Anlässlich des 50. Jahrestages des „Hurenaufstands“ in Lyon veranstalteten das Bündnis Hurenaufstand 1975, bestehend aus Sexarbeitenden, Vertreter/-innen der Peterskirche Leipzig sowie der Gesellschaft für Sexarbeits- und Prostitutionsforschung, einen offenen Dialograum in der Peterskirche Leipzig. Wir berichteten in Teil 1 und 2 über die Hintergründe und interviewten Pfarrerin Christiane Dohrn und zwei Sexarbeiterinnen.
Sexarbeit wird auch wissenschaftlich erforscht. Wir trafen Sozial- und Geschlechterwissenschaftlerin Giovanna Gilges (B.A. Kulturpädagogik, M.A. Gender Studies), die zum Thema „Schwanger-sein in der Sexarbeit“ an der Ruhr-Universität Bochum promoviert zum Gespräch.
Hallo Frau Gilges, schön, dass es geklappt hat. Sagen Sie uns doch zuerst etwas über Ihre Person und Ihr Forschungsgebiet.
Ich bin Giovanna Gilges, Sozialwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Geschlechterforschung und darin mit den Schwerpunkten Elternschaft und Schwangerschaft im Kontext der Sexarbeit. Also ich setze mich mit der Schwangerenversorgung auseinander, mit sexuellen Rechten und reproduktiven Rechten, im Allgemeinen im Kontext von Sexarbeit.
Ich könnte mir vorstellen, dass eine Sexarbeiterin in der Schwangerschaftsberatung einerseits die Frage gestellt bekommt: Wissen Sie überhaupt, von wem das Kind ist? Andererseits ist es wahrscheinlich problematisch, sich in Kindergarten und Schule zu diesem Beruf zu bekennen. Kann man das so sagen?
Giovanna Gilges. Bildrechte: Schattauer Verlag
Genau, das sind zwei Aspekte, die zu beachten sind und mit denen sich sowohl Sexarbeitende als auch Fachberatungsstellen auseinandersetzen und die ich im Kontext meiner Forschung erhebe, sammele und verarbeite. Diese beiden Sachen, also Elternschaft und Sexarbeit, haben wir in einem Vortrag mit Ella, mit Delia von der Fachberatungsstelle und mir, am Mittwoch behandelt.
Es ist durchaus so, dass, wie Sie eben sagten, Sexarbeitende an sich schon sehr starken Stigmata und Diskriminierungen ausgesetzt sind, mit denen sie dann in irgendeiner Weise umgehen müssen. Zumeist müssen sie darauf achten, wem erzählen sie von ihrer Arbeit und wem nicht, also in Folge ein Doppelleben führen. Stigmaerfahrung und Diskriminierung erhöhen sich dann nochmal auf einer weiteren Ebene, wenn es um Eltern geht, weil dann ein Bild der Mutter oder eines Elternteils in der öffentlichen Wahrnehmung nicht zusammenpasst, mit dem Hure sein.
Da muss man dann in seiner Selbstidentifizierung als Sexarbeitende, als Mutter gucken, wo man steht. Erzähle ich es meinem Kind, erzähle ich es meinem Kind nicht, wann erzähle ich es dem Kind und wie gehe ich mit einem so starken Geheimnis meinem eigenen Kind gegenüber um? Das sind alles Aspekte, die es schwierig machen, aufgrund des Stigmas, welches wir als Gesellschaft auf sie übertragen.
Das zieht sich dann auch in der medizinischen Versorgung fort, wenn eine Person schwanger ist und dann entweder zur Gynäkologin oder zur Hebamme geht. Da muss man sich überlegen, ob man sich outet als sexarbeitende Person.
Auch in der Medizin oder im Gesundheitswesen herrschen noch viele Vorurteile und Unwissenheit. Man muss sich dann überlegen: Setze ich mich dem aus als sexarbeitende Person? Ja, auch als sehr vulnerable Person. Wenn ich zu einer Ärztin, zu einem Arzt gehe, bin ich immer vulnerabel und verletzlich und muss ich dann auch noch diese möglichen Diskriminierungen ertragen oder verschweige ich es einfach und sag was anderes, was ich beruflich mache.
Was aber in der Folge bedeuten kann, dass, wenn ich nicht transparent genug mit meinen Lebensumständen bin, vielleicht eine Diagnostik oder eine Versorgung aus medizinischer Seite nicht so erfolgen kann, wie sie vielleicht sein sollte. Da kommen unglaublich viele Facetten nochmal extra dazu.
Sie forschen ja wahrscheinlich nicht als Selbstzweck, es wird ein Ergebnis geben. Was ist Ihre Zielstellung?
In meiner Promotionsforschung schaue ich mir das Schwanger-sein in der Sexarbeit an. Das heißt, ich habe mit Sexarbeitenden Interviews gemacht und mit denen gesprochen, die während ihrer Schwangerschaft einen Zeitraum über weiter in der Sexarbeit gearbeitet haben. Die Zeiträume lagen zwischen drei Monaten bis kurz vor der Geburt. Ich bin mit denen dann ins Gespräch gegangen darüber, einerseits wie die Schwangerschaft und die körperlichen Veränderungen oder Schwangerschaftsbelastungen ihre Arbeit beeinflusst haben.
Also, welche Wirkungen hatte das Schwanger-sein auf die Arbeit? Aber auch andersrum, welche Auswirkungen hat die Arbeit auf die Schwangerschaft? Das unter der Prämisse, dass ich hier mit selbstständig tätigen, arbeitenden Schwangeren zu tun habe wie beispielsweise freiberuflich tätige Journalist/-innen oder Handwerksmeister/-innen.
Welche Auswirkungen haben Schwangerschaft und die Sexarbeit wechselseitig? Sowohl auf körperlicher Ebene, auf struktureller Ebene als auch auf emotionaler Ebene. Wie ist der Umgang? Verändert sich der Umgang zu den Kolleg/-innen? Verändert sich der Umgang zu den Kund/-innen? Muss ich meine Arbeit in irgendeiner Weise, beispielsweise mein Dienstleistungsrepertoire, verändern? Aus gesundheitlichen Gründen vielleicht?
Das arbeite ich alles raus und gehe sicherlich auch dann darauf ein, welche Belastungsfaktoren es gibt. Warum ich das mache, fragen Sie. Welches Ziel, welchen Selbstzweck hat das? Wir haben kaum Kenntnisse in dieser Sache, zu der Situation, schwanger in der Sexarbeit zu arbeiten. Da gibt es keine strukturiert aufgearbeiteten Kenntnisse, die wir in die Sexarbeit oder ins Gesundheitswesen tragen können.
Wir behelfen uns beispielsweise in der Hebammenwissenschaft oder in den gynäkologischen Arbeitsbereichen, mit Grundwissen und das bezieht sich meist auf sexuell übertragbare Krankheiten. Denn: Was ist Prostitution? Prostitution wird zumeist verstanden als vaginaler penetrativer Geschlechtsverkehr und dann kommen wir schon schnell ins Thema sexuell übertragbare Krankheiten und bleiben sehr darauf beschränkt.
Dass Sexarbeit aber mehr sein kann oder mehr ist und, dass wir da eben auch wirklich individuell auch gucken müssen, wie sich Schwanger-sein und Sexarbeiten verhält, ist wichtig, um der schwangeren Person gerecht zu werden.
Sie sprachen von der Promotion. Wann soll die fertig sein und was machen Sie aktuell?
Ja, die soll fertig sein. Ich gehe davon aus, dass ich das Wissen, das ich generiere, 2027 zurückspielen kann in die Wissenschaftsbereiche und in die Sexarbeit. Das dauert noch eine Weile, bis ich verteidigt habe, bis ich publiziert habe, bis ich den Titel tragen darf.
Ich mache jetzt schon Lehre in den Hebammenwissenschaften zum Beispiel, Fortbildungen und Seminare für Medizinstudierende und gehe genau auf diese Aspekte ein: Was ist Elternschaft, was ist Diskriminierung in der Medizin gegenüber Sexarbeitenden? Dadurch kann bereits Sensibilisierungsarbeit und Aufklärungsarbeit geleistet werden. Das passiert jetzt schon parallel, das Wissen wird schon eingebracht, aber so wie ich es haben will, kommt das dann 2027.
Frau Gilges, ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche Ihnen viel Erfolg.
Anmerkung des Autors: Seit 50 Jahren gibt es den internationalen Hurentag, die Veranstaltung in der Peterskirche machte darauf aufmerksam, dass sexarbeitende Menschen immer noch stigmatisiert und diskriminiert werden. Vielleicht hat der oder die eine einige Gedankenanstöße zu diesem Thema mitgenommen.
Wir bedanken uns bei unseren Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern, die hier nicht alle zu Wort kommen konnten.