Im vergangenen Jahr musste der Flügel noch mit Motorkraft bewegt werden. Der Polizei war es zu gefährlich, einen Klavierflügel nur mit Muskelkraft durch Leipzig fahren zu lassen. Furore machte die Aktion trotzdem, die sich Vertreter der Leipziger Klimagruppen ausgedacht hatten. Ihr Ziel: das Bachfest Leipzig. Das ist ein höchst internationales Festival, wie Intendant Michael Maul bestätigt. 40 Prozent der Gäste kommen aus dem Ausland. Und auch von den Gästen aus Deutschland reisen 80 Prozent von außerhalb an. Das erzeugt allein durch die genutzten Verkehrsmittel auch eine große Klimabelastung. Was kann man da tun?

Das Thema beschäftigt auch die Organisatoren des Festivals seit 2022. Damals startete das Bachfest das Projekt Bachwald. Aus Spenden wird seit 2022 direkt am Störmthaler See ehemaliges Kippengelände als Wald aufgeforstet. 15 Hektar sind gemeinsam mit der Stiftung Wald für Sachsen schon gepflanzt, 18 Hektar inzwischen ausfinanziert.

Und die Gäste des Bachfestes sind aufgeschlossen für die Idee, mit ihrer Reise zum Bachfest nach Leipzig auch etwas fürs Klima zu tun. Dafür gibt es, so Michael Maul, inzwischen einen gesonderten Klimapass, dessen Preis nach der Strecke der Anreise gestaffelt wird, denn je länger die Strecke, umso höher ist auch der CO₂-Ausstoß. So kostet die niedrigste Kategorie dieses Klimapasses zum Bachfest 15 Euro, die höchste Kategorie kann man für 110 Euro erwerben.

Der Klimapass ist gleichzeitig ein Nachfolger des Festivalpasses, denn damit reduzieren sich die Ticketpreise um 15 Prozent. Aber das eingenommene Geld fließt eben nicht ins Bachfest-Budget, sondern in den Bachwald. „Wir haben damit jetzt schon 25.000 Euro eingenommen“, freut sich Michael Maul.

Klimaprotest sucht Bühne

Trotzdem meldeten sich 2024 die Leipziger Klimagruppen zu Wort und kündigten eine Protestaktion zum Bachfest an. Das war die Zeit, als Politik und Medien wie wild über die Klimaproteste der Letzten Generation herfielen und der „Bild“-Zeitungs-Slogan von den „Klimaklebern“ durch Nachrichten und Talkshows schwappte.

Volkes Seele schien zu kochen, der Klimaprotest völlig delegitimiert. Wie das halt ist in einem Land, das nicht herauswill aus seinem Trott und lieber die dramatischen Klimaveränderungen leugnet, als das eigene Verhalten zu hinterfragen.

Hat den Protest-Flügel mitorganisiert: Sarah Kaden. Foto: Ralf JulkeHat den Protest-Flügel mitorganisiert: Sarah Kaden. Foto: Ralf Julke

Was tun, fragten sich die Leipziger Klimagruppen. Und entdeckten Kunst und Kultur für sich.

Denn Kunst und Kultur leben ja genauso davon, dass sie die Menschen an die wirklich wichtigen Dinge im Leben erinnern. Künstler sind aufgeschlossen, machen auch die Krisen der Zeit zum Inhalt ihrer Arbeit. Hier konnten die Klimaaktivisten darauf rechnen, dass ihre Sorgen um die Klimazukunft verstanden würden.

Und das Bachfest bot noch dazu gleich eine große Bühne. Und die erobert man am besten mit Musik. Mit einem Klavier zum Beispiel, das man in einem musikalischen Marsch durch die Stadt bis auf den Marktplatz schiebt …

Na gut: Das mit dem Schieben wurde 2024 nichts. Das untersagte die Polizei, weil sie befürchtete, das Klavier könnte, weil den Schiebern die Puste ausgeht, steckenbleiben und den Verkehr ausbremsen.

Aber schon die erste Mail der Klimagruppen an das Festivalbüro von Michael Maul stieß auf positive Resonanz. Michael Maul fand die Aktion gut. Und deshalb wird es sie in diesem Jahr wieder geben. Diesmal als festen Bestandteil im Festprogramm. Wer es erleben will, sollte sich einfach den Nachmittag des Freitags, 13. Juni, frei halten.

Start am Jahrtausendfeld

Los geht es, so Sarah Kaden, die das Ereignis für die Klimagruppen mitorganisiert, um 15 Uhr am Jahrtausendfeld in Lindenau. Mittlerweile bekannt als echter Streitfall zwischen dem Plan, das Feld mit einer Schule zuzubauen und es andererseits als kühlenden und grünen Hotspot im Leipziger Westen zu erhalten.

Hier kann man selbst erleben, dass Klimapolitik direkt im urbanen Raum beginnt. Und diesmal wird das Klavier tatsächlich mit Muskelkraft geschoben, verspricht Sarah Kaden. Und das, während am Klavier eifrig musiziert wird. Natürlich auch Bach. Kein Musikstück von Bach bietet sich dafür besser an als „Das wohltemperierte Klavier“.

Auch wenn Bach damit wohl eher ein gut gestimmtes Klavier gemeint haben dürfte, wirft Michael Maul ein. Aber genauso gut lasse sich der Titel auf unsere zunehmend überhitzte Gegenwart anwenden. Michael Maul: „Wir wünschen uns einen wohltemperierten Planeten.“

Brücke mit Warming Stripes aus der Vogelperspektive.Die neuen Warming Stripes auf der Sachsenbrücke in Leipzig. Foto: Leipzig fürs Klima

Über die Karl-Heine-Straße rollt das Klavier so Richtung Clara-Zetkin-Park, wo sich ja bekanntlich das auffälligste Mahn-Projekt der Leipziger Klimagruppen befindet – die „Warming Stripes“ auf der Sachsenbrücke, die in zunehmend dunkleren Farben zeigen, wie sich das Klima in den letzten Jahrzehnten aufgeheizt hat.

Auf der Sachsenbrücke soll es dann, so Sarah Kaden, eine ausgiebige Musik-Session geben. Nicht nur mit Bach-Musik. Auch Folk wird zu hören sein, kündigt Wolfram Behmenburg an, gestandener Folk-Sänger aus Leipzig und Mitstreiter der Initiative „Folk for Future“, die wiederum Teil der Leipziger Klimagruppen ist.

Er wird bei der Klaviersession mit eigenen Liedern auftreten. Kritisch, wie man ihn kennt, mit ironischem Blick auf die verrückt gewordene Gegenwart, diesem „Tohuwabohu“.

Auf zum Markt!

Mit der Protest-Flügel-Aktion wollen Klimaaktivisten und Musiker „musikbegeisterte Menschen dazu anregen, selber aktiv zu werden und sich nicht nur dem Protestzug, sondern auch der Klimabewegung selbst anzuschließen.“ Denn nach der Session auf der Sachsenbrücke geht es im Protestzug dann weiter Richtung Innenstadt.

Denn für 18 Uhr ist die Ankunft auf dem Leipziger Marktplatz geplant, wo auch in diesem Jahr wieder die „Bach Stage“ aufgebaut ist. Und auf diese Bühne geht es dann auch mit dem weitgereisten Klavierflügel. Ab 18:30 Uhr gehört die Bühne dem Protest-Flügel. Das ist der ganz offizielle Programmpunkt zum Bachfest.

Und da es bei der ganzen Sache auch um Vernetzung geht, haben die Akteure von Protest-Flügel auch schon Kontakte zum nachfolgenden Ensemble, dem Bridges Kammerorchester geknüpft. Sodass der Übergang um 19 Uhr gleich mal gemeinsam gestaltet wird.

Für alle Leipziger, denen Musik genauso am Herzen liegt wie ein wohltemperierter Planet, ist diese Aktion zum Bachfest ganz bestimmt eine gute Empfehlung.