefechten mit der Hamas erbeutet wurden.
Die palästinensische Abu-Schabab-Miliz gehört laut Beobachtern zu den derzeit bekanntesten Akteuren, die von Israel im Gazastreifen zumeist verdeckt unterstützt werden. Jerusalem verspricht sich davon, dass deren Angriffe die Hamas schwächen und zugleich die Verluste in den eigenen Reihen verringern.
300
Kämpfer sollen der Abu-Schabab-Miliz im Gazastreifen angehören.
Der 32-jährige Jassir Abu Schabab, ein in Rafah im südlichen Teil des Gazastreifens geborener Beduine aus der Großfamilie Tarabin, soll Anführer der Bande sein. Er selbst rühmt sich, im Sinne der palästinensischen Bevölkerung Widerstand gegen den Terror der Hamas zu leisten. Chaos, Korruption, Hunger, Mord, Drohungen solle entgegengewirkt werden, hieß es kürzlich in einer Audiobotschaft von ihm.
Befreier oder Krimineller?
Abu Schabab behauptet unter anderem, Hilfslieferungen zu schützen, die über die südlichen Grenzübergänge nach Gaza gelangen. Zudem würden seine Leute bei kleineren Operationen mit der israelischen Armee zusammenarbeiten, etwa bei der Sicherung von Gebäuden.
Christoph Leonhardt ist stellvertretender Leiter von Middle East Minds, einem auf den Nahen Osten spezialisierten Beratungsunternehmen und Experte für paramilitärische Gruppen.
Kein Wunder, dass die Hamas ihn und seine Gefolgsleute der „Kollaboration“ mit den „Zionisten“ und damit des Verrats bezichtigt. Ihnen wird außerdem vorgeworfen, in verbrecherische Machenschaften wie Plünderungen von Hilfskonvois und Lagerhäusern sowie Schmuggel verwickelt zu sein. Abu Schabab sei deshalb im Gefängnis gewesen, habe aber zu Kriegsbeginn fliehen können.
Der Clan ist nicht nur ein kriminelles, sondern auch ein islamistisches Netzwerk, das zwar derzeit mit der Hamas verfeindet ist, vor dem Krieg aber auch schon mit ihr kooperiert hat.
Christoph Leonhardt vom Beratungsunternehmen Middle East Minds
Der Milizenführer scheine weder ein zuverlässiger noch ein vertrauenswürdiger Partner für Israel zu sein, sagt Christoph Leonhardt, stellvertretender Leiter von Middle East Minds, einem auf den Nahen Osten spezialisierten Beratungsunternehmen. Angetrieben werde die Gruppe vielmehr vom Wunsch nach Macht und Geld.
„Der Clan ist nicht nur ein kriminelles, sondern auch ein islamistisches Netzwerk, das zwar derzeit mit der Hamas verfeindet ist, vor dem Krieg aber auch schon mit ihr kooperiert hat.“
Israels Premier Benjamin Netanjahu hat die Weitergabe von Waffen an einen womöglich kriminellen Clan genehmigt.
© imago/epd/imago/Christian Ditsch
Es sei daher nicht ausgeschlossen, dass die Gang ihre Sturmgewehre irgendwann gegen israelische Soldaten richte, betont der Religionswissenschaftler.
Deshalb erkennt Leonhardt in deren Bewaffnung keine nachhaltige Strategie Israels, sondern eher einen Ausdruck für die bis heute fehlende Stabilisierungsstrategie für den Gazastreifen.
Hans-Jakob Schindler ist Senior Direktor des internationalen Counter Extremism Project und leitet das Büro in Berlin.
Hans-Jakob Schindler sieht das ähnlich. „Zwar stellt eine Miliz wie die von Abu Schabab keine ernsthafte Bedrohung für Israels Streitkräfte dar“, sagt der Senior Direktor des internationalen Counter Extremism Project. „Aber es muss bedacht werden, dass für Terroranschläge und Hinterhalte auch schon eine rudimentäre Bewaffnung ausreicht.“
Es ist eine Herausforderung, solche Kräfte zu kontrollieren, insbesondere in Konfliktgebieten wie Gaza.
Hans-Jakob Schindler, Sicherheitsexperte vom Counter Extremism Project
Nach Schindlers Einschätzung bedeutet es immer eine Herausforderung, solche Kräfte zu kontrollieren – „insbesondere in Konfliktgebieten wie Gaza, in denen jegliche Ordnung zusammengebrochen ist“.
Hinzu kommt: Die Führung in Jerusalem hat schlechte Erfahrungen mit dem Versuch gemacht, verschiedene palästinensische Kräfte gegeneinander auszuspielen. Jahrelang hatte Netanjahu nichts dagegen, dass zum Beispiel das Emirat Katar Koffer voller Geld in den Gazastreifen bringen ließ.
Die Millionen aus dem Golfstaat, die fast monatlich in die Hände der notorisch klammen Hamas gelangten, sollten Israel sowohl Ruhe vor den Raketen verschaffen als auch ein machtpolitisches Gegengewicht zur Palästinensischen Autonomiebehörde unter Präsident Mahmud Abbas setzen.
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Diese Rechnung ging nicht auf. Am Ende war die Hamas so sehr erstarkt, dass sie das Massaker vom 7. Oktober 2023 verüben konnte.